Wenn Paul Lim im Alexandra Palace in London auf die Bühne kommt, ist Ekstase im Publikum vorprogrammiert. Der 71-Jährige ist nicht nur der älteste Spieler, der je ein Spiel bei der Darts-WM gewinnen konnte - er ist auch eine der beliebtesten und sympathischsten Figuren im Darts-Kosmos.
Darts-WM 2026: Legende Lim über Littler: "Dachte zuerst, das sei ein Scherz"
Littler? „Dachte, das sei ein Scherz“
In Runde eins bezwang Lim den Schweden Jeffrey De Graaf mit 3:1, am Montag wartet mit dem Duell mit Ex-Weltmeister Luke Humphries ein echtes Highlight-Spiel in der zweiten Runde der WM. (Abendsession ab 20 Uhr LIVE im TV und STREAM). Im Gespräch mit SPORT1 blickt die Legende auf eine außergewöhnliche Karriere zurück und verrät, welchen Moment in seiner Laufbahn er niemals vergessen wird.
Verpasste WM: „War schmerzhaft für mich“
SPORT1: Herr Lim, Sie haben mit Ihrem 3:1-Sieg gegen Jeffrey De Graaf nicht wenige Experten und Fans überrascht. War dieser Sieg besonders emotional für Sie?
Lim: Wissen Sie, Emotionen werden immer da sein. Wenn ich verliere, ist da eine Emotion. Wenn ich gewinne, ist sie natürlich anders. Aber ich hatte mich einfach so auf die Weltmeisterschaft gefreut, weil ich sie letztes Jahr verpasst habe. Letztes Jahr bin ich zuvor ausgeschieden – das war schmerzhaft für mich, wissen Sie, weil ich immer zur PDC-Weltmeisterschaft kommen möchte. Es ist die größte Bühne für uns. Schon dort zu sein, ist eine Leistung.
SPORT1: Als Sie gegen De Graaf auf die Bühne gekommen sind, hat die ganze Arena gejubelt. Wie war dieses Gefühl für Sie?
Lim: Oh ja, das hatte ich erwartet, weil alle schon sagten: „Samstagabend, Abendsession, die Halle wird voll sein.“ Und ich wusste, ich würde viele „Singapur, Singapur“-Rufe hören – „Paul Lim, Paul Lim“ und so weiter. Nach all den Jahren, in denen ich beim World Cup und bei der Weltmeisterschaft war, habe ich mich irgendwie daran gewöhnt. Ich war also nicht nervös. Wenn sie mich ausgebuht hätten, wäre ich es vielleicht geworden – aber sie haben mich angefeuert. Also war es gar nicht so schlimm.
„Die Fans sind der Schlüssel für mich“
SPORT1: Was bedeutet es Ihnen, dass die Fans jedes Mal, wenn Sie auf die Bühne gehen, hinter Ihnen stehen und Ihnen so viel Zuneigung zeigen?
Lim: Es bedeutet mir sehr viel, weil ich über all die Jahre im Dartsport nicht nur etwas im sportlichen Sinne erreicht habe, sondern auch eine Fangemeinde aufgebaut habe. Menschen kennen mich als Paul Lim – und sie reden meist Gutes über mich. Vielleicht gibt es ein oder zwei, die sagen, ich werfe langsamer als früher. Aber ich werfe nicht absichtlich langsam. Wenn manche meinen, ich sei langsam – ich finde nicht, dass ich das bin. Ich habe langsamere Spieler gesehen. Ich will meinen Gegner nicht aus dem Rhythmus bringen, sondern spiele einfach mein Tempo. Der Gegner muss sich eben anpassen. Und die Fans sind der Schlüssel für mich – sie treiben mich an, geben mir Adrenalin. Das ist ein guter Faktor.
SPORT1: Sie sind 71 Jahre alt und der älteste Spieler, der je ein Match bei der Darts-WM gewonnen hat.
Lim: Ja, das stimmt. Ich hatte gar nicht darüber nachgedacht, bis es erwähnt wurde. Als ich vor zwei Jahren gespielt habe, war ich 69. Jetzt bin ich 71 – im Januar werde ich 72. Es geht also stetig nach oben.
SPORT1: Wie lange möchten Sie weiterspielen – bis in die 80er?
