Es war der 6. Juli 2013, als Sabine Lisicki im Wimbledon-Finale stand und das deutsche Tennis quasi im Alleingang wiederbelebt hatte.
Wie Lisicki um ihre Rückkehr kämpft
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So lang hatte man sich nach einer zweiten Steffi Graf gesehnt - und Lisicki schien alles mitzubringen, was es im modernen Damen-Tennis brauchte, um ein Star zu werden: Kraftvolle Schläge, einen super Aufschlag und die nötige Ausstrahlung, um Tennis-Fans in ihren Bann zu ziehen.
Vor allem die Engländer liebten die Berlinerin und tauften sie auch aufgrund ihrer ähnlich kraftvollen Schläge wie Boris Becker "Bum-Bum-Bine". Zuvor hatte sie im Achtelfinale sensationell die damalige Weltranglistenerste Serena Williams aus dem Turnier geworfen.
Lisicki: "Centre Court mein Wohnzimmer"
Mit dem Aus der Topfavoritin schien der Weg für Lisicki frei zu sein, die nach dem Coup forsch verkündete: "Der Centre Court ist jetzt wirklich mein Wohnzimmer." Das Interesse in Deutschland stieg so sehr an, dass sich die ARD sogar kurzfristig um die Ausstrahlung des Endspiels bemühte.
Im Finale wurde Lisicki - wie viele Debüt-Finalistinnen vor ihr - von ihren Nerven übermannt und konnte nicht ihr bestes Tennis zeigen. Bereits während der Partie vergoß Lisicki bittere Tränen. Am Ende stand eine 1:6, 4:6-Niederlage gegen die Französin Marion Bartoli.
Doch alle Tennis-Experten waren sich einig: Lisicki, die bei ihren drei Anläufen in Wimbledon zuvor stets mindestens das Viertelfinale erreicht hatte, würde die Trophäe eines Tages nach oben stemmen.
Damals ahnte keiner, dass es der Beginn eines jahrelangen Absturzes sein sollte.
Erster Sieg 2019 auf Mallorca
Sprung zurück in die Gegenwart: Knapp sechs Jahre später ist Lisicki von einem Wimbledon-Sieg so weit weg wie nie zuvor. Ihren letzten Sieg in einem Grand-Slam-Hauptfeld gab es in der zweiten Runde von Wimbledon 2016 zu sehen.
Inzwischen steht die 29-Jährige gerade noch unter den Top-300 der Weltrangliste und schrieb Mitte Juni Schlagzeilen, weil sie endlich ihr erstes Match 2019 auf der WTA-Tour gewonnen hatte - es handelte sich um die erste Qualifikations-Runde auf Mallorca.
Immer öfter werden Fragen laut, warum Lisicki sich all das Training noch antut, um dann doch gegen Spielerinnen zu verlieren, die sie früher in 40 Minuten vom Platz geschossen hätte. "Die Leidenschaft ist da. Und solange die vorhanden ist, werde ich weiterkämpfen", sagte Lisicki auf SPORT1-Nachfrage.
Viele Gründe für den Absturz
Die Gründe für den Absturz sind vielschichtig. Anfangs schienen Lisicki die gestiegenen Erwartungen Probleme zu bereiten, einige warfen ihr zudem vor, dass sie nach dem Finale zu oft auf roten Teppichen und zu wenig auf Trainingsplätzen anzutreffen gewesen wäre.
Hier hielten sich auch hartnäckig Gerüchte, dass es deshalb zur Trennung von Trainer Wim Fissette gekommen war. Der Belgier, der Lisicki ins Wimbledon-Finale geführt hatte, soll seinen Spielerinnen enorm viel abverlangen.
Als Lisicki mit dem Achtelfinale bei den US Open 2015 wieder langsam in die Spur fand, kam es wenige Monate später zur unschönen Trennung von Oliver Pocher, die ihr "viel Kraft" raubte. Als sie dies verdaut hatte, setzten sie Verletzungsprobleme am Knie und der Schulter außer Gefecht.
Lisicki kämpft gegen Rückschläge
Seit etwa einem Jahr ist Lisicki nun wieder schmerzfrei - doch der Weg zurück erweist sich als enorm schwer. Niederlage um Niederlage muss sie einstecken und auch die Abstecher auf die ITF-Tour tragen nur wenig zu gesteigertem Selbstbewusstsein bei.
Lisicki weiß aber, dass sie Geduld braucht: "Jeder hat nach einer längeren Zeit mehr Probleme, zurückzukommen. Nicht umsonst sagt man im Sport: Du brauchst die doppelte Zeit, die du draußen warst, um wieder an dein altes Top-Niveau anzuknüpfen."
Ihr größtes Problem: Aufgrund des niedrigen Rankings weiß sie oft nicht, in welches WTA-Turnier sie als Qualifikantin noch hineinrutscht. Eine vernünftige Planung ist so kaum möglich. Die Liebe zum Tennis ist es ihr aber wert, dass sie aktuell so gut wie jede Woche ins Minus geht.
Wildcard für Wimbledon-Qualifikation
Doch so niederschmetternd die eine oder andere Niederlage zuletzt auch sein mochte, Lisicki gibt die Hoffnung nicht auf. Auf die Frage, was ihr zu früh fehlt, antwortet sie lächelnd: "Ein Sieg. Ein Punkt hier und da. Wenn du am Gewinnen bist, sitzen enge Bälle dann automatisch wieder."
Auch Barbara Rittner (Head of Womens Tennis im deutschen Verband) ist überzeugt davon, dass Lisicki gar nicht so weit weg ist, wie die Ergebnisse den Anschein machen: "Sabine fehlen einfach die Matches. Damit hat sie auch nicht die Routine in engen Situationen. Es sind die Kleinigkeiten, die entscheiden. Aber sie hat das Tennisspielen ganz sicher nicht verlernt."
Umstellen will Lisicki ihr Spiel nicht mehr, weshalb ihr Vater Richard sie wieder trainiert. "Back to Basic" nennt sie es. Das soll ihr das nötige Vertrauen und die Sicherheit geben. "Hätte ich die Schläge nicht, wäre es etwas anderes. Aber ich habe die Schläge", wiederholt sie geradezu mantraartig.
Das dem noch so ist, kann sie in diesen Tagen unter Beweis stellen, denn die Veranstalter haben Lisicki eine Wildcard für die Wimbledon-Qualifikation gegeben. Und wo könnte der Weg zurück besser beginnen als bei ihrem Lieblingsturnier?