Jesse Owens, seinen Vorgänger, kennt jeder. Bob Beamon, seinen Nachfolger: ebenso. Bei seinem Namen werden heute aber auch viele Sportfans passen müssen.
Ein unterschätzter Leichtathletik-Gigant: "Behaltet seinen Namen im Gedächtnis"
Ein unterschätzter Gigant
Ralph Boston brach einst nach 25 Jahren den Weitsprung-Weltrekord der Ikone Owens und dominierte die Disziplin dann viele Jahre lang, bis Beamon bei Olympia 1968 in eine neue Dimension flog. Der Nachruhm des heute vor zwei Jahren verstorbenen Boston ist trotzdem deutlich kleiner – zu Unrecht, findet unter anderem ein gewisser Carl Lewis.
„Weitspringer, behaltet seinen Namen im Gedächtnis“, mahnte der Superstar nach Bostons Tod – das sportliche und gesellschaftliche Vermächtnis seines Vorbilds ist groß.
„Er war mein Idol, als ich klein war, er hat mein Leben stark beeinflusst“, hielt der einstige Weitsprung- und Sprint-Gigant Lewis fest, nachdem Boston am 30. April 2023 starb.
Ralph Boston brach Jesse Owens‘ Weltrekord nach 25 Jahren
Als Lewis im Jahr 1961 geboren wurde, hatte Boston sich gerade mit einem Fabeljahr an die Spitze seines Sports katapultiert: Der damals 21-Jährige gewann 1960 zunächst die US-Collegemeisterschaft, brach dann bei einem Sommer-Meeting in Kalifornien Owens‘ Weltrekord aus dem Jahr 1935 (von 8,13 auf 8,21 Meter), bei Olympia in Rom holte er kurz darauf Gold nach einem engen Zweikampf mit US-Landsmann Bo Roberson.
Boston – zeitweise auch der beste Dreispringer der USA – dominierte danach noch fast ein Jahrzehnt lang. Den Weltrekord verbesserte er noch fünf weitere Male auf letztlich 8,35 Meter, im Fokus der Aufmerksamkeit stand vor allem sein Zweikampf mit UdSSR-Athlet Igor Ter-Owanesjan, der Boston die Bestmarke 1962 zwischenzeitlich weggeschnappt hatte.
1964 in Tokio schnappte bei regnerischen Bedingungen überraschend der Waliser Lynn Davies den beiden Rivalen Olympia-Gold weg, eine wirklich neue Ära begann aber erst vier Jahre später mit dem Jahrhundertsprung von Bob Beamon, der in Mexico City die gemeinsame Bestmarke von Boston und Ter-Owanesjan um sagenhafte 65 Zentimeter auf 8,90 Meter steigerte.
Boston blieb bei Olympia 1968 Bronze hinter Beamon und DDR-Athlet Klaus Beer – der historische Satz von US-Konkurrent Beamon war in gewisser Hinsicht aber auch sein Werk.
Mentor seines Erben Bob Beamon
Denn Boston, der bald nach den Spielen seine Karriere beendete, war in Mexico City inoffiziell Trainer des sieben Jahre nach ihm geborenen Beamon.
Beamon war wenige Monate vor Olympia wegen seiner persönlichen Überzeugung in eine schwierige Lage geraten: Inmitten der aufgeheizten Stimmung nach der Ermordung des Bürgerrechtlers Martin Luther King boykottierte er zusammen mit zehn anderen afroamerikanischen Kommilitonen einen Wettkampf seiner University of Texas at El Paso gegen die Brigham Young University in Utah – wegen des Vorwurfs rassistischer Lehrinhalte war das Mormonen-College ein rotes Tuch für die schwarze Community.
Beamons College wiederum sah den Boykott als aufrührerisch und warf die Beteiligten raus. Beamon stand ein halbes Jahr vor Olympia ohne Trainingsumfeld da – Boston nahm ihn stattdessen unter seine Fittiche.
Stummer Protest bei Olympia 1968
Der Kampf für Bürgerrechte war ein lebenslanges Anliegen Bostons, der zu Zeiten der Rassentrennung im Südstaat Mississippi geboren wurde und bei Olympia 1968 auch selbst ein Zeichen setzte.
Zwei Tage nach der folgenschweren Black-Power-Geste von Tommie Smith und John Carlos betrat auch Boston das Siegerpodest barfuß – ein stummer Protest gegen die Armut der afroamerikanischen US-Bevölkerung.
„Boston stand oft im Schatten, damals wie heute, weil er nicht laut und extrovertiert war“, konstatierte der Geschichtsprofessor Louis Moore nach Bostons Tod im Gespräch mit den Sportkultur-Portal Andscape. Gerade aber auch in seinem Kampf für gesellschaftliche Gerechtigkeit habe der nachdenkliche Boston viel bewirkt: „Er hat Wettkämpfe boykottiert, wo er es nötig fand – aber er war umgekehrt auch überzeugt, dass er das Bewusstsein für den Kampf der Schwarzen in Amerika schärfen würde, wenn er mit dem Schriftzug „USA“ antrat.“
Boston arbeitete nach seiner aktiven Karriere als TV-Experte, aber engagierte sich auch an seinem College in Tennessee als Studiendekan und Minderheitenbeauftragter.
„Ralph war ein Riese von einem Mann“
„Ralph war ein Riese von einem Mann“, erinnerte sich Chandra Cheeseborough-Guice, die Leichtathletik-Koordinatorin der Tennesse State University nach Bostons Tod: „Er war bescheiden, demütig, einfach ein besonderer Mensch.“
Auch beim viermaligen Weitsprung-Olympiasieger Carl Lewis hinterließ das Wirken Bostons und der persönliche Kontakt mit ihm nachhaltig Eindruck: „Ich werde seine Stimme und seine Unterstützung vermissen. Er war ein Gamechanger, als Athlet, als Sprachrohr, als Mentor.“
Ralph Boston starb am 30. April 2023 an den Folgen eines Schlaganfalls. Er wurde 83 Jahre alt.