"Der Gehasste."
Wie "der Gehasste" zum Vorbild wurde
Mit diesen zwei Worten sorgte Raheem Sterling auf seinen Kanälen in den sozialen Medien für Wirbel. Fans und Medien sahen im Flügelspieler von Manchester City den Sündenbock für das schwache Abschneiden bei der EM 2016 (Aus im Achtelfinale gegen Island) und kritisierten Sterling scharf – teilweise auch unter der Gürtellinie. Daraufhin reagierte Sterling mit nur zwei Worten.
Gut drei Jahre später ist Sterling der Star der "Three Lions" und die Kritik an ihm hat sich in Lobeshymnen verwandelt. "Ich denke, er war herausragend", adelte Nationaltrainer Gareth Southgate seinen Star am vergangenen Samstag nach dem 4:0 gegen Bulgarien.
Am Dienstagabend, beim überraschend umkämpften 5:3 Erfolg gegen den Kosovo, legte Sterling einen Treffer nach und bereitete drei weitere vor, darunter den Doppelpack von Jadon Sancho. "Es ist toll, den Wandel in der öffentlichen Meinung bei ihm zu sehen", sagte Southgate danach.
Sogar den Titel des Weltfußballers traut der "Three-Lions"-Coach ihm zu. Auf die Frage, ob Sterling das Level eines Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi erreichen könne, antwortete Southgate: "Es gibt natürlich einige herausragende Spieler, wie Eden Hazard, Kevin de Bruyne oder die beiden, die genannt wurden. Aber er besitzt alle Chancen, weil die Professionalität, die Fähigkeiten und die physische und mentale Stärke für einen solch schmalen jungen Spieler beeindruckend sind."
Galt Sterling in früheren Jahren als ineffektiver Dribbler mit einigen Flausen im Kopf, ist er inzwischen ein gestandener Profi mit Vorbildcharakter – dabei ist er erst 24 Jahre alt.
Guardiola lobt Sterling
Sinnbildlich für seine Entwicklung steht seine Torquote bei City. Im ersten Jahr nach seinem 55-Millionen-Wechsel 2015 vom FC Liverpool gelangen ihm lediglich sechs Tore. In der darauffolgenden Saison erzielte er lediglich einen Treffer mehr und kritische Stimmen, die seine Kaltschnäuzigkeit vor dem gegnerischen Gehäuse in Frage stellten, kamen auf. Doch mit Amtsantritt von Pep Guardiola 2017 fand Sterling plötzlich seine Treffsicherheit.
18 Tore standen in der Saison 2017/18 zu Buche – bis heute seine Bestmarke in der Premier League. In der vergangenen Saison gelangen ihm 17 Treffer. Auch in der laufenden Saison befindet sich der Offensivspieler bereits in Torlaune. Fünf Treffer in vier Spielen stehen auf seinem Konto. "Er ist offen seit dem ersten Tag, wo wir da sind. Darum ist er zu einem unglaublichen und außergewöhnlichen Spieler geworden", adelte Guardiola seinen Star.
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Besonders sein Torriecher unmittelbar vor dem Gehäuse ist im Stile eines echten Strafraumstürmers. 18 seiner 46 City-Tore seit der Saison 2016/17 waren Abstauber. "Er hat ein unglaubliches Gespür im Strafraum und wann er vor dem Tor zu stehen hat. Er ist darin fantastisch", hob Guardiola diese Qualität seines Schützlings hervor.
Mit dem spanischen Star-Coach hat Sterling eine Art Vaterfigur gefunden, die ihm nach dem frühen Tod seines Vaters fehlte.
Sogar sein Torfluch gegen Ex-Klub Liverpool beendete er kürzlich durch seinen Treffer im Community Shield. Zuvor war er in allen neun Aufeinandertreffen mit den Reds leer ausgegangen. Sein Wechsel vor vier Jahren hatte einigen Wirbel verursacht und glich zwischenzeitlich sogar einer Schlammschlacht.
Wechsel zu City wird zur Schlammschlacht
Im Februar 2015 erklärte der damalige Liverpool-Coach Brendan Rogers, dass Sterling, dessen Vertrag erst zwei Jahre später ausgelaufen wäre, ein "unglaubliches" Vertragsangebot vorliege, aber Liverpool ihn nicht überbezahlen werde. Gut einen Monat später wurden die Verhandlungen auf den Sommer vertagt.
Im April 2015 bestätigte Sterling der BBC, dass er die Offerte der Reds abgelehnt habe und bis zum Saisonende keine Gespräche mehr führen werde. Vier Tage später watschte Rodgers den Berater von Sterling (Aidy Ward, Anm. d. Red.) ab. Dieser habe Sterling das Interview aufgedrängt, so Rodgers Vorwurf.
Die Gerüchte über einen Abschied von Sterling häuften sich, schließlich erklärte Berater Ward Mitte Mai, dass sein Klient keinen neuen Vertrag unterschreiben werde, woraufhin im Juni die Verhandlungen mit ManCity begannen und Sterling schließlich für 55 Millionen Euro die Merseyside verließ. Die Reds-Fans bezeichneten ihn daraufhin als "Schlange".
Sterling wehrt sich gegen Rassismus
Auch abseits des Platzes war Sterling bei den Reds gelegentlich in Vorfälle verwickelt, die die englische Boulevardpresse genüsslich aufgriff. So saß er im kurzzeitig im Gefängnis, weil er seine damalige Freundin angegriffen hatte.
Doch mit dem Wechsel zu den Citizens reifte Sterling nicht nur spielerisch, sondern auch in seiner Persönlichkeit.
Inzwischen stellt sich der 24-Jährige offen gegen Rassismus, der ihm und seinen dunkelhäutigen Teamkollegen vor allem bei Länderspielen entgegenschlägt. Öffentlich und in den sozialen Medien forderte er in der Vergangenheit mehrmals die Verbände zum Handeln auf. 2017 spendete er für die Opfer des Brandes im Londoner "Greenfell Tower".
Längst ist Sterling zum Vorbild auf und neben dem Platz geworden und ist auf dem Weg in den Kreis der absoluten Topspieler.
"Der Gehasste" hat seine Kritiker auf eindrucksvollste Art und Weise Lügen gestraft.