In der langen Historie der NFL ist eine Sache noch nie geschehen: noch nie hat ein Rookie-Quarterback sein Team in den Super Bowl geführt. Könnte es in dieser Saison so weit sein? (NEWS: Alle aktuellen Infos zur NFL)
Bradys Erbe lässt die NFL staunen
Nach drei Pleiten in den ersten vier Spielen haben sich die New England Patriots fast ein wenig unbemerkt nach vorne gepirscht.
Das Team von Trainer-Legende Bill Belichick steht mit einer Bilanz von 7:4 nicht nur als Division-Leader an der Spitze der AFC East, die Franchise rangiert im Playoff-Picture der AFC schon auf Platz 3 - vor Vorjahresfinalist Kansas City Chiefs oder den hochgehandelten Buffalo Bills. (DATEN: Alle Tabellen der NFL)
Dabei hatten die Patriots vergangene Saison noch erstmals seit 12 Jahren die Playoffs verpasst. Aber jetzt ist die alte Macht New England wieder da.
Vier Quarterbacks vor Jones gedraftet
Einen großen Anteil an diesem Erfolg hat Mac Jones. Jener Quarterback also, der nicht nur in Runde eins als letzter Spielmacher gepickt wurde, sondern der auch noch vor dem Draft von vielen Experten wenig Zuspruch erhalten hatte.
Stattdessen wurde über andere gesprochen. Nummer-1-Pick Trevor Lawrence (Jacksonville Jaguars) war in aller Munde, Zach Wilson (2, New York Jets), Trey Lance (3, San Francisco 49ers) oder Justin Fields (11, Chicago Bears).
Alle vier wurden vor Jones gedraftet, erleben aber in großen Teilen eine holprige erste NFL-Saison, spielen teils überhaupt nicht. Die Aufmerksamkeit aufgrund von starken Leistungen gilt ihnen zumeist nicht.
Mathieu verteidigt Mac Jones
Stattdessen richten sich die Augen auf Jones, der noch vor der Talenteziehung als zu unbeweglich außerhalb der Pocket galt und dem auch kein starker Wurfarm attestiert wurde.
Einschätzungen, über die sich kürzlich ausgerechnet Chiefs-Safety Tyrann Mathieu so richtig aufregte. „Mac Jones war euch anfangs nicht trendig genug und jetzt fahrt ihr alle auf ihn ab? Ihr seid lächerlich“, richtete er scharfe Kritik an die selbsternannten Quarterback-Experten.
„Die Leute bewerten ihn schlechter, bloß weil er keine Side-Arm-Würfe kann und nicht schnell läuft. Der Junge kann Quarterback spielen. Punkt“, hielt er via Twitter ein leidenschaftliches Plädoyer für den 23-Jährigen.
Patriots-Quarterback überzeugt mit starken Zahlen
Und dessen Zahlen sprechen für sich. Im Spiel gegen die Cleveland Browns in Woche 10 gelangen ihm drei Passing-Touchdowns - eine Interception musste er nicht hinnehmen. Dies gelang seit dem Franchise-Debüt der Pats im Jahr 1960 noch keinem Rookie-Quarterback.
Aus dem Nichts kommt dies freilich nicht. So erklärte Offensive Coordinator Josh McDaniels im Interview mit NBC Sports, in den beide Partien zuvor hätte der Youngster eine „Durststrecke“ erlebt. Zwar gewannen die Patriots beide Spiele, dem Rookie gelang aber nur ein Touchdown-Pass. Was folgte, war eine Umstellung in Jones‘ Spiel, die vorrangig das Ziel hatte, den Ball schneller loszuwerden. Mit Erfolg.
Laut Next Gen Stats benötigte er gegen die Browns pro Passversuch nur 2,41 Sekunden. Ein Wert, nur knapp entfernt von den 2,38 Sekunden, die Ben Roethlisberger in der laufenden Saison als Bestwert aufstellte. An seiner Präzision hat dies übrigens nichts geändert.
In elf Saisonspielen erreichte der 23-Jährige bereits fünf Mal ein Passer Rating über 100 bei mindestens 20 Passversuchen. Den vier anderen Erstrundenpicks glückte dies dagegen noch kein einziges Mal.
