Es ist fast ein Jahr her, als Bobfahrer Sandro Michel am 13. Februar 2024 beim Nachmittagstraining in Altenberg in Kurve 13 mit seinem Viererbob umkippte. Der Schweizer wurde in der Folge auf die Bahn geschleudert.
Horror-Crash: Bob-Star erhebt Vorwürfe

In Gespräch mit der Sport Bild schilderte der 28-Jährige nun die erschreckenden Details und Folgen seines Unfalls. „Ich gehe davon aus, dass ich nach einem Schlag vom Schlitten bewusstlos war und rausflog“, blickte Michel auf das Unglück zurück.

Doch es kam noch schlimmer, denn der Bob rutschte vom Hügel hinter dem Ziel direkt wieder auf Michel zu und traf ihn mit 50 bis 60 km/h. „Das Problem war, dass mich der Schlitten wohl mit einer Kante erwischte, die mich dann aufgerissen, aufgeschnitten hat“, suchte Michel nach einer Erklärung für die schlimmen Verletzungen, die der 210 Kilogramm schwere Bob, verursacht hatte.
Horror-Sturz auf der Bobbahn: „Bein war fast ab“
So war der rechte Oberschenkel Michels vom Hüftknochen abwärts bis circa zehn Zentimeter vor dem Knie aufgeschlitzt.
„Die Wunde war 35 mal 50 Zentimeter groß“, erklärte Michel: „Ich glaube, das sieht man sonst nur im Krieg. Das Bein war fast ab! Es hing nur an Haut und Muskelsträngen. Mein Glück war nur, dass Nerven- und Blutbahnen nicht beschädigt waren, weil diese auf der Innenseite des Beins liegen. Sonst wäre ich in kurzer Zeit nicht mehr da gewesen.“
Des Weiteren hatte Michel sage und schreibe 14 Rippenbrüche. „Einige waren“, laut Michel, „nicht weit von der Wirbelsäule entfernt“. Insgesamt dreimal kam er in Dresden unters Messer. „Großer Respekt vor den Ärzten dort, dass sie es überhaupt versucht haben zu flicken“, zeigte sich der Anschieber, der 2023 WM-Bronze gewann, dankbar.
„Schrecklicher Anblick für Teamkollegen“
Doch es war sogar noch schlimmer, wie Michel verriet: „Noch auf der Bahn mussten sie meine Lunge intubieren, weil sich diese mit Blut füllte. Ich bekam keine Luft mehr. Das war ein schrecklicher Anblick für meine Teamkollegen.“ Zudem war der Hüftknochen ausgekugelt, das Schulterblatt gebrochen und Muskeln am Brustkorb abgerissen. Davon zeugen nun große Narben überall an seinem Körper.
Was folgte, war ein langer Weg zurück ins Leben. „Die ersten vier Wochen nach der Operation war ich nur im Bett, konnte gar nichts machen“, erzählte Michel: „Danach musste ich mich vom Kreislauf her daran gewöhnen, wieder aufzusitzen und zu stehen. Das war ein ziemlicher Kampf. Zehn Sekunden zu stehen waren da ein Erfolg. Dann wurde mir wieder schwindelig, und ich musste mich hinlegen.“
Zunächst half Michel ein elektrischer Rollstuhl, ehe er sich ab April mit Krücken und einem normalen Rollstuhl fortbewegen konnte. „Die ganze Stabilisationsmuskulatur fehlte beim Gehen, weil sie sich extrem stark zurückgebildet hatte“, führte er aus. Mittlerweile braucht der 28-Jährige nur noch bei längeren Strecken einen Stock als Hilfe.
Schwerer Unfall mit Folgen: „Das bin wirklich ich?“
Infolge der langen Zeit im Krankenhaus nahm Michel 17 Kilo ab und zeigte sich schockiert: „Es war hart, wenn ich mich im Spiegel betrachtete. Da fragte ich mich: Das bin wirklich ich? Inzwischen bin ich wieder bei 94, 95 Kilo.“
Trotzdem halfen ihm Bilder der Verletzung und Videos von seinen Fortschritten: „Im Reha-Prozess kommt man immer wieder an Punkte, an denen es dir so erscheint, als würde es nicht vorwärtsgehen. Wenn ich die Bilder sehe, erkenne ich, dass es seine Zeit braucht.“
Aufgrund des Unfalls rückte das Thema Sicherheit im Bobsport wieder mehr in den Vordergrund. Dennoch sorgte das Urteil der Staatsanwaltschaft Dresden für Verwunderung. Sie kam zu dem Schluss, dass das Zurückrutschen des Schlittens ein Unfall ohne fahrlässiges Handeln gewesen sei.
„Das fand ich schon etwas enttäuschend“
„Das fand ich schon etwas enttäuschend, muss ich ehrlich sagen“, zeigte Michel wenig Verständnis: „Die Umstände waren speziell. Sie befragten mich einen Tag nach dem Unfall. An den Inhalt der Befragung erinnere ich mich bis heute nicht. Was ich da aussagte, kann man eh nicht richtig werten. Da schloss man den Fall, ohne mich richtig im Nachhinein zu befragen.“
Dabei hatte der Unfall von Michel eine Vorgeschichte, denn beim Training am Vormittag desselben Tags war das Team um den Deutschen Johannes Lochner gestürzt.
„Danach hätte man direkt reagieren müssen“, prangerte der Schweizer an: „Das ist mein größter Kritikpunkt. Dass man nichts änderte, finde ich sehr schwach. Es hätten zwei, drei Leute gereicht, die mich aus der Bahn genommen hätten, oder einer, der sich um den Schlitten gekümmert hätte.“
Michel und der Traum von Olympia
An Ostern wird Michel noch einmal in der Dresdner Klinik vorbeischauen. In einen Bob will er nur noch steigen, „wenn man die Sicherheit gewährleisten kann“. Ob er das überhaupt noch einmal schaffen wird, ist unsicher.
Dennoch gibt sich Michel kämpferisch, um sich seinen Traum von den Olympischen Spielen zu erfüllen: „Ich werde alles versuchen, um zurückzukommen, will mir nicht vorwerfen müssen, nicht alles versucht zu haben. Es wird nicht einfach.“