Lim: Das weiß ich wirklich nicht. Diese Frage wurde mir schon oft gestellt. In meiner Laufbahn – die Leute, die mit mir damals Darts gespielt haben, Eric Bristow, Bob Anderson, John Lowe, Bobby George – viele dieser Legenden sind nicht mehr da. Manchmal schaue ich auf YouTube alte Aufnahmen an, und es macht mich traurig, weil ich mit 71 Jahren das Glück habe, immer noch zu reisen, Menschen und Fans zu treffen und wettbewerbsfähig zu sein. Ich bin dankbar – viele meiner alten Freunde sind verstorben oder im Ruhestand. Also denke ich: Gott sei Dank, ich mache wohl etwas richtig.
„Habe nie verstanden, warum man mich eine Legende nennt“
SPORT1: Sie haben all diese großen Namen erwähnt – und Sie sind selbst einer. Sehen Sie sich als Legende des Sports?
Lim: Ich habe nie so richtig verstanden, warum man mich eine Legende nennt. Ist es wegen meiner Langlebigkeit? Weil ich so viele Jahre auf höchstem Niveau spiele? Oder weil ich damals das perfekte 9-Dart-Finish geworfen habe und damit etwas ausgelöst habe? Ich weiß es nicht. Aber ich fühle mich geehrt, als Legende bezeichnet zu werden. Ich habe kürzlich in den Medien ein Poster gesehen, auf dem viele als Legenden dargestellt wurden – Eric Bristow und andere große Spieler – und mein Gesicht war dabei. Dafür bin ich dankbar.
SPORT1: Sehen Sie sich als eine Art „Phil Taylor Asiens“?
Lim: Nein, das würde ich nicht sagen. Phil Taylor ist über allen Legenden. Was er erreicht hat, ist außergewöhnlich – ich glaube nicht, dass das jemand wiederholen kann. So gut Luke Littler auch ist – an Phil Taylor heranzukommen, das wird sich erst zeigen.
Vom Koch zur Darts-Legende
SPORT1: Wie sehr hat Darts Ihr Leben verändert – und wie sehr haben Sie Darts verändert?
Lim: Sehr sogar. Ich war ursprünglich Koch. Ich kam nach England, um eine Karriere zu suchen, ging auf eine Kochschule, erlernte die französische und europäische Küche und arbeitete in Hotels. Ich wollte Koch werden, weil ich wusste: Mit dieser Fähigkeit kann ich überall auf der Welt arbeiten. Das war mein Plan – reisen, die Welt sehen. Ich arbeitete später sogar in Papua-Neuguinea. Und durch meine Kochfreunde kam ich zum Darts. Das war in einem Pub namens „Robin Hood“ in Chislehurst (England). Es war nur ein Spaßspiel – 50 Pence pro Person, der Gewinner bekam eine Flasche Whisky. Ich gewann ein paar Flaschen, meine Freunde sagten: „Gar nicht schlecht!“ – und ich verliebte mich in Darts. Ich kaufte mir ein Board und begann zu spielen – zunächst nur zum Spaß. Als ich nach sechs Jahren in England nach Singapur zurückkehrte, wollte ich als Koch in einem Hotel arbeiten. Aber ich fand keine Dartscheiben! Also spielte ich zu Hause weiter. Dann lernte ich eine Auszubildende namens Grace kennen. Sie erzählte mir, ihr Verlobter spiele Darts, sie hätten ein Team. Ich lernte ihn kennen, spielte mit – und gewann gleich mein erstes Ligaspiel gegen den damals besten Spieler Singapurs. Kurz darauf gewann ich die Singapore Open, dann die Malaysia Open und schließlich so ziemlich jedes Turnier in Asien. Ich blieb zwar Koch, arbeitete in einem Hotel mit Dartboards, organisierte Spiele, aber durch meine Erfolge rückte ich in die Weltrangliste. In Papua-Neuguinea arbeitete ich in einem französischen Restaurant und spielte dort auch Darts – und vertrat sogar Papua-Neuguinea, weil Singapur noch nicht Mitglied der World Darts Federation war. Ich gewann den Pacific Cup für Papua-Neuguinea und wurde von einem US-Spieler eingeladen, in die USA zu kommen. Dort gab es eine Profitour mit Preisgeldern. Ich kündigte meinen Job als Koch – und widmete mich ganz dem Darts. Seitdem habe ich nie zurückgeblickt.
9-Darter? „Berührt mich jedes Mal“
SPORT1: Eine der ikonischsten Szenen mit Ihnen ist natürlich Ihr 9-Darter. Wie oft sprechen Fans Sie darauf an?
