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Bundesliga-Relegation: Der HSV hat seine Strafe abgesessen | Kolumne

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Bundesliga-Relegation: Der HSV hat seine Strafe abgesessen | Kolumne

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Der HSV hat seine Strafe abgesessen

Der Hamburger SV trifft in der Relegation um die Bundesliga auf den VfB Stuttgart. SPORT1-Kolumnist Alex Steudel steht zwischen den Stühlen.
Auf der Pressekonferenz vor dem Relegationshinspiel des Hamburger SV gegen den VfB Stuttgart spricht Trainer Tim Walter über den "Rückschlag", in die Relegation zu müssen.
Alex Steudel
Alex Steudel

Kolumnen sind ja selten bis nie objektiv, aber eine gewisse Distanz hat man als Autor dann doch immer zum beschriebenen Thema.

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Nur diese Kolumne hier bietet keine Objektivität. Sie ist ein Glanzlicht sportjournalistischer Nulldistanz. Schon das Eintippen des ersten Absatzes geht mir an die Knochen, und damit meine ich nicht die in den Fingern.

Thema ist die Bundesliga-Relegation, zwei Duelle VfB Stuttgart gegen Hamburger SV am Donnerstag und Montag. Alles oder nichts.

Ich muss gestehen: Ich leide. Weniger unbeteiligt als jetzt geht nicht. Mir ist, als würden Mama und Papa in den UFC-Käfig steigen.

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VfB oder HSV – es kann nur einen geben

Ich stecke im Dilemma. VfB oder HSV - es kann nur einen geben. Aber welchen bloß? Für mich bedeuten diese beiden Spiele nämlich das Duell Heimat gegen Wahlheimat. Was ist mir wichtiger?

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Manchmal fragen mich die Leute: Bist du eigentlich HSV-Fan oder -Hasser? Ein besseres Kompliment wird man als Kolumnist nicht bekommen können.

Sagen wir so: Ich lebe seit 20 Jahren in Hamburg und habe mich im Laufe der Zeit an die Unzulänglichkeiten der Rothosen gewöhnt. Wenn einer ständig auf die Nase fällt, dann lache ich gern mit, kriege aber auch irgendwann das Helfersyndrom. Der HSV ist der mir liebgewordene, unfreiwillige Pointenlieferant, der „Doof“ aus Laurel und Hardy, immer ein bisschen dusselig seinem Ziel entgegensteuernd.

Der HSV ist aber auch einer, der unbedingt bei den Großen mitmischen will, das aber nicht hinkriegt und deshalb hadert und alles probiert, wirklich alles. Eine Art Fredo Corleone aus The Godfather.

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Nur wohnt Fredo HSV nicht in Lake Tahoe oder Las Vegas, sondern in einem dieser geschmacklosen Schrebergärten mit 1200 Quadratmeter großer HSV-Flagge, was einerseits total kitschig, andererseits echt ist; echter jedenfalls als St.-Pauli-Totenkopf-Shirtträger mit Porsche in der Garage.

Erste Liebe: VfB Stuttgart

Der VfB Stuttgart wiederum ist meine erste Liebe. Erstes vor Ort miterlebtes Bundesligaspiel. Erster Schal, von Oma in Griechenland gestrickt, heißersehnt und endlich per Paket geliefert, was ewig lang dauerte; vielleicht auch, weil die Zusteller damals noch in erster Reihe parkten. Viele Erinnerungen also.

Zum Beispiel daran, dass früher immer alle sagten, ich sehe aus wie Hansi Müller, was mich ganz stolz machte. Erinnerung an Herumhüpfen vor Aufregung auf dem aufklappbaren Jugendbett, während das Radio „Heute im Stadion“ spielt.

An das Erschrecken über mich selbst, nachdem mir die erste obszöne Beschimpfung eines Schiedsrichters über die jungen Lippen gegangen war. War das gerade wirklich ich? Das also macht Fußball aus einem.

Schöne Erinnerungen an die noch unschuldige Fußballwelt, die nur gestört wurde vom Wechsel des legendären Schwabenpfeils Dieter Hoeneß zum FC Bayern.

„Hoeneß geht nach Daglfing, Hoeneß wird jetzt Traberking!“, sang im D-Block des Neckarstadions ein sternhagelvoller Fan mit Minipli-Locken und in Jeanskutte, stapfte dabei mit zwei Bierbechern in den Händen an mir vorüber. Das war 1979 und machte mir klar, dass komische Menschen nicht nur auf dem Campingplatz im Sommerurlaub vorkommen.

Der HSV hat seine Strafe abgesessen

Kurios, dass jetzt ausgerechnet Hoeneß junior, der Sebastian, damals noch nicht mal geboren, als VfB-Trainer den rotweißen Kopf aus dem Ligaschafott ziehen soll. VfB gegen HSV. Bin ich unbefangen? Null! Bin ich neutral? Sowas von nicht.

