Bei der Frage, ob sie sich in der EM-Vorbereitung alte Videos von Arjen Robben angeschaut hätte, musste Jule Brand nach dem deutschen Auftaktsieg gegen Polen erst einmal schmunzeln. Zu sehr hatte ihr Zug in die Mitte mit dem folgenden traumhaften linken Schlenzer an den Ex-Bayern-Star erinnert.
DFB-Star auf Robbens Spuren
„Sie trifft den Ball perfekt. Mit dem Spann oben in den Winkel. Nicht zu halten“, schwärmte TV-Expertin Almuth Schult über das 1:0 in der ARD.
Brand begeistert mit Traumtor gegen Polen
Was Brands Tor besonders bemerkenswert macht: Sie ist anders als Robben gar kein Linksfuß. Doch wer ihren Schuss sowie ihre Flanke vor dem 2:0 durch Lea Schüller sah, würde darauf wohl nie kommen.
„Bei der Nationalmannschaft habe ich ja öfter rechts gespielt und da hilft mir ein besserer linker Fuß. Deswegen habe ich den öfter trainiert“, erklärte die offizielle „Spielerin des Spiels“ ihren Erfolg auf SPORT1-Nachfrage.
Doch Brand hat sich nicht nur in diesem Bereich verbessert, wie ihre Teamkollegin Linda Dallmann nach dem Spiel verriet. „Ich bin immer wieder fasziniert von Jule. (…) Gerade auch international hat sie sich enorm entwickelt.“
Dallmann schwärmt von DFB-Kollegin
Brands Offensivkünste sind unumstritten: Der DFB-Star ist schnell, dribbelstark und torgefährlich. Doch inzwischen sei es so, dass sie auch „defensiv sehr stark mitarbeitet und auch sehr viele Bälle für uns erobert“, ergänzte Dallmann, die nach der Partie gegen Polen besonders von der Flügelzange aus Brand und Klara Bühl angetan war. „Ich glaube, dass wir mit Jule und Klara über die Außen vielleicht die zwei besten Außenspielerinnen im Turnier haben.“
Ohnehin sei für die Mittelfeldspielerin klar, „dass Jule einen ganz großen Weg vor sich hat“.
Dass Brand ein riesiges Talent ist, ist nicht erst seit den zwei Torbeteiligungen gegen Polen bekannt – nicht umsonst erhielt sie 2022 schon die „Golden Girl“-Auszeichnung als beste U21-Spielerin Europas.
Bereits im Alter von 18 Jahren wurde Brand erstmals in den DFB-Kader berufen und bestritt seitdem über 60 Spiele im Trikot der Nationalmannschaft.
Die vorläufige Krönung ihrer DFB-Karriere sollte der Titel bei der Europameisterschaft in England 2022 sein. Nach einer bis dahin starken Turnierleistung wurde die damals 19-Jährige im Finale allerdings von ihrer Nervosität übermannt, wirkte völlig überfordert und musste zur Pause den Platz verlassen.
Brands Kampf mit der Konstanz
In den folgenden Jahren wechselten sich Weltklasse-Leistungen immer wieder mit Spielen ab, in denen Brand nur wenig in Erscheinung treten konnte. „Konstanz“ ist das Zauberwort, wie die 22-Jährige auch selbst weiß.
„Konstanz war immer so ein Ding bei mir, da waren zu viele Schwankungen drin. Das hat mich selbst am meisten gestört“, gab Brand im Exklusiv-Interview mit SPORT1 zu. „Die Kritik, die immer kam, habe ich mir irgendwann auch gar nicht mehr durchgelesen. Das hat mir sehr geholfen, deshalb versuche ich, das alles mit mir auszumachen und gar nicht auf die Meinung anderer zu hören.“
Sie wolle einfach „immer weiter konstant spielen, mich weiter verbessern und einfach Leistung bringen“, sagte sie nach dem ersten EM-Spiel in St. Gallen.
„Raus aus der Komfortzone“: Von Wolfsburg nach Lyon
Die Entwicklung der deutschen Starspielerin bleibt auch international nicht unbemerkt. Nach dem Turnier in der Schweiz steht der nächste Karriereschritt an: Brand, zuletzt beim VfL Wolfsburg unter Vertrag, wechselt zu Lyon – dem Rekordsieger der UEFA Women’s Champions League.
Es habe sie „einfach sehr gereizt, mal raus aus der Komfortzone und auch in ein anderes Land zu gehen“, begründete sie ihre Entscheidung im Gespräch mit SPORT1.
In den kommenden Wochen spielt der Wechsel nach Frankreich für die Offensivspielerin aber keine Rolle, wie sie nach dem ersten Gruppenspiel betonte: „Das ist noch weit weg. Meine Mannschaft ist gerade Deutschland und darauf fokussiere ich mich.“
Brand ist bereit für den nächsten großen Schritt - auch bei der Nationalmannschaft, bei der sie einerseits mehr Verantwortung übernehmen, sich andererseits aber auch spielerisch weiter steigern möchte.
Frauen-EM: Brand sieht „noch Luft nach oben“
Das scheint zu gelingen, wenn man das erste EM-Spiel als Maßstab nimmt - auch wenn ihr Auftritt aufgrund der Schwankungen in der Vergangenheit noch mit etwas Vorsicht zu genießen ist.
Und auch das „Golden Girl“ selbst dachte nach dem Spiel gar nicht erst daran, sich für ihre Leistung feiern zu lassen. „Es war generell nicht mein bestes Spiel“, ließ sie stattdessen verlauten.
Ihre abschließenden Worte klingen wie eine Drohung an Deutschlands kommende EM-Gegner: „Ich bin froh, dass ich helfen konnte mit einem Tor und einem Assist. Aber auch bei mir ist da noch Luft nach oben.“