In der vergangenen Saison verpassten die Seattle Seahawks wie in den zwei Jahren zuvor die Playoffs in der NFL. Im exklusiven SPORT1-Interview blickt David Young, COO bei den Seahawks, auf die Offseason, spricht über die NFL in Deutschland und auch die dortige Entwicklung.
"Wir haben uns mit den Giganten getroffen - FC Bayern und BVB!"
„Leipzig ist ziemlich interessant“
Zudem verrät Young, mit wem er sich eine Partnerschaft vorstellen könnte.
SPORT1: Herr Young, weil die Seahawks erst 2022 in Deutschland gespielt haben, schreiben die Liga-Regularien vor, dass das Team frühestens kommende Saison dorthin zurückkehren kann. Wie stehen die Chancen?
David Young: Wie Sie es gesagt haben: In diesem Jahr spielen die Indianapolis Colts in Berlin und wir kommen als Gegner nicht infrage. Sobald es wieder möglich ist, suchen wir immer die Möglichkeit, vor den 12s (Bezeichnung für Seahawks-Fans, Anm. d. Red.) in Deutschland zu spielen.
SPORT1: Wie genau läuft eigentlich die Entscheidung, welche Teams nach Deutschland kommen? Trifft die NFL diese allein, oder haben die Teams auch Einfluss?
Young: Es ist ein bisschen was von beidem. Letztlich ist es aber die Entscheidung der NFL. Die trifft diese Entscheidung und behält sie lange für sich. Wir, also die Teams, bekommen im Voraus wenig mit, außer vielleicht mal einen Hinweis, dass wir im Ausland spielen werden (lacht). Aber wir heben unsere Hand jedes Jahr. Wir sind eines der Teams, das die Liga in der Internationalisierung unterstützt, vor allem in Europa und insbesondere in Deutschland. Wir werden unsere Hand auch weiter heben und deutlich machen, dass die Seahawks interessiert sind, in Deutschland zu spielen.
„Leipzig ist ziemlich interessant“
SPORT1: Sie haben bereits in der Vergangenheit verraten, dass die Seahawks mit der Bundesliga und deren Top-Klubs wie Bayern, Dortmund oder Leipzig Gespräche über mögliche Partnerschaften abhalten.
Young: Wir sehen die Stärke der Bundesliga in Deutschland. Es ist ganz offensichtlich, dass es sich um die bekannteste Sportart und die bekannteste Liga in Deutschland handelt. Schon bevor wir die Marketingrechte für Deutschland, Österreich und Schweiz bekommen haben (2024, Anm. d. Red.), haben wir uns mit den Giganten auf diesem Markt getroffen.
SPORT1: Welchen Giganten?
Young: Bayern München, Borussia Dortmund und einigen anderen, auch mit der DFL. Wir streben derzeit keine exklusive Partnerschaft mit einem bestimmten Klub an, aber wir haben viele Beziehungen aufgebaut. Leipzig ist ziemlich interessant. Sie haben sich bei uns erkundigt und wir hatten ein paar Gespräche mit Leipzig, aber wir bleiben auch in Kontakt mit München und dem BVB, auch wenn der BVB jetzt eine Partnerschaft mit den Pittsburgh Steelers hat - die ergibt übrigens ziemlich viel Sinn wegen der Gemeinsamkeiten zwischen Pittsburgh und Dortmund. Der einzige Ort, wo wir exklusiv unterwegs sind, ist die European League of Football, in der wir eine Partnerschaft mit Rhein Fire haben. Diese Partnerschaft ergibt einfach sehr viel Sinn. Ein zweimaliger Champion, der - genau wie wir – versucht, American Football in Deutschland weiterzuentwickeln.
„Die Stimmung war elektrisierend“
SPORT1: In der NFL gelten Seahawks-Fans als die lautesten der Liga. Wie sehen Sie den Vergleich zwischen den Fan-Kulturen in Bezug auf Deutschland?
Young: Vor ein paar Jahren haben wir den Klassiker in Dortmund besucht und die Atmosphäre in diesem Stadium: Wow. Es hat sich ähnlich angefühlt, ich habe mich wie zu Hause im Lumen Field gefühlt. Die Stimmung war vom Start bis zum Ende elektrisierend. Die Fans waren hauptsächlich für das Sportliche dort, ähnlich wie bei uns in Seattle. Wir haben eine sehr sportinteressierte Fan-Base, das begeistert mich auch bei unseren deutschen Fans. Und genau das ist es auch, was uns nach Deutschland zieht: die Begeisterung für Sport, egal ob Fußball, ELF oder American Football. Da ist echte Leidenschaft - und das ist sehr ähnlich wie bei uns in Seattle. Das Lumen Field ist das lauteste Stadion der NFL. Ich sitze im Stadion hinter einer Glaswand und kann nicht einmal jemanden am Telefon verstehen. Und in Dortmund war es von der Lautstärke genauso.
SPORT1: Die Leistungsunterschiede zwischen der NFL und der ELF sind natürlich enorm groß, trotzdem haben in der Vergangenheit einige den Sprung geschafft, zuletzt in Kicker Lenny Krieg sogar ein Deutscher, der einen Dreijahresvertrag bei den Falcons unterschrieben hat. Wann spielt mal wieder ein Deutscher bei den Seahawks?