Aber für wen soll ich sein? Ich weiß es nicht. Ich finde zum Beispiel, dass der HSV seine Strafe abgesessen hat. Fünf Jahre Einsamkeit für einen Haufen Fehlentscheidungen und einen Berg Schulden und einen Lasogga müssen genug sein. Sogar Uli Hoeneß durfte früher raus.

Aber Bewährung gibt es im Fußball halt nicht und auch keinen Freigang. Du kannst nicht testweise tagsüber in der ersten Liga spielen und abends zurück in die zweite müssen.

Ich gönne den VfB-Fans den Klassenerhalt

Ich finde beruhigend, dass der völlig irr wirkende HSV-Trainer Tim Walter angeblich gar nicht irr ist. Also Augenzeugenberichten zufolge, ich selbst traue mich nicht in seine Nähe. Ich mag, dass der HSV endlich jungen Spielern aus Hamburg vertraut. Aber ich gönne den Fans des VfB den Klassenverbleib, weil sie leidenschaftlicher und lauter und treuer sind, als man sich das vorstellen kann.

„D‘r Vau-Äff-Beeeeeh“ - immer mit schwäbisch-saulangem „eeeeeh“ ausgeprochen - ist einfach viel zu tief verwurzelt in der Stadt, ist einfach zu Stuttgart, um einfach so absteigen zu dürfen. Selbst ich als spätberufener Stuttgarter-Kickers-Fan räume das ein.

Fakten? 66 Punkte hat der HSV diese Saison gesammelt, dafür gibt es in vier von fünf Zweitligaspielzeiten sofort den Passierschein. Der HSV spielt ansehnlichen Fußball, wenn auch unter Nichtberücksichtigung des Begriffs Abwehr. Der VfB war schon verloren, Platz 18 im April, und dann immer diese grandiosen Last-Minute-Tore. Wilde, junge, topmotivierte Spieler, die Weltklassefußball zeigen würden, wenn ihnen nicht dauernd der Ball verspränge.

Der VfB hat Jahreswechselkampfbriefe und interne Verdrängungswettbewerbe weggesteckt und sich ganz schön beeindruckend zurückgekämpft. Der VfB ist Mercedes-Stern und im Hintergrund Weinberge. Der HSV ist, ja, was ist er eigentlich?

Der HSV Tabellendritter, aber Zweiter der Herzen

Der HSV kann aber auch Rückschläge wegstecken, zum Beispiel Klaus-Michael Kühne. Der HSV hat am Sonntag mitten in den Aufstiegsfeierlichkeiten das irre späte und entscheidende Heidenheimer Tor hinnehmen müssen, gefühlt fiel es in der ersten Minute des 1. Spieltags der Saison 2023/24. Das muss man erstmal verdauen.

Der VfB ist Drittletzter, der HSV ist Dritter, aber Zweiter der Herzen. 53.529 Zuschauer kamen im Schnitt zu den Heimspielen. Das sind mehr als in Wolfsburg und Bochum zusammen. In der ganzen ersten Liga hatten nur vier Klubs besseren Besuch. Ist das nicht toll?

Was möchte ich, wer soll es schaffen? Machen wir uns nichts vor: Verdient haben es beide total. Und ich werde mich nicht freuen können, egal, wie‘s ausgeht.

Aber wie geht‘s aus? In meiner privaten, 37-köpfigen Tippspielgruppe bin ich diese Saison erstmals ganz oben gelandet, aber auf einem geteilten ersten Platz nur. Das Tippkomitee hat am Montag entschieden, dass wir, die beiden Erstplatzierten, nun sudden-death-mäßig in die Relegation, also sie tippen müssen.

Ausgerechnet Stuttgart-Hamburg, dachte ich, und tippte sofort los, schnell-schnell, ehe die Emotionen kommen, ohne großes Analysieren, denn das ergibt nach meiner Erfahrung die besten Tipps. Heraus kam: der VfB. Gewinnt Spiel eins 2:1 und dann auch die Relegation. Würde mich das glücklich machen? Nein.

Wie sagte ManUnited-Legende Alex Ferguson einst so schön? „Football, bloody hell!“

Alex Steudel ist freier Journalist. Er war Bayern- und Nationalmannschaftsreporter sowie Chefredakteur von Sport Bild. In seiner Kolumne für SPORT1 widmet er sich auf nicht immer ganz ernstgemeinte Weise aktuellen Themen. Steudel-Kolumnen gibt es auch regelmäßig im kostenlosen Fußball-Newsletter Fever Pit‘ch von SPORT1-Chefredakteur Pit Gottschalk. Zur Anmeldung geht‘s hier: https://newsletter.fever-pit.ch/