Martin Schindler gehört längst zu den absoluten Darts-Topstars und will jetzt auch bei einem der wichtigsten Turniere des Jahres voll angreifen.
Darts-Star Schindler kritisiert Pfiffe scharf: "An Respektlosigkeit kaum zu überbieten“
„An Respektlosigkeit kaum zu überbieten“
Beim World Matchplay lief es für „The Wall“ bisher noch nicht so richtig gut. In Wolverhampton überstand er bisher in drei Anläufen noch nie die erste Runde.
Doch das soll sich in diesem Jahr ändern, wie er im SPORT1-Interview in Kooperation mit PlutoTV erklärte. Schindler will beim legendären Turnier, das PlutoTV im Darts-Channel live überträgt, endlich für Furore sorgen.
Im Interview erklärt Schindler zudem, was seine Ziele für den Rest der Saison sind, wie er den Stellenwert des Darts-Sports in Deutschland einschätzt und wie er den Sieg beim World Cup of Darts gegen das englische Duo Littler/Humphries erlebte.
SPORT1: Herr Schindler, das World Matchplay läuft, Sie spielen zunächst gegen Jonny Clayton. Was ist Ihre Zielsetzung für den Klassiker? In den letzten Jahren lief es dort für Sie persönlich nicht so rund.
Martin Schindler: Ich möchte auf jeden Fall endlich die erste Runde überstehen und da nicht schon wieder ausscheiden. Ich hoffe natürlich, dass eine Menge möglich sein wird, aber ganz ehrlich: Das World Matchplay ist eines der bestbesetzten Turniere, die es überhaupt gibt. Einfach wird es sowieso nicht, sich dort generell durchzusetzen, vielleicht sogar das Turnier zu gewinnen. Aber ich blicke positiv voraus.
Schindler: „Man macht sich natürlich eine ganze Menge Druck“
SPORT1: Ist es in größeren Turnieren schwieriger, die gewohnte Leistung abzurufen?
Schindler: Man macht sich auch dementsprechend eine ganze Menge Druck, wenn man weiß: Hier geht es jetzt um eine Menge Geld und man kann viel in der Rangliste bewirken. Das Matchplay ist das zweitbestdotierte Turnier des Jahres und da macht man sich immer gerne ein bisschen viel Kopf, weil man es unbedingt schaffen möchte. Man geht nicht so tiefenentspannt an die Sache wie vielleicht bei anderen Turnieren.
SPORT1: Top-16-Spieler sind schwer zu besiegen, wie Sie selbst sagen. Aber aktuell sind Sie selbst nicht mehr weit entfernt. Sie sind derzeit (Stand vor Turnierbeginn) an Nummer 17 in der Order of Merit. Was bedeutet das Ihnen, auch im Hinblick auf die Repräsentation Deutschlands?
Schindler: Natürlich sind diese Erfolge für die deutschen Darts-Fans sehr toll. Aber ich muss ehrlicherweise aus meiner Sicht sagen: Ich stehe da oben und spiele für mich und meine Ergebnisse. Damit finanziere ich mein Leben und mache das, worin ich aufgehe. Ich denke dabei nicht wirklich darüber nach, es für die Nation zu tun, aber das ist immer ein sehr guter und schöner Bonus. Dennoch muss ich sagen: Was Max Hopp oder Gabriel Clemens in der Vergangenheit getan haben, waren immer wieder neue Barrierebrecher, die es jemandem wie mir ermöglicht haben, noch mehr durchzustarten - mit nicht der gesamten Aufmerksamkeit auf mir, weil Max oder Gabriel den größten Teil auf sich gezogen haben. Jetzt bin ich derjenige, der wahrscheinlich die meiste Aufmerksamkeit auf sich hat, was für mich okay ist. Damit muss man umzugehen lernen.
SPORT1: Haben Sie konkrete Ziele, was Platzierungen oder Turniersiege angeht?
Schindler: Ich gehe das Schritt für Schritt an. Ich wäre natürlich sehr froh und glücklich darüber, demnächst in den Top 16 zu sein. Bis Ende dieses Jahres sollte das definitiv möglich sein, jedoch muss ich dafür jetzt auch bei den Majors abliefern. Ansonsten wird das auch wieder eine sehr schwierige Aufgabe. Für die Zukunft gesehen wäre ich irgendwann gerne Nummer zehn oder auch in den Top Fünf der Welt. Das spielerische Level dazu habe ich, ich muss es nur häufiger und konstanter abrufen. Gleichzeitig muss ich natürlich immer noch besser werden. Es steht also noch eine ganze Menge an, deswegen setze ich mich selbst nicht unter Druck. Erstmal in die Top 16 kommen und dann kommt der nächste Schritt. Denn es ist ein verdammt langer Weg. Bis hierhin war es schon ein verdammt langer Weg. Ich bin einfach positiv gestimmt, wie es bisher läuft, wie es die letzten Jahre lief. Und das ist für mich mit das Wichtigste, dass ich mit mir, meiner Entwicklung und meinem Spiel zufrieden bin.
