Serie A>

Ein Gigant am Abgrund

Ein Gigant am Abgrund

Die AC Florenz mit Edin Dzeko und dem aktuell verletzten Robin Gosens spielt eine historisch schwache Saison, der Abstieg ist längst ein realistisches Szenario. Doch zumindest das Verhältnis zwischen Mannschaft und Fans scheint sich zu stabilisieren.
Nach dem Schlusspfiff kam es zu einer Aussprache zwischen den Florenz-Spielern und Fans
Nach dem Schlusspfiff kam es zu einer Aussprache zwischen den Florenz-Spielern und Fans
© IMAGO/Gonzales Photo
Die AC Florenz mit Edin Dzeko und dem aktuell verletzten Robin Gosens spielt eine historisch schwache Saison, der Abstieg ist längst ein realistisches Szenario. Doch zumindest das Verhältnis zwischen Mannschaft und Fans scheint sich zu stabilisieren.

Die symbolträchtigste Szene ereignete sich am vergangenen Sonntag erst nach dem Schlusspfiff: Als die Mannschaft der AC Florenz nach dem 0:2 bei Atalanta Bergamo vor die Gästekurve trat, schnappte sich Stürmer Edin Dzeko ein Megafon und versprach den mitgereisten Anhängern vollen Einsatz, um den Traditionsklub aus der Krise zu führen.

Eine Krise, deren Ausmaß die Bilder nach Abpfiff mehr als deutlich machten, die aber auch durch die nackten Zahlen belegbar ist. Nach 13 Spielen in der Serie A wartet Florenz weiter auf den ersten Sieg, sechs Unentschieden und sieben Niederlagen bedeuten den vorletzten Platz. Nur die bessere Tordifferenz bewahrt den Klub vor der roten Laterne, die derzeit Verona trägt.

Bemerkenswert: In den europäischen Top-5-Ligen sind neben Florenz und Verona nur die Wolverhampton Wanderers in der Premier League noch ohne Sieg.

Historischer Tiefpunkt für Gosens-Klub

Der Abstieg in die Serie B - wo der Verein aus der Toskana nach Insolvenz letztmals in der Saison 2003/04 spielte - ist längst ein realistisches Szenario: Seit der Einführung der Drei-Punkte-Regel konnte kein italienischer Erstligist, der nach 13 Spielen sieglos war, am Ende die Klasse halten.

Schon der zehnte Spieltag hatte einen historischen Tiefpunkt hervorgebracht: Die zu diesem Zeitpunkt gesammelten vier Punkte markierten den schlechtesten Saisonstart von „La Viola“ überhaupt. Zudem stand Florenz erstmals seit 1938 wieder auf dem letzten Platz der Serie A.

Dabei waren die Erwartungen beim zweimaligen italienischen Meister und sechsmaligen Pokalsieger vor der Saison groß. In den vergangenen drei Jahren erreichte die Fiorentina jeweils mindestens das Halbfinale der Conference League, zweimal sogar das Finale. Ein starker sechster Platz in der Vorsaison berechtigte erneut zur Teilnahme an diesem Wettbewerb.

Die großen Hoffnungen sind komplett verflogen

Der Klub setzte im Sommer viele Hebel in Bewegung: Die Rückkehr des früheren Milan-Meistertrainers Stefano Pioli und Investitionen auf dem Transfermarkt von insgesamt 90 Millionen Euro ließen auf einen Angriff auf die Spitzenplätze hoffen.

Doch rund vier Monate später ist die Euphorie komplett verflogen - und Pioli längst wieder Geschichte. Anfang November wurde der 60-Jährige von seinen Aufgaben als Cheftrainer entbunden, weil es ihm in der Toskana nicht gelang, jene taktischen Prinzipien und Werte zu vermitteln, die ihn bei Milan zwischen 2019 und 2024 zum Publikumsliebling gemacht hatten.

Kurz darauf legte auch Sportdirektor Daniele Pradè sein Amt nieder, nachdem die Sommertransfers weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben waren. Gerade die neu verpflichteten Offensivkräfte wie Königstransfer Roberto Piccoli (kam für 25 Millionen Euro aus Cagliari) und Albert Gudmundsson (für 13 Millionen von Genua verpflichtet) enttäuschten bislang mit nur einem bzw. zwei Ligatoren.

