Sollen dieser Tage Schwächen bei Bayer Leverkusen identifiziert werden, braucht es schon ein besonders kritisches Auge. Die Werkself hat Platz eins am Sonntag eindrucksvoll zementiert und Union Berlin mit 4:0 aus dem eigenen Stadion geschossen. Eigentlich alles in bester Ordnung. Und doch gab es ihn, diesen kleinen Moment inmitten der Feierstimmung, der kurz vor Schluss sofort auffiel. Da schlich Victor Boniface mit gesenktem Kopf vom Rasen, wurde für Adam Hlozek ausgewechselt.
Hier sind Kane und Guirassy besser - wo Bayer-Torjäger Boniface noch zulegen muss
Hier sind Kane und Guirassy besser - wo Bayer-Torjäger Boniface noch zulegen muss
Das ist Bonifaces größte Schwäche
Was unschwer zu erkennen war: Freude über den zehnten Sieg im elften Saisonspiel hatte der nigerianische Nationalspieler in jenen Sekunden nicht im Sinn. Zu sehr ärgerte sich der Torjäger über die eigene Leistung und die Tatsache, dass ihm wieder kein eigener Treffer gelang. Startete Boniface mit drei Doppelpacks in seinen ersten fünf Bundesliga-Spielen herausragend, wartet er nun seit mittlerweile vier Partien auf ein Erfolgserlebnis - und hadert über einen teilweise gravierenden Chancenwucher.
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Ein besonders eklatantes Beispiel gab es nach rund einer halben Stunde. Da segelte eine Flanke von Jeremie Frimpong ins Zentrum. Boniface lief optimal in Position, kam frei vor Frederik Rönnow aus vier Metern zum Kopfball - und drückte den Ball genau auf den Berliner Torhüter. Eine Gelegenheit aus der Kategorie: Schwerer, den nicht zu machen. Schon zuvor tauchte der 22-Jährige zweimal gefährlich auf, traf den Ball aber jeweils nicht richtig.
Niemand probiert es öfter als Boniface
Woran kein Zweifel besteht: Boniface hat sich seit seiner Ankunft in Leverkusen als immense Verstärkung erwiesen. Mit seinem wuchtigen Körper, 1,89 Meter groß und 85 Kilogramm schwer, ist er immer präsent und anspielbar, gleichzeitig auch trickreich wie unberechenbar. Eine Mischung, durch die der Neuzugang für die Verteidiger oftmals kaum zu stoppen ist. Allein in puncto Kaltschnäuzigkeit hat er noch viel Potenzial.
Das haben die vergangenen Wochen mehr als verdeutlicht. Boniface, der bekanntlich aus allen Lagen feuert, hat alleine in der Bundesliga bereits 62 Torschüsse abgegeben - mit weitem Abstand der Höchstwert. Seine sieben erzielten Tore wirken dagegen eher überschaubar. Dass seine Schussversuche mitunter zu inkonsequent sind, zieht sich wie ein roter Faden durch die Saison.
Hier ist Boniface schlechter als der Erwartungswert
Die Statistiken bestätigen diesen Verdacht. Im Vergleich aller Top-Stürmer liegt einzig Boniface unter seinem Expected-Goals-Wert. Diese Ziffer der „erwarteten Tore“ stellt auf Grundlage verschiedener Faktoren dar, wie hoch die Wahrscheinlichkeit auf ein Tor bei jedem Abschluss ist. Sprich: Übertrifft ein Stürmer seinen xG-Wert, macht er aus seinen Torschüssen mehr, als es der Algorithmus durchschnittlich hergeben würde.
Und das sollte bei Torjägern natürlich auch der Fall sein, ist das Toreschießen schließlich ihre Kernkompetenz. Doch Boniface läuft seinem Erwartungswert (9,7 xG/7 Treffer) ein beträchtliches Stück hinterher - ganz im Gegensatz zur Konkurrenz. Harry Kane (11,2 xG/17 Treffer), Serhou Guirassy (8,3 xG/15 Treffer), Loïs Openda (6,0 xG/9 Treffer) und Jonas Wind (5,7 xG/8 Treffer) sind dem Leverkusener diesbezüglich weit voraus, machen aus weniger mehr.
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Boniface ist „mit seiner Körperlichkeit ein wichtiger Faktor“
Ging anfangs nicht selten ein lautes Raunen über die Zuschauerränge, als Boniface den Gegner mit ansatzlosen Kabinettstückchen austanzte, ertönen solche Geräusche inzwischen vermehrt nach vergebenen Großchancen - als Ausdruck der Fassungslosigkeit. Sportdirektor Simon Rolfes versuchte unlängst, den Druck von seinem Schützling zu nehmen und betonte, dass der Wert des Nigerianers nicht nur anhand der geschossenen Treffer zu bemessen sei.
„Natürlich ist er ein guter Torjäger, kann auch Tore machen, aber auch das Zusammenspiel ist wichtig, weil wir viele Spieler vorne haben, die gut kombinieren können“, erklärte Rolfes die große Bedeutung eines kompletten Angreifers. Boniface sei „mit seiner Körperlichkeit ein wichtiger Faktor, um Bälle zu halten und Räume für seine Mitspieler zu schaffen“. Das gelingt ihm fraglos herausragend.
Die gute Nachricht: Leverkusen stürmt trotz des Mankos seines Offensivspielers durch die Liga, hat nun sogar den Startrekord des FC Bayern München aus der Saison 2015/16 eingestellt. Steigert sich Boniface jetzt auch in der Chancenverwertung, können sich die gegnerischen Teams in Zukunft noch wärmer anziehen.