„Was die Ausübung der Sportart betrifft, ist Darts die Nummer zwei“
SPORT1: Sie spielen auf der Bühne zwar für sich, bemerken die steigende Beliebtheit von Darts in Deutschland aber natürlich auch. Hat der Sport Potenzial für mehr, vielleicht sogar - etwas weiter gedacht - für Platz zwei in Deutschland hinter dem König Fußball?
Schindler: Dabei sind natürlich viele Faktoren zu betrachten. Der Fußball ist und bleibt die Nummer eins, da können wir machen, was wir wollen, da könnten wir noch so viele Darts-Weltmeister aus Deutschland kriegen (lacht). Aber in den Top Fünf ist Darts inzwischen mit Sicherheit. Ich kann mir sogar mehr vorstellen. Viele Menschen spielen privat Darts, von denen man es gar nicht weiß. Was die reine aktive Ausübung der Sportart betrifft, ist Darts wahrscheinlich sogar die Nummer zwei. Aber was den Bekanntheitsgrad angeht, was zum Beispiel die anderen deutschen Jungs und ich oder Luke Littler und Luke Humphries machen, ist es noch nicht so extrem riesig. Aber es sieht gut aus. Wir sind da echt auf einem tollen Weg, da ist aber noch eine Menge Potenzial nach oben.
SPORT1: Den beiden Lukes sind Sie kürzlich erst gegenübergestanden. Bei der Team-WM haben Sie mit Ricardo Pietreczko sogar die Überraschung geschafft und die klaren Favoriten aus dem Turnier geworfen. Wie haben Sie das Spiel erlebt?
Schindler: Im Vorhinein redet man natürlich mit den anderen Spielern darüber und einige haben gesagt: Die Engländer sind die haushohen Favoriten. Wenn man nach dem Papier geht, war das uns natürlich auch klar. Die beiden waren das Duo, das die besten Chancen hatte, dieses Turnier zu gewinnen. Jedoch war mir auch klar: Wenn wir vernünftig spielen und wirklich gute Scores und gute Checkouts auspacken, haben wir durchaus eine Chance. Und genauso ist es losgegangen. Wir haben stark vorgelegt. Dann stand es 2:0. Nach einem Highfinish von Littler habe ich an seiner Reaktion gesehen, dass er ziemlich genervt von dem Publikum ist, was ich auch absolut nachvollziehen kann. Aber ich habe mir natürlich dann gesagt – und Ricardo wird ähnlich gedacht haben: Jetzt weiter durchziehen und dranbleiben. Gerade Littler hat sehr verwundbar gewirkt und Humphries hatte auch nicht die Megascores. Danach wurde es schnell ziemlich deutlich zu unseren Gunsten.
Pfiffe? „An Respektlosigkeit kaum zu überbieten“
SPORT1: Aus England gab es im Nachgang ziemlich deutliche Kritik an den beiden Lukes, weil sie nicht zusammen trainiert hätten und sich nicht perfekt aufeinander abgesprochen hätten. Wie viel machen diese Aspekte bezüglich des Timings und der Abläufe am Ende aus?
Schindler: Es muss sehr wichtig und entscheidend sein, dass man als Team zusammen agiert. Denn oben auf der Bühne gibt es nicht die Situation: „Ich bin der Superstar und du bist nur mein Handlanger.” Spielerisch unterscheidet man sich dafür auch viel zu wenig, als dass man nur im Ansatz so etwas denken könnte. Man muss zusammen als Team spielen, man muss sich auf seinen Partner verlassen können. Man muss Spaß daran haben, zusammen da oben zu stehen. Schon im Practice-Bereich hat das bei den zweien überhaupt nicht so gewirkt, dass sie bildlich gesprochen wie zwei zusammenhängende Kettenglieder waren. Sie wirkten eher wie zwei einzelne Glieder.
SPORT1: Im Spiel haben Sie dann bemerkt, dass Luke Littler verärgert wegen der Pfiffen der deutschen Fans war. Das Verhalten der Fans, die über das Ziel hinausschießen, ist ja immer wieder Thema...
Schindler: Eines muss ich zuerst klarstellen: Sowohl Buhen, Pfeifen als auch Reinrufen ist an Respektlosigkeit kaum noch zu überbieten. Man vergisst häufig, dass hinter den Spielern normale Menschen stecken, die ihr komplettes Geld, ihre komplette Energie und ihre komplette Verantwortung nur auf dieses Thema Darts ausgelegt haben. Wir sind alle nicht die Superreichen, die sagen können, mein Konto ist so dick gefüllt, ich komme damit jetzt 20 Jahre aus. Man ist immer auf jedes Preisgeld angewiesen. Das ist das, was die Fans immer gerne vergessen. Man verdient im Verhältnis zu dem, wie mit einem umgegangen wird, zu wenig, als dass man das einfach ignorieren könnte, wie es zum Beispiel im Fußball ist. Wenn Manchester City gegen Manchester United spielt, wird auch viel gepfiffen, aber den Spielern ist es recht herzlich egal, weil sie wissen, sie haben mehr als genug. Jeder weiß, dass das Pfeifen mit dazugehört. Man muss lernen, mit dem Pfeifen und Buhen umzugehen. Der Vorteil ist, dass man auf der Bühne beim Darts nicht geschubst oder getackelt wird. Man kann die Darts immer selbst werfen und Herr der Situation sein. Man muss lernen, sich dadurch nicht verrückt machen zu lassen. Aber das ist ein sehr langer Weg. In einem Team-Turnier ist das Nationen-Denken noch einmal größer als bei Einzel-Events und in England wäre die Menge auch gegen uns gewesen, wenn wir dort gespielt hätten.
