Dieser sonntägliche Oktoberfest-Besuch, so darf man mutmaßen, dürfte dem FC Bayern wohl kaum wirklich gelegen gekommen sein. Vor allem nicht Niko Kovac, Thomas Müller und Javi Martínez.
Fall Müller: Was Kovac lernen kann
Einen Tag nach der frustrierenden 1:2-Pleite gegen die TSG Hoffenheim wirkten der Trainer und seine von ihm degradierten Starspieler zwar nach Außen hin recht gelöst. Lächelnde Gesichter, hoch die Maß, ein Prosit der Gemütlichkeit – man kennt die alljährliche Folklore.
Aber ob Kovac, Müller und Martínez im Wiesn-Festzelt tatsächlich Spaß hatten?
Kovac macht Müller zum Notnagel
Selbst wenn sich manches im Leben unter Männern bekanntlich bei einem Bier regeln lässt - intern brodelt es mächtig beim Rekordmeister, nachdem Kovac seinen Co-Kapitän Müller schon vor der Hoffenheim-Pleite völlig unnötig zum Notnagel abgestempelt hatte. "Wenn Not am Mann sein sollte, wird er mit Sicherheit auch seine Minuten bekommen", hatte Kovac lapidar gesagt.
Ein Statement, das sich so schnell nicht entschärfen lässt – und hinterher auch durch Kovacs Hinweis an die Journalisten nicht besser wurde, "jetzt nicht irgendwas daraus (zu) zaubern. Wenn jemand nicht spielt, und wir ihn brauchen, kommt er. Und Thomas ist gekommen und hat noch mal Schwung reingebracht."
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Frings: Für Müller "ganz schön bitter"
Die Wirkung der Worte indes bleibt. "Es ist unglücklich gewesen, was Kovac gesagt hat", meinte im CHECK24Doppelpass bei SPORT1 dazu Ex-Profi Torsten Frings, 2004/2005 selbst bei den Bayern. "Ich glaube nicht, dass er es böse gemeint hat. Für so einen Spieler wie Müller ist es aber ganz schön bitter."
So bitter offenbar, dass dem sonst so redseligen Ur-Bayern und 2014-Weltmeister nach der Partie, in der er in der 60. Minute aufs Feld kam und das zwischenzeitliche 1:1 durch Robert Lewandowski vorlegte, nur schmallippig entfuhr: "Nothing to say."
Dabei wirkte vor wenigen Tagen das Binnenklima bei den Bayern besser denn je nach dem 7:2 in der Champions League bei Tottenham.
Bayern in Gefahr, dass Stimmung komplett kippt
Die Überraschungspleite gegen Hoffenheim hätten die Bayern insofern vielleicht schnell als Betriebsunfall abhaken können, wäre Kovac nicht der jetzige Lapsus unterlaufen.
Mehr noch: Der Trainer muss gewaltig aufpassen, sich die Stimmung bei seinen Luxus-Reservisten nicht komplett zu versauen.
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Neben dem 30-jährigen Müller, nunmehr bereits zum fünften Mal in Folge auf der Bank wie während seiner ersten Bundesliga-Saison 2008/09, betrifft das vor allem Martínez.
Trotz der verletzungsbedingten Ausfälle von David Alaba und Lucas Hernández kam der Triple-Held von 2013 nicht einmal mehr für eine Einwechslung infrage, wartet nach wie vor auf seinen ersten Startelf-Einsatz in der laufenden Saison.
Beckmann: Aufpassen auch wegen Martinez
Dass Martínez (bisher nur insgesamt 89 Minuten Einsatzzeit) Frust schiebt, sieht Reinhold Beckmann im CHECK24 Doppelpass bedenklich: "Er ist keiner, der meckert und hat eine große Solidarität gegenüber den Bayern. Aber man muss aufpassen, solche Spieler nicht zu verlieren. Das scheint die größte Aufgabe von Kovac zu sein, nämlich alle abzuholen."
Ansonsten droht eine Flächenbrand der Unzufriedenheit.
Das bestätigt auch Frings ("Bei Bayern ist es wichtig, alle zufrieden zu stellen"), der Kovac den Ratschlag gibt, Anschauungsunterricht beim Welttrainer des Jahres zu nehmen: "Das funktioniert zum Beispiel in Liverpool. Klopp macht den ganzen Kader heiß und gibt jedem das Gefühl, wichtig zu sein."
Keine Rotation aber: Kovac erinnert an 2018
Gelinge das nicht, strahle dies am Ende auf die ganze Mannschaft ab, glaubt Beckmann – besonders auch dann, wenn Fehler passieren wie gegen Hoffenheim Corentin Tolisso mit dessen Ballverlust vor dem 0:1. "Da gibt es Andere, die kratzen so wie Martínez oder Müller."
Aufgabe des Trainers sei es deshalb, "dass man einen Kader so motivieren kann, dass man einem Kader hat, der spielen will."
Doch gerade dieses Kader-Management mit Fingerspitzengefühl gelingt Kovac momentan kaum – und erinnert damit an die Situation im vergangenen Jahr, auch wenn er es diesmal genau umgekehrt macht.
Zur Erinnerung: In der Vorsaison war Kovac in die Kritik geraten, weil er zu viel rotierte, damit das Leistungsprinzip oft außer Kraft setzte.
Kovac macht sich selbst Baustelle auf
Nun jedoch macht sich der Coach erneut selbst eine Baustelle auf, weil er allein auf eine eingespielte Mannschaft zu setzen scheint – ohne dabei Rücksicht zu nehmen auf Härtefälle wie Müller und Martínez.
Noch halten sich die Bayern-Bosse zurück in dem Konflikt. "Ich verstehe, wenn die Spieler unzufrieden sind, die nicht spielen. Aber man muss auch den Trainer verstehen, wenn er eine Formation sucht, die sich einspielen soll", besänftigt etwa Sportdirektor Hasan Salihamidzic.
Dass eine Klub-Ikone wie Müller die jetzige Situation allerdings noch allzu lange klaglos hinnehmen wird, dürfte den Vereinsoberen allerdings auch nach dem Oktoberfest-Besuch weiterhin einleuchten.