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Dieses Interview geht unter die Haut

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Dieses Interview geht unter die Haut

Ende Juli bricht Elena Burkard, eine der besten deutschen Hindernis- und Crossläuferinnen, ihre Saison ab und begibt sich in eine psychiatrische Klinik. Im SPORT1-Interview erklärt die 32-Jährige, warum sie den „Notstopp“ drücken musste.
Elena Burkard bei der EM 2022 in München
Elena Burkard bei der EM 2022 in München
© IMAGO/Beautiful Sports
Johannes Fischer
Johannes Fischer
Ende Juli bricht Elena Burkard, eine der besten deutschen Hindernis- und Crossläuferinnen, ihre Saison ab und begibt sich in eine psychiatrische Klinik. Im SPORT1-Interview erklärt die 32-Jährige, warum sie den „Notstopp“ drücken musste.

Am vergangenen Samstag tat Elena Burkard das, was sie schon immer am liebsten getan hat: Sie zog sich die Laufschuhe an, stellte sich an den Start und lief los.

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Beim erstmals veranstalteten „Hill Run Ruhestein“ in ihrer Heimat Freudenstadt musste sie 330 Meter die Skisprungschanze hochrennen. Burkard tat das in 3:22 Minuten so schnell, dass sie Nathalie Armbruster, Vize-Weltmeisterin in der Nordischen Kombination, um 17 Sekunden distanzierte und das Rennen souverän gewann.

Für die dreimalige Deutsche Meisterin im Crosslauf war das Spaß-Event eigentlich keine große Sache, und doch hatte er für sie eine enorme Bedeutung. Es war der Trainingsauftakt für die nächste Saison, nachdem sie im Sommer, wie sie sagt, den „Notstopp“ drücken musste, um sich in psychotherapeutische Behandlung zu begeben.

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Kurz vor Beginn der Olympischen Spiele hatte Burkard bei Instagram ihre psychischen Probleme öffentlich gemacht. „Als ich von meiner Saison 2024 geträumt habe, hatte ich mir nicht vorgestellt, dass sie in der Psychiatrie endet - aber manchmal kann man sich seine Kämpfe nicht aussuchen“, schrieb sie damals.

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„Im College-Kontext war es definitiv einfacher, Hilfe zu bekommen“

Zwei Monate später geht es für Burkard wieder aufwärts, was das Rennen die Sprungschanze hoch nur allzu treffend symbolisiert. Dass sie dennoch - um im Bild zu bleiben - wohl nie über den Berg sein wird, erklärt die Mittel- und Langstreckenläuferin im SPORT1-Interview.

Ein bemerkenswert offenes Gespräch über den Wert des Laufens, den Elena Burkard früh für sich entdeckte, um sich - wie sie sagt - nicht zu verlieren.

SPORT1: Frau Burkard, die wichtigste Frage zu Beginn: Wie geht es Ihnen aktuell?

Elena Burkard: Danke der Nachfrage. Mir geht es aktuell ganz gut. Ich bin vor einigen Tagen im Trainingslager angekommen und nach einem wirklich anstrengenden Sommer froh über eine „mentale Auszeit“ in der fast nur das Training im Vordergrund steht.

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SPORT1: Können Sie in groben Zügen beschreiben, was Ihnen widerfahren ist?

Burkard: Das ist schwer so kurzgefasst mit Worten zu beschreiben. Vielleicht aber zur Einordnung: Mir ist nichts akut „widerfahren“. Ich bin schon seit Jahren mal mehr, mal weniger intensiv in Behandlung - habe Hilfe manchmal angenommen, aber auch oft angelehnt. Ich habe fünf Jahre lang in San Francisco studiert, und im College-Kontext war es definitiv einfacher, Hilfe zu bekommen. Psychische Erkrankungen sind nicht immer sicht- oder nachvollziehbar, deshalb fehlt hier oft das Verständnis dafür. Oft ist es auch schwer, die eine „Diagnose“ zu stellen, die dauerhaft Bestand hat. Auch wenn es sich nicht immer so anfühlt, ist der Mensch unglaublich resilient. Auch die Psyche sucht sich immer neue Wege mit Erlebtem und Erlerntem umzugehen - um weiterzuleben. Bei mir nur leider nicht immer auf die nachhaltigste Art und Weise.