SPORT1: Der Lösungsansatz liegt also nur beim Spieler selbst. Sehen Sie keine Möglichkeit, dass sich das Verhalten der Zuschauer ändern könnte?
Schindler: Die PDC macht ja schon eine Menge dagegen. Und auch die PDC Europe, die in Deutschland dagegen vorgeht und Fans, die buhen und pfeifen, möglichst schnell aussortiert. Aber der PDC sind in einer Halle mit 3000 Leuten die Hände gebunden. Man weiß ja bei dieser Geräuschkulisse oft nicht sicher, wer das überhaupt ist. Dementsprechend liegt die Verantwortung beim Spieler selbst, das in die Hand zu nehmen, was er beeinflussen kann, und sich nicht mit anderen Dingen zu beschäftigen.
Littler? „Muss erstmal richtig erwachsen werden“
SPORT1: Bei Littler wurde im Nachhinein darüber spekuliert, dass er wegen der Fans nicht mehr nach Deutschland kommt. Trauen Sie ihm diese drastische Maßnahme zu?
Schindler: Was man bei Littler nie vergessen darf: Der Junge ist erst 18 Jahre alt und - auch wenn es vom deutschen Gesetz nicht mehr ganz der Fall ist – eigentlich noch ein Kind. Er musste in den letzten Jahren viel lernen und muss erstmal richtig erwachsen werden. Und das ist völlig okay. Vielleicht wird es seine Reaktion sein, dass er nicht mehr viel in Deutschland spielt, aber früher oder später wird er wieder nach Deutschland kommen müssen. Hier finden zu wichtige Turniere statt, wie zum Beispiel die European Championship, die in Dortmund im Oktober ansteht. Da wird nicht daran vorbeikommen. Er muss lernen, für sich damit umzugehen.
Schindler wünscht sich mehr Preisgeld für Majors abseits der WM
SPORT1: Ein kurzer Sprung zur Einzel-Weltmeisterschaft. Dieses Jahr findet die WM erstmals mit 128 Teilnehmern statt. Wie sehen Sie die Aufstockung?
Schindler: An sich finde ich es sehr gut, dass die WM ausgeweitet wird und es jetzt 128 Teilnehmer sind. Ganz generell finde ich es auch sehr gut, dass die PDC so viel macht, vor allem mit Bezug auf die WM. Wir haben jetzt 80 Spieler plus ein paar Qualifier, die alleine von der Tour kommen. Das wird schon für ein gewisses Level bei dieser Weltmeisterschaft sorgen. Das war meine größte Sorge, dass vielleicht zu viele Wildcards oder zu viele Qualifier an den Rest der Welt verteilt werden. Denn die Leute auf der Tour sind die besten Dartsspieler der Welt. Und natürlich müssen von denen dann auch mehr dabei sein. Und die knapp 75 Prozent, die dabei sein werden, sind genau richtig. Für das Leistungsgefüge ist das sehr gut. Mit einer Million Pfund Preisgeld für den Sieger liegt darauf jetzt eine Menge Aufmerksamkeit. Die Preisgeldverteilung im Vergleich zu anderen Major-Turnieren sehe ich allerdings ein bisschen kritisch. Das ist Jammern auf hohem Niveau, aber für mich war mein größter Gedanke der: Wenn man die Weltmeisterschaft gewinnt, kriegt man eine Million Pfund. Auf der anderen Seite bekommt theoretisch derjenige, der das Matchplay, den Grand Prix, den Grand Slam, die European Championship Finals, die Players Championship Finals und die UK Open gewinnt, immer noch 25.000 Pfund weniger als der WM-Sieger. Das ist für mich bedenklich und ein großes Problem. Ein Spieler, der sechs Majors in einem Jahr gewinnt, hätte es schon verdient, die Nummer eins der Welt zu sein. Im Verhältnis zu einem Sieg bei der Weltmeisterschaft ist das drastisch. Aber wie gesagt, ist das wirklich Jammern auf hohem Niveau.
SPORT1: Wenn wir schon über viel Geld sprechen: Rob Cross wurde der Steuerhinterziehung überführt. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie zum ersten Mal von der Thematik rund um Cross erfuhren?
Schindler: Bei Cross war es lediglich die Summe, die da im Raum stand, bei der ich mir gedacht habe: Wie kannst du denn mit mehr als 400.000 Pfund verschuldet sein? So viel Geld muss man erstmal verdienen und dann den Mut haben zu sagen: Das versteuere ich nicht - für mich unverständlich. Das kann ich nicht nachvollziehen. Ich fand einfach die schiere Summe sehr, sehr krass.