Star-Spieler schwächeln - Gosens fehlt verletzt

Ansonsten ist der Kader durchaus namhaft besetzt. Im Tor steht mit David de Gea ein ehemaliger Weltstar, dazu kommen gestandene Kräfte wie der deutsche Ex-Nationalspieler Robin Gosens sowie die Offensiven Moise Kean und Altstar Edin Dzeko.

Top-Torjäger Kean hatte im Vorjahr noch seine beste Saison gespielt und 19 Serie-A-Treffer erzielt. In dieser Spielzeit steht er erst bei zwei Toren, während der 39 Jahre alte Dzeko in der Liga immer noch wartet.

Robin Gosens ist der Fiorentina ebenfalls keine große Hilfe - aber aus einem anderen Grund: Seit Ende Oktober fällt der 31-Jährige mit einer Muskelverletzung aus, nachdem er zuvor in zwölf Partien vier Scorerpunkte gesammelt hatte.

Gosens: Der Druck wird „größer“

Schon früh in der Saison hatte Gosens deutlich gemacht, wie sehr die sportlich unbefriedigende Situation an ihm nagt. „Das Problem ist, dass der Druck von außen jetzt größer wird. Die Fans verlangen Resultate. Die Medien fangen an, auf uns herumzuhacken“, sagte er Ende September, als die Lage langsam ernster wurde, im Podcast „Copa TS“.

Über die Leidenschaft der Fans sprach er mit großem Respekt: „Jeder, der in Florenz lebt oder was mit Florenz zu tun hast, ist gefühlt ein Ultra von Florenz. Wenn du am Ende eines Spiels ein Pfeifkonzert bekommst, gehst du wirklich mit Bauchschmerzen nach Hause, weil du weißt, dass du über 30.000 Fans hier enttäuscht hast.“

Die aktuelle Spielzeit kratzt am Selbstverständnis der Fiorentina - dem einzigen Klub Italiens, der in allen vier großen europäischen Wettbewerben mindestens einmal ein Endspiel erreichte.

Die Szenen am Sonntagabend in Bergamo wurden von der italienischen Presse immerhin als Zeichen einer Annäherung zwischen Fans und Mannschaft gedeutet. Während es schon vor Wochen Banner in der Stadt gegeben hatte, die Vereinsführung und Team kritisierten, reagierte die Kurve diesmal mit Applaus auf Dzekos Worte.

Trainerwechsel fruchtet nicht

Während diese wiedergefundene Einheit als Wendepunkt dienen könnte, blieb der Trainerwechsel mit dem früheren Turin-Coach Paolo Vanoli, der seit dem 7. November im Amt ist, bislang ohne Effekt. Ein Problem: Für sein Lieblingssystem, das 4-2-3-1-System, fehlen im Kader die nötigen offensiven Flügelspieler.

Deshalb blieb Vanoli keine andere Wahl, als das von Vorgänger Pioli praktizierte 5-3-2 zu übernehmen. In diesem kommt jedoch die dringend benötigte Durchschlagskraft im Angriff nicht zustande. Die Gazzetta dello Sport spekulierte deshalb nach der Pleite bei Atalanta über einen möglichen Systemwechsel.

Bis der neue Sportdirektor Roberto Goretti den Kader im Winter verstärken kann, muss sich der Klub aber noch gedulden.

Bundesliga-Profis als Verstärkungen gehandelt

Laut übereinstimmenden Berichten aus Italien und Deutschland stehen auch zwei Bundesliga-Profis auf der Kandidatenliste: Union Berlins Innenverteidiger Diogo Leite, der flexibel in der Dreier- und Viererkette einsetzbar ist, sowie Kölns Sechser Eric Martel, der ebenfalls in der Abwehr spielen kann.

Nach den Sommerabgängen von Jonathan Ikoné (Paris FC) und Riccardo Sottil (Lecce) sind jedoch vor allem Flügelspieler dringend gefragt.

Und trotz der Krise in der Liga bleibt mit dem „Lieblingswettbewerb“ Conference League ein kleiner Hoffnungsschimmer. Zwar setzte es zuletzt knappe Niederlagen gegen Mainz (1:2) und AEK Athen (0:1), doch mit zuvor zwei Siegen - darunter ein überzeugendes 3:0 gegen Rapid Wien - ist Florenz bei noch zwei ausstehenden Spielen weiterhin im Rennen um die Playoffs.

Nun werden die Wochen bis zum Jahreswechsel zeigen, ob die Fiorentina den Schulterschluss mit den Fans in einen sportlichen Aufschwung ummünzen kann - oder ob die Saison endgültig in Richtung Abstieg kippt.