Krise? Wir brauchen einen Deutschen! So oder so ähnlich scheint seit Jahren das Motto an der Spitze der Premier League zu lauten. Ralf Rangnick bei Manchester United ist nach Jürgen Klopp (Liverpool) und Thomas Tuchel (Chelsea) der dritte Trainer aus Germany, den einer der großen englischen Klubs der Neuzeit geholt hat. Und, wen wundert es, überall ging es bergauf. Seit Rangnick gekommen ist, auch bei Manchester United.
Nach Klopp, Tuchel und Rangnick: Geht auch Julian Nagelsmann in die Premier League?
Drei Schwaben in England
Der Neue aus dem schwäbischen „Bäcknäng“ macht allen Hoffnung. Er hat nach elf Liga-Spielen sechs Siege und vier Remis vorzuweisen. Das ist ziemlich gut dafür, was Rangnick Anfang Dezember vorgefunden hatte. In den elf Spielen vor seiner Ankunft kassierte ManU fünf Niederlagen und spielte zweimal Remis – Platz 7. Selbst die Verpflichtung des jetzt 37 Jahre alten Superhelden Cristiano Ronaldo hatte wenig gebracht.
Rangnick fand zwar in Manchester mehr Baustellen, als ihm lieb sein kann, und wird manchmal in den Medien kritisiert, er weiß aber Tabelle und Fans hinter sich. Die Tabelle zeigt schon Platz 4, die Fans mögen die offene, direkte Art des 63-Jährigen. (DATEN: Die Tabelle der Premier League)
Und sie wollen ja wieder wer sein. Nach den goldenen Zeiten unter Sir Alex Ferguson (26 Titel in 27 Jahren) war United auf Null-Diät gegangen: Genau keine Meisterschaft hat ManUnited gewonnen, seit der Schotte 2013 seinen Platz an der Seitenlinie geräumt hat. Der Europa-League-Triumph 2017 unter José Mourinho wirkt im Nachhinein fast wie ein Ausrutscher.
Nach Ferguson kamen Moyes, van Gaal, Mourinho, Solskjaer – keiner hielt den Vergleich mit der Geschichte stand. Schafft es Rangnick?
Magath kann Abstieg nicht verhindern
Die Hoffnung ist da. Deutsche Trainer (oder: Manager, wie sie in England sagen) sind inzwischen eine Erfolgsgeschichte, und es gilt als quasi abgemacht, wer die nächsten sind: Hansi Flick (vielleicht ja schon im Januar, falls er die WM verpatzt?) und vor allem Bayerns Trainersuperstar Julian Nagelsmann, den die halbe englische Liga sofort nehmen würde.
Wer hätte so etwas beim Premier-League-Start vor 30 Jahren gedacht? Damals passten nicht-britische Trainer zum Oberhaus wie Salzstreuer zur Teetasse. Der erste, der ran durfte, war 1993 (der erfolglose) Argentinier Osvaldo Ardiles. Drei Jahre später kamen Ruud Gullit (erst als Spielertrainer) und Arsène Wenger. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der Premier League)
Trotzdem sah man das Thema immer noch kritisch im Trainermutterland des Fußballs. „Arsène WHO?“ schrieb zum Beispiel der „Evening Standard“. Doch beide hatten Erfolg: Gullit holte 1997 mit Chelsea den ersten FA-Cup seit 27 Jahren, Wenger wurde zur Dynastie und gewann in 22 Jahren Arsenal drei Meisterschaften und sieben FA-Cups.
Sie ebneten den Weg für Nicht-Briten. Erstmal aber nicht für die aus Deutschland. Felix Magath kam 2014 und war ein gigantischer Reinfall. Quälix durfte nur 19 Ligaspiele lang bleiben, von denen er ganze drei gewann. Fulham stieg ab.
Auch sonst machte sich Magath eher unbeliebt. Einmal soll er Fulhams Brede Hangeland geraten haben, eine Oberschenkelverletzung mit Blauschimmel-Käse zu behandeln. Viel später dementierte Magath: Erstens habe es sich um eine Knie-Entzündung gehandelt, zweitens habe er nur geraten, es „zusätzlich mit Quark zu versuchen“.
Das war nicht alles. Der betroffene Hangeland verriet, Magath habe die Mannschaft gezwungen, nach einer Auswärtsniederlage „zwischen 1 und 2 Uhr morgens eine Runde zu laufen. Es war absurd.“ Ansonsten mochten die Fans inzwischen Trainer aus dem Ausland, auch wenn es Ausfälle gab. Bob Bradley etwa, also ausgerechnet ein Yankee, bemühte sich 2016 bei Swansea um authentisches britisch-englisches Fußballvokabular, doch einmal rutschte ihm peinlicherweise ein amerikanisches „PK“ (für Penalty Kick) statt des angemessenem Begriffs „Penalty“ heraus – schon war er unten durch.
Klopp öffnet deutschen Trainern die Tür
Der deutsche Game Changer war dann Jürgen Klopp, wie Rangnick Schwabe. Die Leute liebten ihn. Seine lockeren Klamotten, sein Auftreten, sein „I‘m the Normal One“ gleich in der ersten Pressekonferenz. Am Anfang hatte er zwar eine kritische Phase, startete aber irgendwann durch: Er holte die Meisterschaft und die Champions League nach Liverpool. Plötzlich waren deutsche Trainer und ihre akribische Arbeitsweise hip.
Und schon kam der frühere Mainzer und Dortmunder Thomas Tuchel aus Paris nach London, sah und siegte mit Chelsea, und zwar schneller als Klopp. Schon vier Monate und drei Tage nach seiner Vorstellung im Januar 2021 hielt Tuchel, also wieder ein Schwabe, den Champions-League-Pokal in Händen. Und so mancher BVB-Fan fragte sich: Äh, warum noch mal genau haben wir den gehen lassen? (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Premier League)
Viele Fans, Experten und Klubverantwortliche wussten inzwischen in England: Klopp und vor allem Tuchel hatten das Taktikgenie Rangnick als Vorbild (Tuchel spielte sogar unter ihm in Ulm, wo er ihn davon überzeugte, Trainer zu werden) – also musste der irgendwann auch her! Wenn schon, denn schon. Aber das kann ja nur ein Anfang gewesen sein. 2019 hatte Nagelsmann vor seinem Wechsel von Hoffenheim zu RB Leipzig angemerkt, dass er unter anderem wegen Ralf Rangnick zu den Sachsen gehe.
Ob er dasselbe bald über Rangnick und England sagt? Nagelsmann ist übrigens: (bayerischer) Schwabe.