SPORT1: Haben Sie viel Zuspruch von Ihren Fans und KollegInnen nach Ihrem Instagram-Post bekommen?

Burkard: Ja, das habe ich. Ich war mir sehr unsicher, ob ich es teilen soll. Wie schon in meinem Post beschrieben, wollte ich einfach Gerüchten entgehen. Außerdem wollte ich auch nicht Menschen, die mir nahestehen, und mich mit so viel Herzblut unterstützen, bei Nachfragen in Erklärungsnot bringen. Ich wollte keine Energie mit Versteckspiel verschwenden und habe für mich deshalb diesen Weg gewählt. Durch meine Offenheit haben sich auch schon Menschen von mir abgewandt, und auch dafür habe ich Verständnis. Unterm Strich waren die meisten Rückmeldungen wirklich positiv und unterstützend. Ich bin vor allem auch sehr dankbar über die Unterstützung meines Vereins (LG farbtex Nordschwarzwald, d. R.), und das Verständnis meines Trainers (Jörg Müller, d. R.) und auch seitens meines Arbeitgebers. Das gibt mir Mut, dass das Thema „psychische Gesundheit“ auch in Deutschland langsam an Tabu verliert.

„Das Laufen hat dir wahrscheinlich das Leben gerettet“

SPORT1: Sie schrieben auch, dass das Laufen die einzige Konstante sei, die Ihren Geist beruhigen kann. Was passiert in Ihnen, wenn Sie die Laufschuhe anziehen und Ihre Runden drehen?

Burkard: Wenn ich laufe, kann ich voll in der Gegenwart sein. Meine schnellen und manchmal unkontrollierbaren Gedanken werden langsamer, und ich kann mich endlich mental entspannen. Ich kann viel besser nachdenken und sammle Kraft und Mut, Probleme anzugehen, die davor wie eine unendlich hohe, schwarze Wand vor mir standen.

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SPORT1: Was glauben Sie, wären Sie Leistungssportlerin geworden, wenn Ihr Geist „normal“ funktionieren würde?

Burkard: Nein, auf keinen Fall. Ich habe das Laufen für mich vor Jahren als Mittel entdeckt, um mich nicht zu verlieren. Ich hatte in Amerika mal eine Therapeutin, die zu mir sage: ‚Das Laufen hat dir wahrscheinlich das Leben gerettet‘. Als ich in der Jugend die ersten Wettkämpfe bestritten habe, hatte ich immer unglaublich Spaß daran. Wettkampf-Tag ist für mich wie ein Feiertag. Ein paar Stunden oder Tage, in denen nur das Hier und Jetzt zählt und alle Sorgen und Ängste aus der Vergangenheit oder um die Zukunft egal sein dürfen. Ich kann Athleten gut verstehen, die vor einem Wettkampf super nervös werden, und das als belastend empfinden, denn das ist oft meine Herausforderung im Alltag. Zum Beispiel viele Meschen, Enge, geschlossene Räume, Entscheidungen treffen… Die Anspannung vor Rennen hingegen liebe ich.

SPORT1: Sie sind viermalige Deutsche Meisterin im Crosslauf und 2020 haben Sie Gesa Krause den Titel über 3000 Meter Hindernis weggeschnappt. Haben diese Erfolge dazu beigetragen, dass es Ihnen in dieser Zeit mental besser ging?

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Burkard: Ja, natürlich. Ich bin kein isoliertes System. Das ist ein bisschen wie die Frage nach dem Huhn und dem Ei. Wer war zuerst da? Jeder Leistungssportler weiß, wie sehr Körper und Geist zusammenhängen. Jede Schwäche kann auch eine Stärke sein. Wenn ich an der Startlinie stehe, weiß nur ich wie viele unsichtbare Hürden, oder bildlicher gesprochen Hindernisse, ich bis dahin überwinden musste. Ich weiß, dass mich das auch sportlich stärker macht und was es für ein Privileg ist, einfach nur rennen zu dürfen. Gleichzeitig rauben mir zu viele Nebengeräusche dann auch manchmal die Kraft fürs Training. Ich will es mir nie eingestehen, aber auch meine Energiereserven sind begrenzt.

