Die Reiter wissen, was die Uhr geschlagen hat. „Unser Sport ist ernsthaft in Gefahr“, steht in einem Brief, den eine Gruppe namhafter Athleten - darunter die siebenmalige Olympiasiegerin Isabell Werth - an den Weltverband FEI richtete. Die Süddeutsche Zeitung zitierte aus dem Schreiben: „Die aktuellen Skandale und der existenzgefährdend schlechte Ruf könnten das Ende der Dressur und Paradressur als olympische Disziplinen und das Ende ihrer olympischen Zukunft bedeuten.“
„Könnte das Ende bedeuten“
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Was ist los im Ballett der tanzenden Pferde? Im Herbst 2023 tauchten Bilder aus dem Stall des dänischen Reiters und Ausbilders Andreas Helgstrand auf: Pferde mit blutenden Wunden am Maul und an den Flanken, übermäßiger Einsatz von Trense und Sporen und die berüchtigte Rollkur. Der dänische Sender TV2 hatte die Machenschaften aufgedeckt, Helgstrand wurde vom Verband bis 2025 gesperrt, seine Firma „Helgstrand Dressage“ verlor den Status als Ausbildungsbetrieb.
Die Büchse der Pandora ist geöffnet, im Januar kam ein weiterer Fall von unglaublicher Tierquälerei ans Tageslicht. Zwei Jahre alte Videos aus der Trainingsarbeit des für die USA startenden Kolumbianers Cesar Parra zeigen verstörende Szenen. Pferde werden „gerollt“, ausgepeitscht und getreten, zu den Anwesenden vor Ort gehörte auch ein deutsches Züchterpaar. Damit musste die FN reagieren. Die Standards für das Wohlergehen der Pferde müssten eingehalten, das Problem rigoros angegangen werden, heißt es in einem Statement des deutschen Verbandes.
Auch Matthias Rath gerät in die Kritik
Und als sei das alles nicht schon mehr als genug an Perversion, geriet zuletzt auch ein deutscher Name ins Gerede. Matthias Rath, einst Reiter des ausgebeuteten, 2020 verstorbenen Wunderpferdes Totilas, soll beim Turnier im Januar in Neumünster seinen Hengst Thiago im Training mittels der offiziell längst verpönten Rollkur in die Spur gebracht haben. Dabei wird das Pferd gezwungen, den Hals so weit zu überdehnen, dass es sich fast in die eigene Brust beißt. Rath wehrte sich im Gespräch mit der Reiterrevue. Er wolle betonen, dass „eine falsche Kopf-Hals-Haltung weder meine Absicht noch Teil meines Trainings ist“.
Tatsache ist, das Kind ist längst in den Brunnen gefallen. Ihr sei es wichtig, dass „wir zukünftig eine ehrliche und faire Diskussion führen, die ganz klar zwischen schlechtem Reiten und Tierquälerei unterscheidet“, ließ Isabell Werth in den Sozialen Medien wissen. Fehler im Reiten „dürfen und müssen diskutiert werden. Aber bitte sachlich, objektiv und fair.“
Ingrid Klimke bezeichnete vor allem den Fall Parra als „abartig und schrecklich. Aber niemand sollte meinen, dass es dieses Problem hierzulande nicht gibt“, sagte sie dem NDR.
Olympiasieger betitelt Praktiken als „Vergewaltigung“
Bundestrainerin Monica Theodorescu verurteilt „solchen Umgang mit dem Partner Pferd aufs Schärfste. Wir distanzieren uns deutlich von Trainingsmethoden dieser Art“, wird Theodorescu in einer Mitteilung der FN zitiert. Und Reitmeister Hubertus Schmidt, 2016 in Rio Mannschafts-Olympiasieger, bezeichnete die perversen Praktiken schlicht als „Vergewaltigung“.
Wie geht es also weiter? Anfang der Woche schrieben die Verbände aus Schweden, Dänemark, Finnland und Norwegen einen offenen Brief an die FEI. Nach mehreren „bemerkenswerten Fällen“ sei es offensichtlich, „dass wir auf internationaler Ebene handeln müssen“, heißt es darin. Trotz aller bisherigen Bemühungen sei „noch viel zu tun, um das Wohlergehen der Pferde jederzeit zu gewährleisten“. Jederzeit kann in diesem Fall nur bedeuten: Rechtzeitig.