Home>Radsport>Tour de France>

Jacques Anquetil: Ein Tour-Idol, das heute verstört

Tour de France>

Jacques Anquetil: Ein Tour-Idol, das heute verstört

{}
{ "placement": "banner", "placementId": "banner" }
{ "placeholderType": "BANNER" }

Ein Tour-Idol, das heute verstört

Der früh verstorbene Jacques Anquetil war der erste Fünffach-Champion der Tour de France. Sein Rekord und sein Ruhm glänzt bis heute - dabei war er auch ein geständiger Doper, der persönliche Schatten hatte.
Im Frühjahr war Tadej Pogacar der haushohe Favorit auf den Sieg der diesjährigen Tour de France. Doch Jonas Vingegaard hat aktuell gute Chancen, seinen Vorjahreserfolg zu wiederholen.
mhoffmann
mhoffmann

Der große Zweikampf zwischen Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar erinnert gerade wieder viele an ihn.

{ "placeholderType": "MREC" }

Der kühle Stratege Vingegaard gegen den offenherzigen Instinktfahrer Pogacar: Das aktuelle Gigantenduell der Gegensätze bei der Tour de France ist ein Kampf der Gegensätze so wie einst zwischen Laurent Fignon und Greg LeMond, Jan Ullrich und Lance Armstrong.

Und das zwischen Raymond Poulidir und Jacques Anquetil, das die „Grande Nation“ Frankreich einst in zwei Lager teilte.

Der auf wie neben dem Rad elegante „Maitre Jacques“ hatte einst ein ähnliches Image wie heute Vingegaard: Im Vergleich zu Publikumsliebling Poulidor galt er als berechnend, distanziert und wenig nahbar, seine Popularitätswerte waren geringer als die des 2019 verstorbenen „Poupou“.

{ "placeholderType": "MREC" }

Sportlich allerdings sah die Lage anders aus: Während Poulidor die Tour nie gewann und als „ewiger Zweiter“ in die Geschichte einging, schrieb Anquetil heute vor 60 Jahren Geschichte, als er die Tour als erster Fahrer viermal gewann.

Lesen Sie auch

Ein fünfter Titel kam hinzu, Anquetil steht damit in einer Reihe mit Eddy Merckx, Bernard Hinault, Miguel Indurain. Aber Anquetil war auch eine zwiespältige Figur mit einer teils verstörenden Vita - und ein geständiger Intensiv-Doper, der in der Rückschau auch die Frage aufwarf, inwieweit sein früher Tod damit zusammenhing.

Jacques Anquetil gewann die Tour de France als erster Fahrer fünfmal
Jacques Anquetil gewann die Tour de France als erster Fahrer fünfmal

Jacques Anquetil gewann erste Tour de France mit 15 Minuten Vorsprung

Anquetil wurde am 8. Januar 1934 in Mont-Saint-Aignan in der Normandie geboren, in schwierigen Verhältnissen: Der früh verwaiste Vater Ernest - Enkel eines preußischen Soldaten - lebte nach dem zweiten Weltkrieg als Erdbeerfarmer, war Alkohol und Gewalt zugeneigt und vertrieb damit Mutter Marie aus dem gemeinsamen Haus.

Der junge Jacques arbeitete eigentlich auf ein einfaches Leben als Metallarbeiter hin, war aber auch ein guter Schüler - besonders in Mathematik - und erwies sich schließlich als Radsport-Talent, in dem das Zeug für eine Profi-Karriere steckte.

{ "placeholderType": "MREC" }

Schon in jungen Jahren verblüffte Anquetil als Zeitfahrspezialist, der schon mit 20 den damaligen Stundenweltrekord von Fausto Coppi brach und sich den Ehrentitel „Monsieur Chrono“ erwarb.

Bei der Tour debütierte er 1957 und galt damals eher nicht als Siegkandidat: Dass er nicht nur die Uhr, sondern auch die Berge bezwingen würde, galt Experten von damals als unwahrscheinlich.

Anquetil beantwortete es mit der selbstbewussten Ansage: „Wenn man Anquetil heißt, kommt man nicht zur Tour, um sie kennenzulernen, sondern um sie zu gewinnen.“

Er gewann sie - mit 15 Minuten Vorsprung.

Anquetil vs. Poulidor: Ein legendäres Duell

Zwischen 1961 und 1964 folgen vier weitere Triumphe, legendär war vor allem der letzte Sieg, wo er sich mit Poulidor ein Ellbogen-Duell am in diesem Jahr ins Tour-Programm zurückgekehrten Puy de Dome lieferte.

Pechvogel Poulidor erkannte seinerzeit zu spät, dass Anquetil erschöpft war und er ihn noch einholen können, wäre er früher auf Sieg gefahren. Es war die Essenz der Rivalität, dass Anquetils strategisches Geschick immer wieder den Unterschied machte.

