Der 29. Januar 2022 geht in die australische Tennis-Geschichte ein.
Australian Open: Nick Kyrgios' irre Tennis-Show - revolutionär oder "absoluter Idiot"!?
Eine fragwürdige Tennis-Revolution
Nicht nur, weil Lokalmatadorin Ashleigh Barty in beeindruckender Manier die Australian Open gewann und es Nick Kyrgios und Thanasi Kokkinakis ihr wenige Stunden später in einem rein australischen Doppel-Finale gleichtaten - sondern vor allem deshalb, weil durch den Tag möglicherweise ein als verstaubt angesehener Wettbewerb revolutioniert wurde. (Die Australian Open im LIVETICKER)
Kyrgios und sein Landsmann zelebrierten das Doppelspiel beim ersten Grand Slam des Jahres auf ihre ganz eigene Art - und eroberten damit die Gunst der australischen Zuschauermassen im Sturm.
Die Stadien waren voll, die Fans begeistert, wenn das Duo aus Down Under die Plätze in Melbourne rockte. „Unglaublich, wie die TV-Quoten hochschnellen“, konstatierte der dreimalige Australian-Open-Sieger Mats Wilander darüber hinaus bei Eurosport.
Kyrgios und Kokkinakis ziehen im Doppel großes Interesse auf sich
Tatsächlich stieg das Interesse an den TV-Bildschirmen rasant an. Beim Drittrundenmatch von Kyrgios und Kokkinakis schalteten etwa so viele Personen ein wie normalerweise bei einer Partie eines Top-Stars im Herreneinzel zur Prime Time.
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Alles eine zufällige Entwicklung? Mitnichten!
„Mein Ziel ist es, neue Fans, die Tennis möglicherweise nicht verfolgen, dazu zu bringen, Tennis zu schauen“, ließ Kyrgios im Laufe des Turniers verlauten: „Wenn sie bei einem Match einschalten und sie sehen Thanasi und mich, wie wir ein unterhaltsames Doppel-Match spielen - und sie haben keine Ahnung von Tennis - dann schalten sie wahrscheinlich deshalb nächstes Mal wieder ein.“
Der 26-Jährige ging sogar so weit zu behaupten: „Darauf bin ich aus. Ich denke, so wird der Sport überleben.“ (DATEN: Australian Open Herren Spielplan)
Wilde Show bei den Australian Open 2022
Er wolle seinen Landsleuten, die von den Strapazen durch die Corona-Pandemie ausgelaugt seien, einfach eine großartige Unterhaltung bieten.
Wie der Tennis-Bad-Boy und sein Partner es geschafft haben, die Aufmerksamkeit so vieler Leute auf sich zu ziehen, war in ihren sechs Matches in Melbourne hinlänglich zu bestaunen.
Von spektakulären Schlägen, Diskussionen mit dem Schiedsrichter, ausufernden Jubelarien, wilder Animation des Publikums über zertrümmerte Schläger, einen Abschuss eines Kindes mit anschließender Entschuldigung, Wutausbrüche sowie provokanten Interviews bis hin zu einem Po-Grabscher und dem Veranlassen eines Fan-Rauswurfs war alles dabei. Als „eine Revolution im Welttennis“, bezeichnete Channel 9 die Show des australischen Duos nach dessen viertem Sieg.
Kyrgios war noch nie ein Kind von Traurigkeit und hat in seiner Karriere immer wieder auch im Einzel mit Ausrastern, Skandalen, Beleidigungen und Aufschlägen von unten für Aufsehen gesorgt, doch die eineinhalb Wochen bei den Australian Open erreichten eine ganz neue Dimension in Sachen Aufmerksamkeit.
So erklärt Kyrgios sein Auftreten
„Es ist ja nicht so, dass ich ein Clown-Outfit anziehe und da draußen einen Zirkus veranstalte“, rechtfertigte sich der Mann aus Canberra und erläuterte: „Ich habe auch auf traditionelle Weise gespielt und Titel, große Titel gewonnen. Jetzt bin ich dazu in der Lage, eine andere Art von Fanbase anzusprechen. Meiner Meinung nach ist das nur positiv.“
Dieser Ansicht ist Kyrgios nicht alleine. „Nick Kyrgios ist genau der Typ, den das Männertennis dringend benötigt“, titelte etwa das renommierte neuseeländische Nachrichtenportal Stuff in einem Kommentar.
Sogar Max Purcell, im Doppel-Finale 2022 an der Seite von Matthew Ebden unterlegen, musste anschließend gestehen: „Hoffentlich tretet ihr später dieses Jahr wieder zusammen im Doppel an. Es ist einfach ein höllischer Spaß, euch spielen zu sehen.“
Selbstverständlich sind nicht alle begeistert von der Spiel- und Verhaltensweise des Duos Kyrgios/Kokkinakis. Der deutsche Doppel-Spezialist Tim Pütz, der sich den Australiern gemeinsam mit Michael Venus im Viertelfinale geschlagen geben musste, machte klar, was er von dessen Auftreten hält.
Pütz und Venus kritisieren Kyrgios nach Viertelfinale
„Was er da teilweise zwischen dem ersten und zweiten Aufschlag macht, hat nichts mit Entertainment und Witz zu tun. Das ist einfach nur unsportlich“, kritisierte Pütz Kyrgios scharf. Der Tennis-Rüpel hatte die Fans, die ohnehin schon extrem aufgedreht waren, immer wieder angestachelt und schließlich so weit gebracht, dass diese das deutsche Gespann ausbuhten - eine absolute Unart im Tennis.
Venus wurde sogar noch deutlicher. „Er hat die Reife eines 10-Jährigen. Am Ende des Tages ist er einfach nur ein absoluter Idiot“, schimpfte der 34-Jährige.
Wenn Kyrgios‘ bisweilen als unreif erachtetes Verhalten auf das Publikum abfärbt, das in der stark von Konzentration geprägten Sportart wesentlichen Einfluss nehmen kann, wird es in der Tat problematisch. (DATEN: Australian Open Damen Spielplan)
Pütz relativierte allerdings: „Tennis ist Entertainment und Kyrgios ist gut für den Sport in vielerlei Hinsicht. Solange es keine richtigen Regeln gibt - meine Güte, dann ist das so. Deshalb habe ich gesagt, mental war es sehr anstrengend. Schon wild da draußen.“
Setzen Kyrgios und Kokkinakis Erfolgsstory fort?
Fraglich ist, ob das Rezept von Kyrgios und Kokkinakis auch außerhalb Australiens erfolgreich ist. Womöglich werden sie von Tennis-Fans in anderen Ländern nicht so gefeiert.
Ob die beiden auch bei den weiteren Grand-Slam-Turnieren gemeinsam antreten können, ist noch unklar - denn ihre Weltranglistenpositionen im Doppel lauten nach ihrem Triumph lediglich 40 (Kyrgios) und 46 (Kokkinakis). Bei den Australian Open hatten die „Special Ks“ nur dank einer Wildcard des australischen Verbandes die Möglichkeit, ihre Show abzuziehen.
Doch da sich Kyrgios selbst auf einer Mission sieht, dürfte das Erfolgsduo nun öfter Seite an Seite im großen Rampenlicht zu sehen sein. Vor allem auch deshalb, weil der 26-Jährige in der Weltrangliste im Einzel aus den Top 100 gerutscht ist und auch ohne viel quälendes Training ein guter Doppelspieler ist.
Es scheint, als hätte der Bad Boy der Szene seine wahre Berufung gefunden.