Der FC St. Pauli überraschte zuletzt mit der Ankündigung, künftig bei minderjährigen Spielern die Zusammenarbeit mit Beratern und Agenturen zu beenden.
2. Bundesliga: St. Pauli-Verbot für Berater! Angelo Vaccaro im SPORT1-Interview
St.-Pauli-Verbot? “Bin schockiert“
Ein Berater, der viel mit Talenten aus dem Nachwuchsbereich arbeitet, ist der frühere Profi Angelo Vaccaro, der unter anderem für den VfB Stuttgart und den FC Augsburg aktiv war und Trainer wie Thomas Tuchel, Felix Magath und Ralf Rangnick hatte.
Im SPORT1-Interview spricht der 42-Jährige über die St.-Pauli-Entscheidung und die Zukunft des neuen Stuttgarter Superstürmers Serhou Guirassy. Zudem denkt er gerne an die gemeinsame Zeit mit VfB-Trainer Sebastian Hoeneß zurück.
SPORT1: Herr Vaccaro, Sie sind seit fünf Jahren Spielerberater in der Agentur FDF Sportmanagement. Die Beraterbranche wird oft als Schlangengrube bezeichnet. Wie sehen Sie das?
„Heutzutage musst du für die Spieler alles machen“
Angelo Vaccaro: Wie im richtigen Leben, gibt es gute und schlechte Menschen. Mein Geschäftspartner und ich versuchen, das, was wir im Fußball erlebt haben, jetzt besser zu machen, und mit den Jungs ehrlich umzugehen. Durch unsere Erfahrung können wir Vieles anders einschätzen.
SPORT1: Was ist heute besser als damals?
Vaccaro: Früher gab es nicht so viele Berater, und man konnte nicht so viel überprüfen. Heute ist medial alles auf der Überholspur. Heute kannst du dem Spieler keinen Bären mehr aufbinden. Als Spieler kennst du ja auch viele Leute im Verein und bekommst Vieles schneller heraus. Früher haben dir die Berater hier und da auch mal ein Märchen erzählt.
SPORT1: Sind die Spieler heutzutage nicht nur noch Marionetten der Berater?
Vaccaro: Eher andersrum. Hätte ich früher einen Berater angerufen und ihn gefragt, ob er mir einen Tisch in einem Restaurant reservieren kann, dann hätte er aufgelegt. Heutzutage musst du für die Spieler alles machen. Du musst fast 24 Stunden für die Jungs erreichbar sein. Viele honorieren das, viele aber auch nicht.
SPORT1: Was für ein Typ waren Sie?
Vaccaro: Mir als Spieler war ein vertrauensvolles und ehrliches Verhältnis zu meinem Berater wichtig. Dennoch hatte ich nicht die Erwartung, dass er bei jedem meiner Spiele anwesend ist. Mir war wichtig zu wissen, dass ich auf ihn zählen kann, wenn ich ihn gebraucht habe, wie bei Transfer-Verhandlungen oder bei meinen Verletzungen. Denn mir als Spieler war bewusst, was meine Aufgabe ist, um meine Ziele zu erreichen. Als erfahrener Berater bekommt man bereits beim Erstgespräch ein Gefühl dafür, wie intensiv der Spieler betreut werden möchte.
SPORT1: Sind die Spieler heutzutage nicht oft verunsichert und alles andere als selbstbewusst? Sie dürfen nichts mehr sagen und treten ohne den Berater fast gar nicht mehr auf.
„Im NLZ müssen Spieler keine Ellenbogen ausfahren“
Vaccaro: Das stimmt, und es ist traurig. Aber das hat einen anderen Hintergrund. Das hat viel mit den Nachwuchsleistungszentren zu tun. Da werden Spieler schon gezüchtet. Alle wollen immer diese Straßenfußballer sein, aber keiner ist ein Straßenfußballer. Auf dem Bolzplatz musst du dich durchsetzen. Da lernst du schon dieses Selbstbewusstsein. Doch das haben sie nicht. Im NLZ müssen Spieler keine Ellenbogen ausfahren. Das ist ein grundlegender Baustein, der falsch liegt. Früher war alles viel strenger.
SPORT1: Was meinen Sie?