Jacques Anquetil und seine Rivalen George Poulidor und Tom Simpson (l.) im Jahr 1963
Jacques Anquetil und seine Rivalen George Poulidor und Tom Simpson (l.) im Jahr 1963

Anquetil war der erste Fahrer, der die Tour fünfmal gewann und der Rekord gilt noch heute beziehungsweise heute wieder - nachdem das 2012 das Doping-System von Lance Armstrong endgültig aufflog und ihm seine sieben Triumphe aberkennt worden waren.

Die Weste von Anquetil ist dabei auch nicht weiß. 1967 gab er selbst zu: „Ich habe mich gedopt. Jeder dopt sich.“

In der Wildwest-Ära des Dopings

Was Anquetil damals tat, bewegte sich in einem anderen Kontext als Armstrong: Bis zum Jahr 1966 gab es bei der Tour überhaupt keine Dopingkontrollen, es war eine Wildwest-Zeit mit oft erschreckenden Auswüchsen.

Bei Anquetils erstem Sieg 1957 schied der spätere Sieger Frederico Bahamontes aus, weil ihm - so die Berichte von damals - ein Betreuer eine Calciumlösung spritzte, die Vene verfehlte und eine Muskellähmung auslöste.

Die Reaktion der Tour damals: ein mahnender Hinweis, „medizinische Hilfeleistungen“ bitte doch nur von richtigen Ärzten vornehmen zu lassen. Anquetil putschte sich im selben Jahr unter anderem mit Strychnin auf.

Die offene Doping-Akzeptanz reichte in der Ära Anquetil bis in höchste politische Kreise: „Doping? Was für ein Doping? Hat oder hat er nicht dafür gesorgt, dass unsere Nationalhymne gespielt wird?“, sagte einst Frankreichs berühmtester Staatspräsident Charles de Gaulle. De Gaulle bewunderte seinen Nationalhelden auch persönlich, er wurde mit zahlreichen Ehrungen dekoriert.

Jacques Anquetil wurde 1964 von Papst Paul VI. im Vatikan empfangen
Jacques Anquetil wurde 1964 von Papst Paul VI. im Vatikan empfangen

„Ich bin doch kein Hund, der öffentlich pinkelt“

Als sich die Kultur wandelte, ging Anquetil auf die Barrikaden. „Es ist eine Schande, nur eine einzige Berufsgruppe ist davon betroffen, die der Profiradfahrer“, sagte er, nachdem in Frankreich 1965 ein Anti-Doping-Gesetz verabschiedet wurde. Keiner kümmere sich darum, „ob ein Student, ein überarbeiteter Jurist oder ein Arbeiter, der Überstunden machen will, Stimulanzien nimmt“.

Anquetil dopte - wie viele andere - weiter und spürte die neuen Zeiten, als ihm 1967 wegen einer verweigerten Kontrolle ein neuer Stundenweltrekord aberkannt wurde. „Ich bin doch kein Hund, der öffentlich pinkelt“, teilte er den Kontrolleuren damals mit. Es war dasselbe Jahr, in dem die Tour durch die von Doping mitverursachte Tragödie um Tom Simpson erschüttert worden war.

Nach eigener, späterer Auskunft, nahm Anquetil damals Cortison, Koffein und Amphetamine. Es sei „unmöglich, als Profi anders zu handeln“, begründete er. Er sagte dabei auch: „Ich rate euch Jungen davon ab, es auch zu tun.“

Bleibt die Frage, welcher Teil der Botschaft eher hängen blieb: Der Teil mit: Nicht nachmachen, Jungs? Oder der Teil mit: Unmöglich, es als Profi nicht zu tun?

Schockierende Enthüllung nach dem Tod

1969 beendete Anquetil - der auch gut befreundet mit dem deutschen Star Rudi Altig war - seine Karriere und widmete sich seinem Landgut in der Normandie. Sein privates Leben dort sorgte posthum für Schlagzeilen: Tochter Sophie schockierte die französische Öffentlichkeit 2004 mit der Enthüllung, dass er mit Frau Jeannie und Stieftochter Annie in einer Dreiecksbeziehung gelebt und mit beiden Kindern gezeugt hätte.

Jacques Anquetil war da schon lange nicht mehr am Leben, am 18. November 1987 starb er an Magenkrebs.

V.li.: Bernard Hinault (Frankreich), Eddy Merckx (Belgien) und Miguel Indurain (Spanien) am Grab von Jacques Anquetil (Frankreich) - alle vier gewannen fünfmal die Tour Radsport Herren Straßenradsport, Straße, Radrennen, Rad, Straßenrennen 1997, Profi, Profis Gruppe Straßenradrennsport, Radrennsport Nachdenklichkeit,
61aeac40c44d01697b693bc40bed5b077a25f10a

Der jahrelange Medikamentemissbrauch könnte eine Rolle bei der Erkrankung gespielt haben, eine ähnliche Debatte gab es um den 2010 an Bauchspeicheldrüsenkrebs verstorbenen Laurent Fignon, der vorher selbst über einen indirekten Zusammenhang mit dem eigenen Doping mutmaßte.

Auf Jacques Anquetils Grabstein steht der Satz: „Vor ihm hat man sich nicht vorstellen können, dass es einen Anquetil geben könnte.“ Er liest sich heute doppeldeutiger, als er wohl gemeint war.