Mit 27 Jahren ist Schluss. Am vergangenen Mittwoch gab 400-Meter-Ass Marvin Schlegel seinen Rücktritt vom Leistungssport bekannt.
Deutscher Star lässt mächtig Dampf ab
In einem emotionalen Post bei Instagram schrieb der Athlet des LAC Erdgas Chemnitz von „großen strukturellen und personellen Defiziten im Leistungssportbereich“, die sein Karriereende beschleunigt hätten.
SPORT1 fragte bei Schlegel, der 2021 bei den Olympischen Spielen in Tokio am Start war, nach, gegen wen sich seine Vorwürfe richten und warum er keine Möglichkeit mehr sah, seine Karriere fortzuführen.
SPORT1: Herr Schlegel, fühlt sich die Entscheidung fünf Tage nach der Bekanntgabe Ihres Rücktritts richtig an?
Marvin Schlegel: Ja, sie fühlt sich richtig an. Ich habe mir lange Gedanken gemacht und den endgültigen Entschluss über die Weihnachtstage gefasst, als ich ein bisschen Ruhe hatte. Unter den Umständen gab es für mich keine andere Option, es war die beste Entscheidung.
„Seitdem habe ich nie wieder etwas vom DLV gehört“
SPORT1: Wie ist die Entscheidung in Ihnen gereift?
Schlegel: Es fing damit an, dass nach dem Ende der Saison mein Trainer Dietmar Jarosch, mit dem ich ein Jahr lang zusammengearbeitet habe, mir gesagt hat, dass er sich altersbedingt aus dem Trainergeschäft zurückziehen wird. Das war für mich völlig verständlich, weil er den extrem hohen Aufwand nicht mehr stemmen konnte. Daraufhin habe ich erst mit Verantwortlichen meines Vereins (LAC Erdgas Chemnitz) und dann mit dem Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV), in Person von Volker Beck, Gespräche geführt.
SPORT1: Was hat Ihnen der Bundestrainer gesagt?
Schlegel: Auf seine Frage, ob ich nach Westdeutschland wechseln könne, sagte ich ihm, dass es aufgrund meiner Anstellung bei der Polizei Sachsen, schwierig sei. Dadurch, dass ich dort meine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen habe, bin ich an den Stützpunkt und das Land Sachsen gebunden. Auch meine Verlobte hat hier einen festen Job, wir sind beide verwurzelt, deswegen kam es für mich nicht in Frage. Das habe ich so argumentiert, daraufhin sagte Beck: ‚Wenn es etwas Neues bei dir gibt, dann meldest du dich einfach.‘ Das Gespräch war im August und seitdem habe ich nie wieder etwas vom DLV gehört.
SPORT1: Es gab keine Alternative in Sachsen?
Schlegel: Doch, eine hätte es gegeben, aber die kam für mich nicht in Frage. Der Landestrainer Sachsen sagte mir, ich könne zu meinem früheren Trainer Jörg Möckel zurück, von dem ich mich nach einer langjährigen Zusammenarbeit aus persönlichen Gründen getrennt hatte. Es gab ein internes Problem, das dem DLV bekannt ist. Eine Rückkehr war für mich also keine Option. Ansonsten konnte mir keiner einen sinnvollen Vorschlag machen, bei dem es realistisch gewesen wäre, Höchstleistungen zu bringen. Im Übrigen hatte ich schon 2023 bei meinem letzten Trainerwechsel keine Unterstützung vom DLV erhalten, sondern nur durch die Sportfördergruppe der Polizei Sachsen, die mir damals den Kontakt zu Dietmar Jarosch hergestellt hatte. Schon da war die Aussage des DLV, ich müsse mich selbst kümmern und gucken, wo ich bleibe.
„Das hatte überhaupt nichts mit ‚Wertschätzung‘ und ‚Respekt‘ zu tun“
SPORT1: Sie schreiben in ihrem Post von ‚strukturellen Problemen im Leistungssportbereich in Deutschland‘. Was meinen Sie damit?