Lim: Sehr oft – und ich kann das auch nie vergessen. Dieser 9-Darter hat Paul Lim zu Paul Lim gemacht. Das ist mein Vermächtnis. Selbst junge Spieler sagen heute: „Mein Vater hat dich damals 1990 gesehen“ - 35 Jahre ist das her. Viele, die das damals sahen, spielen heute selbst Darts. Es berührt mich jedes Mal.
SPORT1: Sie waren einmal kurz davor, einen zweiten 9-Darter gegen Gary Anderson zu werfen.
Lim: Ja, das stimmt. Ich wünschte, ich hätte ihn getroffen – aber lustigerweise reden die Leute über diesen verfehlten 9-Darter fast noch mehr als über den, den ich geschafft habe! Alle wussten, wie besonders das gewesen wäre. Es wäre wohl einmalig gewesen, sowohl bei der BDO- als auch bei der PDC-Weltmeisterschaft einen 9-Darter zu werfen. Das wird wohl kaum jemand schaffen.
SPORT1: Nach dem Match mit Gary Anderson sah man, wie Sie sich umarmten. Können Sie das beschreiben?
Lim: Ja, Gary und ich respektieren uns sehr. Er ist ein Gentleman. Als ich gegen ihn spielte, konnte ich spüren, dass er ehrlich wollte, dass ich den 9-Darter treffe – obwohl ich sein Gegner war. Das zeigt, was für ein Mensch er ist.
„Man sollte spielen, weil man den Sport liebt“
SPORT1: Sie haben Ihre Teilnahme an der WM hart erarbeitet – keine Wildcard, sondern durch Turniersiege. Was sagen Sie zu denen, die sagen, manche Spieler hätten es nicht verdient, dabei zu sein?
Lim: Ich finde das unfair. Egal, wo man sich qualifiziert – man arbeitet hart, reist, zahlt Hotels, trainiert. Jeder, der sich qualifiziert, hat es verdient, dort zu sein – auch wenn er in der ersten Runde verliert. Es ist wie bei der Fußball-WM: Manche Länder haben kaum Chancen, aber sie haben sich qualifiziert und verdienen Respekt. Gleiches gilt für Golf oder jede andere Sportart. Ich respektiere jeden, der sich der Herausforderung stellt – auch wenn er denkt, er hat gegen Stars wie Luke Littler oder Luke Humphries keine Chance. Man sollte spielen, weil man den Sport liebt. Verlieren ist das eine – Teil davon zu sein, ist das andere.
SPORT1: Also ein bisschen wie bei den Olympischen Spielen?
Lim: Genau.
SPORT1: Ihr nächster Gegner ist Luke Humphries – ein Weltklassemann.
Lim: Ja, das ist eine großartige Gelegenheit. Ich habe mir den Platz verdient. Ich werde rausgehen, das Publikum genießen – egal, ob er mich klar schlägt oder ich ihm Paroli biete. Luke ist ein sehr netter Mensch. Wir haben uns schon öfter unterhalten, und er war immer freundlich zu mir – ich vergesse so etwas nicht.
Littler? „Dachte zuerst, das sei ein Scherz!“
SPORT1: 2021 lag er 2:0 vorne gegen Sie, und Sie kamen zurück. Denken Sie daran?
Lim: Ich hoffe, ich muss diesmal nicht wieder 0:2 zurückliegen. Das war ein großartiges Comeback, aber Geschichte – jetzt zählt das nächste Spiel.
SPORT1: Selbst Luke Littler hat über Sie gesprochen.
Lim: Ja, ich dachte zuerst, das sei ein Scherz! Jemand schickte mir einen Clip mit den Worten: „Die zwei Spieler, gegen die ich nicht spielen will, sind Paul Lim und Beau Greaves.“ Ich dachte, das sei ein Fake. Später sah ich das Video – und er hat es wirklich gesagt. Das fand ich lustig, aber auch schmeichelhaft.
SPORT1: Was ist so besonders am Dartsport? Warum lieben Sie ihn?
Lim: Ich liebe viele Sportarten, aber Darts am meisten, weil jeder gut darin werden kann. Man kann zu Hause üben, egal bei welchem Wetter. Nach der Arbeit koche ich, trinke Tee und spiele. Ich liebe es, mich selbst zu analysieren und zu verbessern. Ich sage immer: Wenn eine Million Menschen sagen, Sie seien ein guter Dartspieler, Sie selbst es aber nicht glauben – dann sind Sie keiner. Sie müssen an sich glauben.