Als Karin Enke in der 1980er Jahren auf den Eisbahnen ihre Runden zog, tobte zwischen den Systemen der Klassenkampf.
Legende des DDR-Sports: "Je älter ich wurde, desto grotesker wurde es für mich"
Als der Klassenfeind zum Kuchen bat
Sport war immer auch ein Gradmesser für die Stärke politischer Systeme, wobei die DDR es auf die Spitze trieb. Deren beste Sportler bekamen immer auch den Auftrag, dem Klassenfeind - primär der Bundesrepublik und den USA - die Überlegenheit des sozialistischen Systems vor Augen zu führen.
Eine, die dazu prädestiniert schien, war Enke, die vor der Ära von Gunda Niemann-Stirnemann und Claudia Pechstein die erfolgreichste deutsche Eisschnellläuferin war.
Am 13. Februar 1984 - heute vor 41 Jahren - gewann sie bei den Olympischen Spielen in Sarajevo über die 1000 Meter ihre insgesamt dritte olympische Goldmedaille. Die gebürtige Dresdnerin war eine echte Ausnahmeathletin, Experten bescheinigten ihr einen perfekt ausgefeilten Laufstil, der Kraft und Schnelligkeit ideal kombinierte.
Enke galt lange als beste Allrounderin der Welt, was sie mit elf WM-Titeln und zehn Weltrekorden auf allen Strecken von 500 bis 3000 Meter sowie im Mehrkampf bestätigte. Kein Wunder also, dass die DDR-Funktionäre sie bereits im Alter von 18 Jahren zu den Olympischen Spielen 1980 nach Lake Placid schickten - nicht ohne ihr einen ganz besonderen Auftrag mitzugeben, wie sie sich vor einigen Jahren im Zeitzeugenportal erinnerte.
„Das oberste Ziel ist, dem Klassenfeind eine vernichtende Niederlage zuzufügen“
„Ich weiß noch, wie uns Manfred Ewald (damaliger DTSB-Präsident und einflussreichster Funktionär der DDR, Anm. d. Red.) bei der Verabschiedung der Olympia-Mannschaft ideologisch eingestimmt hat. Er sagte wörtlich: ‚Das oberste Ziel ist, dem Klassenfeind eine vernichtende Niederlage zuzufügen‘.“
Enke erlebte in den USA zum ersten Mal den Widerspruch, den sie erst viel später vollständig begriff: „Dann kommst du in ein Land, wo alle total freundlich, offen und hilfsbereit sind. Und ähnlich war es auch bei Reisen in die Bundesrepublik.“
Dazu gab die heute 63-Jährige ebenfalls eine Anekdote zum Besten. „Bei der WM 1982 in Inzell wurden wir privat untergebracht, also nicht im Hotel, sondern in einer Pension. Im Vorfeld wurde uns gesagt, den Kontakt auf ein Minimum zu reduzieren. Der Fokus war immer, dass sie uns nichts Gutes, sondern nur besiegen wollen“, erzählte sie.
Weil die Gastgeber aber alles andere als unfreundlich waren, sei es zu einigen kuriosen Begegnungen gekommen, wie direkt bei der Ankunft. „Das Haus war mit Blumengirlanden geschmückt und wir wurden herzlich willkommen“, erinnerte sich die frühere Weltklasseathletin. „Die Frau hatte frischen Kuchen gebacken. Unsere Mannschaftsleiter, drei oder vier Offizielle, mussten sich mit an den Tisch setzen und den Kuchen essen.“
Enke berichtete weiter: „Da habe ich mir gedacht: ‚Wie müssen die sich jetzt vorkommen? Was haben die uns noch Stunden vor der Abreise eingebläut?‘ Und jetzt erlebe ich als junger Mensch ein ganz anderes Bild. Das war wirklich grotesk. Und je älter ich geworden bin und je mehr ich Abstand hatte, desto grotesker wurde es für mich.“
Karin Enke: Neues Leben nach der Karriere
Erst viele Jahre, nachdem sie 1988 ihre Karriere beendet hatte, seien ihr die Dinge vollständig klar geworden „Als ich in dem System drin war, hatte das eine gewisse Normalität, weil ich es nicht anders kannte. Aber nach Beendigung meiner Karriere und viele Jahre nach der Wende habe ich viele Dinge reflektiert.“ Sie habe sich zwar nie als Opfer der DDR gesehen, „aber diese Instrumentalisierung als Athletin ist mir dann bewusst geworden“.
Nach der Sportlerkarriere hängte Enke die Schlittschuhe an den Nagel und fing ein komplett neues Leben an. Sie schloss ein Studium der Erziehungswissenschaften mit Schwerpunkt Sozialpädagogik ab und ist heute Geschäftsführerin bei der GESOP in Dresden, der Gesellschaft für gemeindenahe sozialpsychiatrische Versorgung.
„Allein auf den Sport reduziert werden wollte ich nicht, das war mir schon immer zu wenig“, verriet sie im November 2022 in der Dresdner Wochenpost. „Als Leistungssportler in der DDR wurde man zur Unselbstständigkeit erzogen, Vorgaben, Reglementierungen, Verbote, auch fürs Familienleben, bestimmten dein Leben. Ich wollte von vorne anfangen.“
Für das frühere DDR-Idol sei „alles gut [gewesen] für den jeweiligen Zeitpunkt. Trotz mancher Fehler würde ich nichts wesentlich anders machen“.