Schlegel: Ich finde es einfach traurig. Der DLV schreibt in seinem Ethikcode ganz offen von ‚Wertschätzung‘ und ‚Respekt‘, die er verkörpern möchte. Die Art und Weise des Telefonats mit meinem Bundestrainer zeugt nicht gerade davon. Das hatte überhaupt nichts mit ‚Wertschätzung‘ und ‚Respekt‘ zu tun. Ich wurde Ende des Jahres aus dem Bundeskader gestrichen, was ich überhaupt nicht bemängeln möchte. Es war krankheitsbedingt sportlich nicht mein bestes Jahr. Was ich kritisiere: Ich musste von der Website des DLV erfahren, dass ich 2025 nicht mehr dem Bundeskader angehören werde. Da hat man mich vorher nicht informiert, obwohl da auch Gelder und der Förderstatus dranhängen. Das hat auch nichts mit ‚Wertschätzung‘ und ‘Respekt‘ zu tun. Dazu passt, dass sich weder Volker Beck noch Julian Reus (Bundestrainer Sprint, Anm. d. Red.) nach meinem Rücktritt bei mir gemeldet haben.
SPORT1: Spielt bei Ihrem Rücktritt auch eine Rolle, dass der DLV Sie nicht zu den Olympischen Spielen nach Paris mitgenommen hat, obwohl Sie mit der Staffel im Mai noch mitgeholfen hatten, die Olympia-Fahrkarte zu lösen?
Schlegel: Nein, das hat keine Rolle gespielt. Das ist Vergangenheit, es hat nicht funktioniert und ich war damals sehr traurig. Aber es wäre nicht gerechtfertigt gewesen, wenn ich mitgefahren wäre.
SPORT1: Was müsste in Deutschland passieren, dass sich Sportler unbeschwert auf große Events wie Olympia oder Weltmeisterschaften vorbereiten können?
Schlegel: Da gibt es viele Stellschrauben, wobei ich sagen muss, dass ich bei der Polizei Sachsen die nötige Unterstützung bekommen habe und ich finanziell abgesichert bin. Ich habe immer den Rücken freigehalten bekommen, damit ich meinen Sport auf höchstem Niveau durchführen kann. Ich würde mir wünschen, und das hat DLV-Sportdirektor Jörg Bügner 2023 in einem Interview gesagt, dass man individuell den besten Weg für die Athleten finden muss und kein System den Athleten drüberstülpen darf. Da gehört es dazu, dass man nicht sagt, man müsse sein Bundesland verlassen, weil es ansonsten keine Alternative gebe. Dann ist es schwierig, wenn einem vorgeworfen wird, man habe einen fehlenden Willen.
„Alica Schmidt? Ich gönne ihr das“
SPORT1: Jemand, der gut von der Leichtathletik leben kann, ist Ihre frühere Staffelkollegin Alica Schmidt, die als Influencerin mit großer Reichweite finanziell abgesichert sein dürfte. Wie finden Sie das?
Schlegel: Sie ist in der deutschen Spitze angekommen, hat also sportlich einiges zu bieten. Ich finde das okay, wenn man sich damit seinen Lebensunterhalt verdienen kann, ich gönne ihr das. Sie geht ihren Weg und ist trotzdem hochprofessionell. Sie investiert alles in den Sport, der definitiv bei ihr im Vordergrund steht.
SPORT1: Welche Highlights bleiben im Gedächtnis, wenn Sie auf Ihre Karriere zurückblicken?
Schlegel: Auf jeden Fall 2019 die Goldmedaille mit der 4x400-Meter-Staffel bei der U23-EM, das war die erste internationale Medaille. Wir hatten uns das eigentlich schon 2016 mit bei der U18-EM vorgenommen, was wir nicht geschafft hatten. Damals standen wir auf dem Aufwärmplatz und haben uns geschworen, dass wir uns die Medaille drei Jahre später holen werden. Das haben wir umgesetzt und war für uns ein sehr emotionaler Moment. Dann natürlich auch die Olympischen Spiele 2021 in Tokio, für die jeder Sportler brennt und alles dafür investiert, um dort einmal auf der Bahn zu stehen.