„Das Kartenhaus stand kurz vor dem Zusammensturz“

SPORT1: Wie schaffen Sie es, diesen schmalen Grat zu meistern?

Burkard: Ich liebe den Leistungssport und bin so dankbar für alles, was mir dadurch ermöglicht wird. Gleichzeitig muss ich versuchen, mich als Mensch außerhalb der Laufschuhe zu akzeptieren. Ein schwieriger Balance-Akt. Dabei ist gerade mein Trainer einer der wenigen Menschen, von denen ich das Gefühl habe, dass sie mich als Person mit allen Facetten sehen. Das hilft natürlich enorm und ist Grundlage für unsere jahrelange Zusammenarbeit.

SPORT1: Wie hatten Sie sich die abgelaufene Saison bei Ihrer Planung vorgestellt? Stand auch Olympia auf Ihrem Zettel?

Burkard: Natürlich war Olympia das große Ziel. Ich bin auch sicher, dass ich das Potential dazu gehabt hätte. Leider hat eine hartnäckige Infektion im Oster-Trainingslager alle Träume zunichte gemacht. Das ist das Spiel Leistungssport, nur 99 Prozent reichen nicht. Ich bin froh, dass ich am Ende der Saison noch ein paar gute Zeiten laufen konnte. Ein Highlight war sicher mein 5000-Meter-Rennen beim „Fast5000″ in Paris am 6. Juli, das hat mir viel Mut für die kommende Saison gegeben. Ich bin mit 15:17 Minuten nahe an meine Bestzeit herangelaufen, obwohl das Kartenhaus zu dem Zeitpunkt schon kurz vor dem Zusammensturz stand. Dann musste ich mir aber eingestehen, dass ich mich nicht mehr alleine aus dem aktuellen psychischen Loch befreien kann. Ich wäre gerne noch ein paar Wettkämpfe mehr gelaufen, musste aber den Notstopp drücken.

SPORT1: Inwieweit können Sie sportliche Pläne für die kommende Saison schmieden? Oder lässt das die aktuelle Phase noch nicht zu?

Burkard: Ich schmiede Pläne seit dem letzten Rennen dieser Saison Am 20. Juli bin ich in Ninove in Belgien noch einmal eine solide 1500 Meter in 4:10 gelaufen. Das war ein schwerer Moment nach dem Rennen, denn ich wusste, dass ich in dieser Saison noch schneller laufen könnte, aber die Pläne in die Klinik zu gehen standen schon fest. Ich wusste auch, dass das in diesem Moment der einzig sinnvolle Weg für mich war. Die Pläne für die kommende Cross Saison waren deshalb umso wichtiger. Das motiviert mich und lässt mich auch manchmal auf kleine, greifbare Ziele fokussieren. Primär möchte ich eine gute Cross-Saison bestreiten und dort eine Grundlage für das nächste Jahr legen.

SPORT1: Haben Sie die Spiele in Paris am TV verfolgt? Was sagen Sie vor allem zu Ihren deutschen Kolleginnen über 3000 Meter Hindernis?

Burkard: Ich habe die Spiele in der Pfalz bei einer guten Freundin auf einer großen Leinwand im Garten geschaut. Das war toll. Auch wenn mir das Herz dabei schon ein bisschen geschmerzt hat, hat es mich motiviert, auch wieder dieses Gefühl vom Wettkampf-Adrenalin zu spüren. Ich glaube, so eine geballte Hindernis-Power hat der DLV noch nie gehabt. Die Leistungen aller Drei (Gesa Krause, Lea Meyer und Olivia Gürth, d. R.) waren wirklich beeindruckend.