Ein Jahr vor seinem Tod bekam er noch eine letzte sportliche Würdigung, die klangvollste von allen.
Ein vereinnahmtes Idol
Als „Deutschlands Turner des 20. Jahrhunderts“ kürte eine Fachjury im Auftrag des Kicker Alfred Schwarzmann, der seine Sportart im Land tatsächlich so prägte wie wenige andere.
Schwarzmann, dessen Tod sich am Dienstag zum 25. Mal jährt, ist zusammen mit seinem Zeitgenossen Konrad Frey der erfolgreichste deutsche Olympia-Turner seit 1900.
Mehr noch als Frey steht Schwarzmann mit seiner bewegten Vita aber auch für mehr als seinen Sport: Der dreimalige Olympiasieger von Berlin 1936 war ein von Hitler-Deutschland vereinnahmtes Idol der NS-Ära – noch mehr, nachdem er als Soldat zum Kriegshelden wurde.
In der Nachkriegszeit wurde Schwarzmann mit einem späten Sensations-Erfolg dann aber auch eine bewunderte Symbolfigur der Nachkriegs-BRD.
Vorzeigesportler bei Olympia 1936 in Berlin
Alfred Schwarzmann wurde am 23. März 1912 in Fürth geboren, er war Sohn eines Bäckermeisters, der auch Oberturnwart war. Die Turnleidenschaft, die er vom Vater in die Wiege gelegt bekam, wurde zu einem von zwei zentralen Lebensinhalten – neben der Soldatenkarriere in der Reichswehr, in die er als junger Mann schon Jahre vor dem Krieg eintrat.
Erfolge bei nationalen und internationalen Wettkämpfen rückten Schwarzmann – der auch Lehrer an der Heeressportschule Wünstorf war – im Vorfeld der Olympischen Spiele im eigenen Land in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. In Berlin wurde Schwarzmann der Erwartungshaltung dann tatsächlich gerecht: Der damals 24-Jährige gewann Gold beim Pferdsprung, im Mehrkampf und mit der Mannschaft, dazu Bronze am Reck und am Barren.
Schwarzmann war einer der meistdekorierten Athleten in Berlin, übertroffen nur von der niederländischen Schwimmerin Hendrika Mastenbroek (3x Gold, 1x Silber), Turnkamerad Frey (3/1/2) und dem in Berlin zur Legende emporgestiegenen Jesse Owens (4x Gold).
Die olympischen Erfolge machten Schwarzmann zu einem Vorzeigesportler des Dritten Reichs, er wurde prominent inszeniert in der auch international preisgekrönten Doku „Olympia – Fest der Schönheit“ der damals bahnbrechenden Regisseurin Leni Riefenstahl – stilbildend für die propagandistische Ästhetik der NS-Ära.
Von Hitler befördert, für Kriegsdienst geehrt
Schwarzmann - der bei den Siegerehrungen wie die meisten deutschen Sportler den Hitlergruß zeigte -profitierte auch direkt vom Ruhm, den er für das Regime mehrte: Adolf Hitler persönlich vollzog noch während der Spiele Schwarzmanns Beförderung zum Leutnant.
Nachdem das NS-Regime 1939 den Zweiten Weltkrieg begann, zog Schwarzmann (wie auch Frey) in den Kampfeinsatz: Schwarzmann war als Fallschirmjäger beteiligt am Eroberungsfeldzug gegen die Niederlande, wurde bei der Einnahme der Stadt Moerdijk mit Schüssen in Lunge und Oberarm schwer verwundet. Seiner Familie in der Heimat wurde schon mitgeteilt, dass Schwarzmann gefallen sei – was sich als Falschmeldung erwies.
Schwarzmann – später auch in Kreta, an der Ostfront und in Italien eingesetzt – wurde nach seiner Heimkehr aus den Niederlanden nun auch als Kriegsheld gefeiert, erhielt das selten vergebene Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes.
Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten würdigte Schwarzmanns „Mut und Schneid“ und seinen Einsatz für „Führer und Volk“: „Allen deutschen Turnern und Sportlern möge Alfred Schwarzmann heute und in Zukunft Vorbild sein und bleiben! Wer stark ist, bewährt sich; der Schwache verkommt“, jubelte der oberste NS-Sportfunktionär, 1943 an einer Lungenentzündung verstorben.
Sensations-Coup mit 40 bei Olympia 1952
Schwarzmann geriet 1944 in amerikanische Kriegsgefangenschaft, nach dem Krieg ließ er sich in Niedersachsen nieder, arbeitete zunächst in Braunschweig, dann in Goslar als Turn- und Sportlehrer.