Vaccaro: Früher durfte man keine Ohrringe und auch keine langen Haare tragen, und auch keine Tattoos haben. Weiße Schuhe waren auch nicht gern gesehen. Beim VfB Stuttgart gab es früher Frieder Schrof. Er hat beim VfB und bei RB Leipzig alles aufgebaut. Damals war die Disziplin besser als heute. Heute mache ich Instagram an und sehe einen 16-Jährigen, der schon 3000 Euro verdient und sich im teuersten Laden der Stadt eine Jeans für 1000 Euro kauft. Du musstest damals als junger Spieler zu Frieder Schrof ins Büro gehen und Hallo sagen. Du musstest Respekt zeigen. Heutzutage laufen die Jungs mit Kapuze tief ins Gesicht gezogen und schauen nur auf ihr Handy. Die Spieler werden zu sehr verwöhnt. Vieles ist sehr fragwürdig.
SPORT1: Serhou Guirassy ist der neue Superstar beim VfB. Über ihn sagt sein Trainer Sebastian Hoeneß, wie bodenständig er doch ist. Wie lange bleibt das so?
Vaccaro: Im Fußballgeschäft weiß man, wie es läuft. Guirassy erarbeitet sich gerade alles und ist beim VfB geblieben, obwohl er im Sommer hätte gehen können. Guirassy wird der VfB nicht halten können. Man hört aber aus seinem Umfeld, dass er wirklich bodenständig, nett, freundlich und hilfsbereit ist. Jedenfalls ist er nicht abgehoben.
SPORT1: Wird Guirassy eher nach Italien oder England wechseln?
Vaccaro: Die italienischen Klubs verfügen nicht über das nötige Budget. Guirassy wird nach England wechseln, wo seine Spielweise gut passen wird. Es wäre mein Wunsch, dass er bleibt, aber realistisch betrachtet wird Guirassy in die Premier League wechseln. Sein Berater hat es gut, er muss nicht arbeiten und erhält viele Anrufe.
SPORT1: Sie betreuen mit Raul Paula einen Spieler, der gerade mal 19 ist und beim VfB II spielt. In der Regionalliga hat er schon auf sich aufmerksam gemacht und er trainiert auch schon regelmäßig bei Hoeneß mit. Ist er die große Hoffnung beim VfB?
Vaccaro: Raul hat sich alles hart erarbeitet, musste auch schon mit einigen Rückschlägen klar kommen. Er hat ein super Umfeld. Er arbeitet sehr akribisch für den Erfolg. Er war in der Vorbereitung bei den Profis dabei und trainiert zweimal pro Woche dort mit, war auch schon bei einigen Freundschaftsspielen dabei. Raul bringt alles mit. Er kann Standards schießen, hat einen tollen Distanzschuss und besitzt eine gute Technik. Am Ende braucht man aber auch etwas Glück. Er hat einen Vertrag beim VfB bis 2025, und es spricht alles für ihn. Man muss aber als junger Spieler auch etwas Geduld haben. Wenn er so weitermacht, kommt der VfB nicht darum herum, ihn regelmäßig einzusetzen. Raul ist ein Stuttgarter Junge und identifiziert sich absolut mit dem Verein.
SPORT1: Lassen Sie uns über ein Thema sprechen, das zuletzt für Verwunderung sorgte. Der FC St. Pauli will zukünftig nicht mehr mit Beratern von Spielern aus dem U-Bereich zusammenarbeiten. Was sagen Sie dazu?
Vaccaro: Ich bin schockiert. Was hat sich St. Pauli nur dabei gedacht? Es gibt viele Eltern von jungen Spielern, die hilflos sind, weil sie die Branche gar nicht kennen. Wir wollen nichts Schlechtes. Wir wollen zusammen mit dem Klub dafür sorgen, dass der Spieler vorankommt. Ich verstehe wirklich nicht, was St. Pauli da abzieht.
SPORT1: Kann sich das dauerhaft durchsetzen?
Vaccaro: Ich glaube, dass sich das nicht durchsetzen wird, weil der Fußball Berater braucht, und auch die Spieler uns als Unterstützung brauchen. Sogar Vereine haben mittlerweile Berater. Ich habe immer Sympathien für St. Pauli gehabt, aber das hat mich schon geschockt. Ich glaube nicht, dass diese Entscheidung von Andi Bornemann getroffen wurde, das kam eher aus dem NLZ-Bereich. Vielleicht ist dort auch etwas vorgefallen. Man kann Berater nicht ausschließen. Die Spieler und die Eltern haben ein Recht darauf, sich Hilfe zu holen. In der Jugend verdient man eigentlich kein Geld mit den Spielern. Man geht da eher in Vorkasse, um darauf zu hoffen, dass aus dem Jungen ein erfolgreicher Profi wird. Ich verstehe nicht, was St. Pauli davon hat, wenn sie nicht mehr mit Beratern zusammenarbeiten wollen.
