Dominic Thiem geht hinter der Grundlinie des Arthur-Ashe-Stadions in New York zu Boden, sekundenlang bleibt er auf dem Hartplatz-Boden des größten Tennis-Stadions der Welt liegen. Einen Augenblick zuvor war eine Rückhand seines guten Freundes und Finalgegners Alexander Zverev seitlich ins Aus gesegelt.
Eine wahrhaft bittere Pointe der Tennis-Geschichte
Eine bittere Pointe der Geschichte
Der Österreicher genießt den Moment beinahe in Stille. Zuschauer sind aufgrund der Corona-Pandemie nicht im Stadion, um dem größten Karriereerfolg Thiems beizuwohnen - dem Gewinn seines ersten Grand-Slam-Titels bei den US Open am 13. September 2020, heute vor fünf Jahren.
Zum ersten Mal in der Geschichte der US Open drehte ein Spieler in einem Finale einen Zwei-Satz-Rückstand. Für Zverev, der bis heute vergeblich dem erlösenden Major-Triumph nachjagt, war es eine der bittersten Niederlagen seiner Karriere. Für Thiem ein umso größerer Moment der Freude.
„Es hat so sein müssen. Wie meine ganze Karriere. Ein Auf und Ab, einfach nur noch Drama“, sagte er nur wenige Minuten nach der Nervenschlacht, die über fünf Sätze ging - nichtsahnend, wie treffend er damit auch darüber sprach, was in der Zukunft noch folgen sollte.
Denn nachdem Thiem auf dem Höhepunkt angekommen war, folgte eine Talfahrt, die ihn in den Rücktritt trieb.
Nach US-Open-Sieg geht es anfangs gut weiter
Der Absturz begann - anders als viele meinen - nicht sofort nach dem Triumph in New York. Auch in den darauffolgenden Wochen präsentierte sich der Major-Champion weiter in starker Form, zog unter anderem ins Endspiel der ATP-Finals ein.
Doch in der Saison 2021 folgte der Bruch: Der 17-malige ATP-Titelträger kämpfte wenige Monate nach der Erfüllung seines selbst ernannten Lebenstraums mit sich selbst. Ein Motivationsloch tat sich auf, Thiem fiel hinein.
Zu allem Überfluss gesellte sich zu den psychischen Herausforderungen im Juni 2021 ein körperlicher Rückschlag hinzu, mit dem der 31-Jährige bis zuletzt zu kämpfen hatte. In der ersten Runde des Turniers auf Mallorca zog er sich eine Gelenkverletzung an seiner rechten Schlaghand zu.
Nach einer rund neunmonatigen Zwangspause folgte im März 2022 das Comeback, das jedoch schleppend verlief. „Durch die lange Pause und die Schonhaltung des Handgelenks haben sich einige falsche Sachen in meine Vorhand eingeschlichen“, erläuterte Thiem.
Wenige Lichtblicke, viele Zweifel
Einen kleinen Hoffnungsschimmer entfachte er durch den Finaleinzug beim 250er-Event in seiner österreichischen Heimat Kitzbühel 2023 - doch die Ernüchterung folgte schnell. Der Finaleinzug blieb eine Ausnahme.
Selbst auf der zweitklassigen Challenger Tour konnte er sich kein Selbstvertrauen erspielen, kassierte dort Niederlagen gegen unbekanntere Namen wie seinen Landmann Lukas Neumayer oder Daniel Michalski.
Die Versuche, sich durch Trainerwechsel neue Impulse zu holen und so auf die Erfolgsspur zurückzukehren, liefen ebenfalls ins Leere. Von seinem Ex-Coach Benjamin Ebrahimzadeh trennte sich Thiem nach der Erstrunden-Niederlage bei den Australian Open 2024 - die sich als sein letztes Major-Turnier entpuppten. „Ich sehe das auch als letzte Chance“, hatte er damals erklärt. Bald darauf war klar: Auch die Trainer-Rochade lief ins Leere. Mit nur 30 Jahren verkündete Thiem im Frühjahr 2024 sein Karriere-Ende.
Karriereende schon nach der Tennis-Saison
Wie groß das unausgeschöpfte Potenzial war, zeigt vor allem eine Statistik: Thiem war neben Andy Murray der einzige Spieler, der jeden der „Big Three“ - Nadal, Novak Djokovic und Roger Federer - mindestens fünfmal besiegt hat.
Insgesamt schafften nur Jo-Wilfried Tsonga, Juan Martin del Potro (je insgesamt 17 Siege gegen die „Big Three“) sowie Murray (30) dies noch häufiger, wobei diese auch öfter das Vergnügen - oder das Leid - hatten, auf die Großen Drei zu treffen.
Auch dem großen Ziel, als zweiter Österreicher nach Thomas Muster Nummer 1 der Weltrangliste zu werden, war der zweimalige French-Open-Finalist Thiem nicht fern.
Während sich nun mit Carlos Alcaraz und Jannik Sinner eine neue Elite herausbildet, verabschiedete Thiem sich als besonders unglücklicher Vertreter der Generation.