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Ein Super-GAU mit Ansage?

Ein Super-GAU mit Ansage?

Thomas Tuchel sorgt in England mit seinem Verzicht auf Jude Bellingham für einen medialen Aufschrei. Es gibt beißende Kritik - aber auch bewunderndes Lob.
Thomas Tuchel sorgt in England für Aufsehen. Der Nationaltrainer der Three Lions verzichtet für die kommenden Länderspiele in der WM-Qualifikation unter anderem auf Englands Fußballer des Jahres Jude Bellingham. Die englische Presse reagierte schockiert.
Thomas Tuchel sorgt in England mit seinem Verzicht auf Jude Bellingham für einen medialen Aufschrei. Es gibt beißende Kritik - aber auch bewunderndes Lob.

Hat Thomas Tuchel einen gigantischen Fehler begangen? Der Verzicht des englischen Nationaltrainers auf Jude Bellingham für die anstehenden Länderspiele hält eine ganze Nation in Atem.

Die berühmt-berüchtigte englische Presse überschlägt sich auch am Tag nach der außergewöhnlichen Entscheidung. Von beißender Kritik bis hin zu Lobliedern ist alles dabei.

Befasst man sich mit der geradezu entsetzten Seite der Medienlandschaft, landete man zuerst beim Boulevardblatt Daily Mirror und dessen Fußball-Chefredakteur John Cross. Seine Meinung: „England hat ohne Bellingham keine Chance - dies ist Tuchels entscheidender Moment“.

„Du stößt ihn vor den Kopf“

Wie auch immer man es verkaufe, „unseren besten Spieler, ein Generations-Talent, rauszulassen, ist die falsche Entscheidung.“ Mehr noch, es sei ein „gigantischer Fehler“, der zudem eine große Baustelle eröffnet habe.

Der Vorwurf an Tuchel, der mit kontroversen Aussagen zu Bellingham schon im August für mächtig Wirbel gesorgt hatte: „Du stößt ihn (Bellingham, Anm.) vor den Kopf. Es ist ein wirklich schlechter Zug.“

Ohne Bellingham, der nach einer Schulteroperation bei Real Madrid überraschend schnell wieder zum Team gestoßen war, werde England bei der kommenden WM keine Chance haben. Für besondere Spieler wie Bellingham müsse es besondere Regeln geben, meinte Cross noch.

Ähnlich kritisch äußerte sich Ian Ladyman bei der Daily Mail. Tuchels Bellingham-Entscheidung sei „voller Löcher. Der explosive Verzicht wird Schockwellen durch die Fußballwelt senden.“

Tuchels Kader sei eine deutliche Nachricht an Bellingham. Es gehe nicht um dessen Fitness - der Nationaltrainer habe klare Erwartungen in Sachen Verhalten und Auftritt. Vor allem, dass der Coach eine Rückkehr des Real-Stars als ausdrücklich nicht garantiert ansieht, sorgt für mächtig Verwunderung.

Tuchel mit „Große-Eier-Entscheidung“

Die Zeitung The Sun umschrieb den Vorgang so: „Thomas Tuchel mit ‚Große-Eier-Entscheidung‘ - die seine Zeit als England-Trainer definieren könnte."

Doch wie eingangs erwähnt sieht nicht jeder den Bellingham-Knall als Super-GAU mit Ansage. Bei der BBC interpretiert man die Zusammenstellung des englischen Kaders in Person von Chefradakteur Phil McNulty so: „Es zeigt, dass der Deutsche sich keinem Spieler unterwerfen oder sich den Launen seiner größten Stars beugen wird.“

Die Tage der automatischen Rückkehrer „unter Star-verliebten Trainern sind unter Tuchel vorbei. Der Ruf bedeutet nichts. Leistung schon.“

Tuchels Entscheidung zeuge zudem von „gesundem Menschenverstand“, schließlich habe Bellingham nach seiner Verletzung erst ein Spiel von Beginn an absolviert.

„Die Vorstellung, dass England ohne einen fitten Bellingham zur Weltmeisterschaft fährt, ist undenkbar, aber Tuchel hat ein Zeichen gesetzt“, heißt es in dem Kommentar weiter.

Die Meinungen sind tief gespalten

Und selbst die so kritische Daily Mail präsentiert noch eine zweite Meinung, Oliver Holt schreibt: „Jude Bellingham im Trikot der englischen Nationalmannschaft schreit geradezu nach Privileg – wenn er zurück will, muss er Thomas Tuchel beweisen, dass er ein Teamplayer ist."

England sei zu lange durch „die Angst eines Trainers vor dem Ego und der starken Persönlichkeit seiner Spieler gelähmt“ gewesen: „Zumindest in dieser Hinsicht hat Tuchel keine Angst.“

Provoziert der stets streitbare Tuchel nun also einen Wirbelsturm, den er nicht unter Kontrolle bekommen kann und der ihn mittelfristig aus dem Amt wehen wird? Oder verschafft er sich im Gegenteil die Autorität, die nötig ist, um England zu den so lang ersehnten Erfolgen zu führen? Beides ist möglich - und die Prognosen gehen in beide Richtungen.

Spanien: Tuchel deckt Alonsos Fehler auf

Interessant ist übrigens auch der Blick nach Spanien. Bei der Zeitung Sport wird Tuchels Entscheidung nicht nur in Hinblick auf den Teamspirit als richtig angesehen. „Tuchel entblößt Alonsos bisher größten Fehler“, heißt es da.

Madrids Trainer Xabi Alonso habe zu früh auf Bellingham gesetzt. Bei der 2:5-Blamage bei Stadtrivale Atlético sei der Engländer nicht nur Reals schlechtester Spieler gewesen. Sein Einsatz habe auch ein zuvor funktionierendes Team unnötig durcheinander gewirbelt.

Tuchel selbst betonte, dass er mit Bellingham und den ebenfalls nicht nominierten Stars Phil Foden und Jack Grealish gesprochen habe - und es keine Probleme gebe. Die gespaltenen Reaktionen in England lassen eine andere Realität vermuten.