Über 15 Millionen Dollar Preisgeld hat Carlos Alcaraz in seiner so kurzen Tenniskarriere bereits eingestrichen. Um seine finanzielle Zukunft wird sich der 22-Jährige daher keine Sorgen mehr machen müssen, falls er keine allzu schlechten Entscheidungen trifft.
6 Tennis-Matches an einem Tag! Die verrückte Geschichte dazu
„Da schmeißt man das Geld raus“
Doch verlässt man im Tennis die Top 100, sieht die Situation deutlich schwieriger aus. Ein Lied davon singen kann der deutsche Tennisprofi Christoph Negritu. Der 31-Jährige holte bereits 2012 erste Weltranglistenpunkte. Sein Preisgeld in seiner bereits langen Karriere beläuft sich insgesamt aber nur auf 36.708 Dollar, was etwas über 31.000 Euro entspricht.
Berücksichtigt man die Kosten, die allein für die Reisen zu Turnieren sowie Unterkünfte draufgehen, wird schnell klar, dass diese Rechnung auf Dauer ohne anderweitige Unterstützung kaum aufgehen kann. Nur dieser ist es auch zu verdanken, dass Negritu heute immer noch seinem Traum nachgehen kann und jüngst sogar die höchste Platzierung (263) seiner Karriere erreicht hat.
„Da müssen meine Eltern die größten Awards dafür bekommen. Die haben alles in ihrer Macht getan, um mich zu unterstützen und tun es immer noch“, erklärt Negritu im SPORT1-Tennis-Podcast „Cross Court“. Denn: „Wenn man auf Futures (niedrigste Kategorie im Profi-Tennissport, Anm. d. Red.) und so spielt - da ist kein Geld drin. Da schmeißt man das Geld raus, wenn man nicht jedes Future gewinnt.“
Negritu verrät, dass dies auch zu speziellen Drucksituationen vor Matches führen kann: „Es gab Momente, wo ich bei einem Turnier war und zum Beispiel im Viertelfinale stand und wusste: Okay, ich muss am besten gewinnen, weil dann wird es ein bisschen einfacher ein Hotel zu zahlen, sonst wird es echt eng nächste Woche.“
„Körperlich war das insane“: Sechs Tennis-Matches an einem Tag
Doch Negritu kämpfte sich durch schwierige Zeiten und kletterte im August bis auf Rang 263 der Weltrangliste. Um genug Geld zu verdienen, reicht aber auch dies im Tennis nicht, erzählt er: „Wenn man sagt, ich bin die 260 der Welt, und vergleicht das mit einem Fußballer, der der 260-beste ist - der muss sich nicht darum kümmern, wo es nächste Woche hingeht oder was auf dem Tisch steht.“
Dieses Wissen kann sogar dazu führen, dass man selbst dann spielt, wenn es körperlich wenig Sinn ergibt.
So geschehen bei einem ITF-Turnier in Monastir 2023, als Negritu wegen Verschiebungen durch Regenfälle unglaubliche sechs(!) Matches an einem Tag spielte, drei Partien im Doppel, drei im Einzel. Pausen zwischen den Matches? Undenkbar. „Ich bin auf dem Platz sitzen geblieben und wir haben auf die Gegner gewartet“, verrät er.
Klar ist: „Körperlich war das insane. Ich habe durchgezogen im Doppel, weil jede Runde im Doppel gibt mehr Geld. Und man denkt sich: ‚Wenn ich hier Einzelfinale spiele, dann noch Doppelfinale, habe ich mit dem Doppel das Hotel drin und vielleicht sogar ein bisschen Plus.“
Für ihn steht aber auch fest: „Allein, dass man sich solche Gedanken macht, sagt schon, dass einiges in dem System falsch läuft.“
„Mein Körper hat kompletten Shutdown gemacht“
Denn solche Entscheidungen gehen oft zu Lasten der eigenen Gesundheit.
„Ich bin zu Hause angekommen und da hat mein Körper einen kompletten Shutdown gemacht. Ich lag drei Tage mit Fieber im Bett und wurde krank. Mein Körper war komplett am Ende danach. Das werde ich auch nie wieder machen“, erzählt Negritu.
Dennoch kann er dem verrückten Erlebnis damals auch viel Gutes abgewinnen: „Ich glaube, ich halte den Rekord für die meisten Matches gespielt an einem Tag. Das war eine Wahnsinns-Situation.“
„Wie Alcaraz und Sinner auf die Murmel prügeln, ist geisteskrank“
Doch es ist nicht die einzige „Wahnsinns-Situation“, die man abseits der ATP-Tour erlebt. So spielte Negritu mit seinem Doppelpartner Alexander Merino einmal in Belgien „ein internationales Turnier. Und der einzige Zuschauer war der Hausmeister, der gerade hinten sauber gemacht hat. Der hat dann seinen Besen hingestellt, hat kurz gekuckt, zweimal geklatscht - und dann wieder weiter sauber gemacht.“
Doch auch wenn der Spieler von Eintracht Frankfurt in einer anderen Tenniswelt lebt, verfolgt er die Weltspitze um Carlos Alcaraz und Jannik Sinner ebenfalls genau. Diese stünden stellvertretend für die Entwicklung des Spiels: „Man sieht bei Sinner und Alcaraz, wie die auf die Murmel drauf prügeln. Das ist geisteskrank, das gibt es ja gar nicht.“
Dennoch ist er der Meinung, dass Alexander Zverev gar nicht so weit weg ist. Nur eine Sache müsse er ändern: „In den Momenten bei Breakball, bei 30 beide - da mal einen zünden. Sascha hat die mit Abstand beste Rückhand auf der Tour, er kann es ja. Aber die (Alcaraz und Sinner) scheißen sich halt nichts und ziehen dann drauf.“
Christoph Negritu: „Will immer noch einen Grand Slam gewinnen“
Während Zverev den Traum vom Grand-Slam-Titel weiter nachjagt, träumt Negritu von der Teilnahme an einem Grand Slam.
Damit dies klappt, muss er etwa in der Region um Weltranglistenplatz 250 ankommen – dann kann er an der Qualifikation für das jeweilige Major teilnehmen.
Sein ganz großer Traum ist aber ein anderer: „Wie desillusioniert kann man sein, aber ich will immer noch ein großes Turnier gewinnen und immer noch einen Grand Slam gewinnen.“
Nur eine Sache ist Negritu noch wichtiger als der Erfolg - Spaß am Tennis: „Wenn es am besten läuft, gewinne ich einen großen Titel, alle sind happy, man hat Geld und kann sich ein teures Auto kaufen. Aber am Ende komme ich zurück vom Turnier und sitze zu Hause mit meinen Freunden und wir lachen da drüber, selbst wenn ich in der ersten Runde verliere.“
Auch deshalb will er dem Tennissport auf ewig die Treue halten: „Selbst wenn ich irgendwann als Trainer auf einem Future rumdackel, aber mich mit dem Spieler todlachen kann - auch dann habe ich das erreicht, was ich wollte.“
Das noch viel ausführlichere Interview mit Christoph Negritu rund um seinen Aufstieg, unglaubliche Geschichten sowie seine Analyse der Weltspitze um Alcaraz, Sinner und Zverev hören Sie in der neuen Ausgabe des SPORT1-Podcasts „Cross Court“ mit Moderatorin Sophie Affeldt und SPORT1-Tennis-Experte Stefan Schnürle.