Harmonie im System von Belichick
Mac Jones überzeugt vor allem mit seiner Passgenauigkeit und der Fähigkeit, schnell Entscheidungen zu treffen. 14 Touchdowns stehen bislang acht Interceptions gegenüber.
Dass der in Florida geborene Youngster bei den Patriots derartig gut aussieht, liegt an einer Vielzahl an Dingen. Sein ruhiges und auf wichtige Dinge fokussiertes Wesen passt zunächst einmal perfekt zu Head Coach Bill Belichick.
Seine Spielweise hat ebenfalls einen entscheidenden Anteil. Jones wird nie ein Quarterback sein, der viele Touchdowns selbst erläuft oder heikle Situationen mit einem Run löst.
Stattdessen schickt er in Windeseile präzise Pässe in Richtung seiner Mitspieler. Eine Eigenschaft, die ihn mit Patriots-Legende Tom Brady eint und die perfekt in das System von Belichick und McDaniels passt.
Dies ist auch einer der Gründe, warum es mit dem laufstarken Cam Newton, der im Passspiel Schwächen offenbarte, nicht geklappt hat.
Jakob Johnson als wichtiger Beschützer
Doch auch seine Mitspieler haben einen großen Anteil. Das Laufspiel funktioniert und entlastet den Signal Caller merklich. Dies ist umso beeindruckender, wenn man bedenkt, dass sich mit James White der beste Running Back bereits zu Saisonbeginn schwer verletzt hat.
Neben der traditionell starken Defense ist es zudem die gesamte Offensive, die Jones optimale Bedingungen bereitet. Die O-Line steht zumeist sicher und bietet ihm genügend Zeit, um einen akkuraten Pass zu werfen.
Dabei ist es auch ein deutscher Spieler, der Jones den Rücken freihält. Fullback Jakob Johnson hat sich mit seinen Blocks und Tackles als exzellenter Beschützer herausgestellt, den der 23-Jährige nicht missen möchte. „Er ist großartig. Das ist mein Junge“, lobt der Quarterback den Stuttgarter kürzlich auf einer Pressekonferenz. „Er macht immer genau das, was er tun soll“, erklärte Jones weiter und betonte, Johnson mache „kaum Fehler und Fehlentscheidungen.“
„Tennisspieler“ Jones musste Mentalität erst lernen
Für den Spielmacher, seinen Beschützer und die Patriots geht es nun in die heiße Phase der Saison. Noch sechs Spiele sind zu absolvieren, ehe die Playoffs starten. Gefragt sein werden in dieser Zeit nicht nur die sportlichen Fähigkeiten des Brady-Erben. Auch seine Qualität als Führungsperson wird benötigt. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der NFL)
Diese hatte der Rookie aber nicht von Anfang an. Am College, bei den Alabama Crimson Tide, legte er eine „Tennisspieler-Mentalität“ an den Tag, wie sein früherer Coach Nick Saban in seinem Podcast verriet.
Für den 23-Jährigen, der aus einer Familie mit vielen Tennisspielern stammt, wenig verwunderlich – und doch äußerst hinderlich.
Und so musste er erst lernen, „seine Emotionen kontrollieren“ zu können und sich nicht allzu sehr aufzuregen oder frustriert zu sein, wenn eine Aktion nicht gelang, erklärte Saban.
„Das war es. Er musste verstehen, wie er die anderen beeinflusst. Football ist kein individueller Sport. Er ist der Anführer des Teams, und wenn du dich aufregst, sehen das alle anderen, und das ist nicht gut für deine Position. Du musste der Oberbefehlshaber sein. Du musst die Kontrolle über das Geschehen haben.“
Als erster Rookie-QB im Super Bowl?
Die Ratschläge seines ehemaligen Trainers hat Jones in jedem Fall befolgt. Seine Mitspieler schwärmen von ihm als entspanntem und souveränen Teamkollegen.
Und diesem könnte am Ende der Saison auch ein persönlicher Erfolg beschieden sein. Im Rennen um den Titel Rookie des Jahres ist er ein heißer Anwärter.
Und vielleicht gelingt ihm ja sogar etwas Historisches: als erster Rookie-Quarterback sein Team in den Super Bowl zu führen. Gegner dort könnte dann übrigens ein gewisser Tom Brady sein.