Trotz seines fortschreitenden Alters setzte sich Schwarzmann eine weitere Olympia-Teilnahme zum Ziel – und zeigte sich enttäuscht und verständnislos, dass Deutschland 1948 in London noch von den Spielen ausgeschlossen blieb.
„[W]elcher ehrliche, seines Könnens bewusste und wirklich sportliche Kämpfer könnte sich eines Sieges freuen, wenn ernsthafte Rivalen vom Kampf ausgeschlossen waren?“, klagte Schwarzmann 1948 in einem Gastbeitrag für den Spiegel: „Wer Sport und Politik zu verquicken sucht, kann selbst nicht viel echten Sportsgeist haben.“ Schwarzmann schloss den Artikel mit der bedauernden Feststellung: „In vier Jahren bin ich 40 Jahre alt und dann zu alt für Spitzenleistungen.“
Die Prognose erwies sich als Irrtum: Der 40 Jahre alte Schwarzmann holte 1952 in Helsinki trotz seines Alters und seiner Kriegsverletzungen sensationell Silber am Reck – und festigte damit seinen Rang als eines der größten Sportphänomene der bundesdeutschen Geschichte.
Lebensrettender Einsatz für US-Familie
Schwarzmann wurde auch in der Nachkriegszeit vielfach geehrt, auch für seinen fortwährenden Einsatz für seinen Sport als Trainer, Landes- und Bundeslehrwart und Kampfrichter. Schwarzmann gab seine Sportbegeisterung auch an Tochter Helena weiter, als erfolgreiche Voltigier-Bundestrainerin später auch eine bedeutende Macherin im deutschen Sport.
Alfred Schwarzmann starb am 11. März 2000 und wurde 2008 posthum in die Hall of Fame des deutschen Sports aufgenommen. Die Aufnahme ist wegen Schwarzmanns Weltkriegs-Vita nicht unumstritten, in seinem Fall ist aber anzumerken, dass auch diese nicht nur Schatten hat: Die Sporthistorikerin Swantje Scharenberg offenbarte 2012 in einer Biografie zu Schwarzmanns 100. Geburtstag, dass dieser sich im Krieg nicht nur um die Rettung eines schwer verwundeten Kameraden verdient gemacht hatte.
Scharenberg veröffentlichte auch zwei Briefe aus der amerikanischen Familie Greenstadt, die 1944 in Italien zwischen die Weltkriegsfronten geraten war und deren Oberhaupt Eugene Schwarzmann aus dessen Zeit als College-Turner bekannt war.
Beim Wiedersehen setzte sich Schwarzmann bei Offizierskollegen für den Wohlerhalt der achtköpfigen Familie ein – was diese als lebensrettend betrachtete: „Ich möchte Ihnen meine Dankbarkeit ausdrücken und meinen Stolz, einen Menschen gekannt zu haben, der auch in so einer schwierigen Zeit der Menschheitsgeschichte zu bewundernswertem Verhalten fähig war“, schrieb Eugenes Tochter Lisa 1984 an Schwarzmann.
Hall-of-Fame-Eintrag mit Fußnote
Historische Zeugnisse Schwarzmanns lassen nicht vermuten, dass die Olympia-Legende – erklärter Bewunderer des Turnpioniers Friedrich Ludwig Jahn - ein NS-Ideologe war.
Der Antrieb seines Sportler- und Soldatenlebens schienen eher zeitlose, als unpolitisch wahrgenommene Tugenden wie Sportsgeist, Kameradschaft, Disziplin, Sittlichkeit und Heimatverbundenheit zu sein. Bei womöglich nicht ausreichendem Bewusstsein, dass sich diese Tugenden auch für politisch dunkle Zwecke missbrauchen lassen.
Ein Schüler Schwarzmanns aus dessen Zeit als Gymnasiallehrer berichtete 2008: „Nachträglich betrachtet war deutlich erkennbar, dass er in dem oft vertraulichen Umgang viel über seine sportliche Vergangenheit erzählt hat, aber seine Militärzeit völlig ausklammerte.“
Schwarzmanns Eintrag in der Hall of Fame des deutschen Sports ist vor dem Hintergrund neuer NS-Enthüllungen um mehrere Ruhmeshallen-Kolleginnen und -Kollegen aktuell mit einer Fußnote versehen: „Schwarzmanns Rolle im Dritten Reich wird aktuell aufgrund neuer Erkenntnisse von einer sporthistorischen Expertengruppe überprüft.“