Young: Wenn ich diese Entscheidungen treffen dürfte, würde ich jetzt sofort alle deutschen Spieler verpflichten (lacht). Aus meiner Perspektive ist es natürlich extrem wichtig, dass die Fans auch von den Spielern repräsentiert werden. Und es stimmt: Das Talentlevel nimmt abseits von der NFL exponentiell zu, insbesondere in Deutschland. Das gibt den Spielern immer mehr Möglichkeiten, ob über das International Pathway Programm oder über Colleges in den USA. Letzteres war der Weg unseres Punters Michael Dickson, der aus Australien kommt. Es gibt immer mehr Wege in die NFL und das ist auch ein Aspekt, den wir in Deutschland verfolgen, zum Beispiel mit unseren Flag-Football-Camps, die wir hier ausrichten. Und wenn ein internationaler Spieler zu uns passt, werfen Mike Macdonald (Headcoach, d. Red.) und John Schneider (General Manager, d. Red.) sofort einen Blick auf ihn.
Popularität wegen der „Legion of Boom“
SPORT1: In Deutschland gehören die Seahawks zu den populärsten NFL-Teams. Wieso ist das so?
Young: In Deutschland gab es schon sehr lange eine große Affinität zu American Football, auch durch die NFL Europe und ihre deutschen Teams. Es gab also schon immer ein perfektes Fundament. Es war dann einfach ein perfekter Zeitpunkt, als ProSieben angefangen hat, die NFL auszustrahlen, ausgerechnet in 2012, dem Jahr, in dem wir einen jungen Mann namens Russell Wilson gedraftet haben. Außerdem entstand gerade die Legion of Boom (Seattles berühmte Defense, Anm. Red) und Marshawn “Beastmode” Lynch ist in die Endzone gelaufen. Wir haben zu der Zeit viel gewonnen, auf eine Art, die beim Zuschauen sehr viel Spaß gemacht hat. Außerdem hatten wir sehr große Charaktere und Persönlichkeiten, wie Wilson, Lynch, aber auch Richard Sherman, Earl Thomas oder Kam Chancellor. Heute sind all diese Typen Seahawks-Legenden. Zudem haben wir dann auch noch in zwei Super Bowls gespielt, das hilft natürlich.
SPORT1: Und ansonsten?
Young: Wichtig ist meiner Meinung nach auch, dass wir immer authentisch waren. Aus meiner Erfahrung ist das eine der großen Besonderheiten an der Bundesliga, wie integriert und authentisch Klubs in ihrem Umfeld und in Bezug auf ihre Fans sind. Und genau das ist auch unser Ethos. Wir wollen nicht einfach herkommen und nur Tickets und Jerseys verkaufen. Wir wollen eine wirkliche, gute Beziehung zu unseren Fans aufbauen.
SPORT1: In dieser Offseason haben die Seahawks für mächtig Schlagzeilen gesorgt. Erst dachten alle, dass die Mannschaft in den Neuaufbau geht, weil in DK Metcalf und Geno Smith zwei Stars getradet wurden. Im Anschluss kam jedoch Sam Darnold von den Vikings, dazu wurden Verträge mit wichtigen Säulen in der Defense verlängert, und Wide Receiver Cooper Kupp verpflichtet. Plötzlich scheint das Team mehr als konkurrenzfähig zu sein, zumal die vergangene Saison auch ordentlich war. Was ist in der nächsten Saison erreichbar?
Young: Wir haben intern eine Redewendung, dass wir ein Championship-Kaliber-Team sein wollen, auf und neben dem Feld. Wir streben immer nach Exzellenz, und genau das machen John Schneider und Mike Macdonald jetzt gerade. Die beiden haben viele Fragen gestellt bekommen: ‘Was ist der Plan? Wird das ein Rebuild?’ Aber dann haben die Leute nach den ganzen Verpflichtungen verstanden, was der Plan ist. Die Defense sieht besser als letztes Jahr aus, und schon letztes Jahr war die Defense großartig. Wir haben die Playoffs nur haarscharf verpasst, dieses Jahr wollen wir den nächsten Schritt nehmen. Ich bin wirklich begeistert von diesem Team und wirklich aufgeregt, was die kommende Saison angeht. Es wird unsere 50. Saison als Franchise, das werden wir feiern. Ich bin sehr begeistert darüber, was John und Mike mit dem Kader gemacht haben, damit wir in unserer 50. Saison erfolgreich sein können und weiterkommen als letztes Jahr.
„Er ist unser Seahawks-Fan des Jahres“
SPORT1: Der Kader könnte durch den Draft nochmal verstärkt werden, zumal Sie einige zusätzliche Picks erworben haben.
Young: Fünf Draft-Picks in den ersten drei Runden zu haben, ist eine sehr starke Position. Darüber sind wir sehr glücklich, weil das viel Flexibilität ermöglicht, wie wir diese Picks benutzen.
SPORT1: Einen dieser Picks wird ein Deutscher ankündigen, der dieses Jahr zum Seahawks-Fan des Jahres wurde.
Young: Ja, was war das für eine großartige Geschichte: Als wir letztes Jahr in München waren, hat Jermaine (Kearse) sein Seahawks-Tattoo unterschrieben. Und danach hat er sich die Unterschrift plötzlich auch noch tätowieren lassen (lacht). Er ist unser Seahawks-Fan des Jahres. Und ja, er wird vor Ort sein und unser Plan ist es, ihn beim Draft eine Rolle spielen zu lassen.