SPORT1: Kann ein Jugendspieler durch einen Berater nicht auch gehemmt werden?
Vaccaro: Ich kann jetzt nicht für meine Kollegen sprechen. Es ist mir auch egal, was sie machen. Wir versuchen bestmöglich zu unterstützen und ihnen unsere Erfahrungen mitzugeben. Wir machen alles für die Jungs, damit sie sich auf das eine Ding konzentrieren können, nämlich Fußball spielen.
SPORT1: Glauben Sie, dass durch die Entscheidung des FC St. Pauli Jugendspieler auf der Strecke blieben?
„Plötzlich wurde ich vor die Tür gesetzt“
Vaccaro: Der Verein schießt sich damit ein Eigentor. Grundsätzlich kommt es immer auf den Charakter des Spielers an. Aber jetzt kommen andere Klub-Bosse an und sagen ‚Komm‘ zu uns‘. Und andere Berater werden versuchen die Spieler jetzt wegzuholen.
SPORT1: Ein weiteres spannendes Thema: Wie gestaltet sich die Situation der Nationalitätswechsel im Jugendfußball? Zum Beispiel Paul Wanner, der für Deutschland spielt, erkundet auch die Option, für Österreich zu spielen. Bei Mathys Tel hat Rudi Völler plötzlich die Möglichkeit einer Einbürgerung ins Gespräch gebracht. Zahlreiche Talente stehen zwischen Deutschland und der Türkei zur Auswahl, und es gibt viele Wechselanfragen, die im Raum stehen.
Vaccaro: Ein Berater hat auch die Aufgabe, Spielern in solchen Fällen Ratschläge zu erteilen. Bei Tel sehe ich es kritisch. Gemäß den FIFA-Regeln darf ein Spieler nicht beliebig zwischen Nationalmannschaften wechseln. Viele glauben fälschlicherweise, dass sie, nachdem sie für das A-Nationalteam gespielt haben, unumstößlich gebunden sind. Das ist jedoch nicht korrekt. Sogar Wechsel im U-Bereich führen zu einer endgültigen Bindung. Wir sollten frühzeitig darauf hinweisen, welcher Weg der richtige ist.
SPORT1: Können Sie sich an eine unangenehme Erfahrung als Spieler mit Ihrem Berater erinnern?
Vaccaro: Als ich beim VfB Stuttgart spielte, wurde ich oft von Felix Magath aussortiert und nicht in den Kader aufgenommen. Ich wurde in die zweite Mannschaft geschickt und durfte sogar nicht mit ins Trainingslager. Dabei hatte ich noch einen für drei Jahre gültigen Vertrag. Später wechselte ich nach Unterhaching, hatte jedoch kaum Kenntnisse in diesem Geschäft und mein Vater ebenfalls nicht. Ich hätte Anspruch auf eine beträchtliche Summe gehabt, aber am Ende ging ich ohne Entschädigung. Wer profitierte davon? Ich unterstelle niemandem etwas. In Haching wurde eine bestimmte Summe vereinbart, doch plötzlich wurde ich vor die Tür gesetzt. Bei uns wird so etwas nie geschehen, wir sind transparent und möchten eine familiäre Atmosphäre schaffen. Wir haben keine Geheimnisse vor unseren Spielern. Natürlich ist es für mich einfacher, da ich die Sprache der Spieler spreche.
SPORT1: Letzte Frage: Sie haben früher mit VfB-Trainer Sebastian Hoeneß zusammengespielt. Wie war das?
Vaccaro: Das war großartig. Wir spielten zusammen in der Jugend des VfB Stuttgart. Wir hatten sogar eine Fahrgemeinschaft, bei der entweder mein Opa oder meine Mama mich zum Training brachte und wir unterwegs Sebastian Hoeneß abholten. Wir hatten eine tolle Zeit, obwohl wir auch Konkurrenten waren, da wir beide Offensivspieler waren. Später wechselte er zur Hertha, während ich beim VfB blieb. Wir waren wirklich enge Freunde und haben auch heute noch guten Kontakt. Ich freue mich sehr über seinen Erfolg.