Nations League>

Als das DFB-Team bei EM 1972 der Perfektion nahe kam - die größten Duelle mit England im Wembley

Als DFB-Team der Perfektion nahe kam

England gilt als Mutterland des Fußballs, das Wembley-Stadion ist der bedeutendste Tempel des Landes. Auch die deutsche Nationalmannschaft hat dort legendäre Schlachten geschlagen. SPORT1 erinnert sich.
Um kein anderes Tor ranken sich bis heute so viele Mythen. Das umstrittene 3:2 der Engländer im WM-Finale 1966 gegen Deutschland ging als "Wembley-Tor" in die Geschichte ein.
England gilt als Mutterland des Fußballs, das Wembley-Stadion ist der bedeutendste Tempel des Landes. Auch die deutsche Nationalmannschaft hat dort legendäre Schlachten geschlagen. SPORT1 erinnert sich.

Heute tritt die Nationalmannschaft zum 14. Mal im Wembley-Stadion an. Es gilt auch eine positive Bilanz zu verteidigen, im Mekka des britischen Fußballs hat Deutschland öfter gewonnen als verloren.

An das letzte Gastspiel haben die Deutschen aber keine guten Erinnerungen, obwohl es nicht lange her ist. (Alle News und Hintergründe zur deutschen Nationalmannschaft)

Der Moment, als Thomas Müller Mitte der zweiten Hälfte allein auf das englische Tor zulief und vorbeischoss, war gleichbedeutend mit dem Ende der Bundestrainerkarriere von Joachim Löw, der nach dem 0:2 im EM-Achtelfinale am 29. Juni 2021 zurücktrat.

Oft aber war es ein Vergnügen, im Wembley zu spielen. Ein Rückblick auf die Klassiker.

Das WM-Finale 1966

Die ganze Welt blickte gespannt am 30. Juli nach Wembley, wo Deutschland vor 96.924 Zuschauern, darunter die Queen, sein zweites WM-Finale bestritt. Für die Engländer war es gar eine Premiere.

Schon vor dem legendärsten Nicht-Tor des Fußballs war es ein Drama. Deutschland ging durch Italien-Legionär Helmut Haller früh in Führung (12. Minute). Doch glich Geoff Hurst alsbald aus (17.).

19 Chancen wurden bereits in der zweiten Hälfte notiert, ehe wieder ein Tor fiel. Nach einer „Kerze“ des Bremer Verteidigers Horst-Dieter Höttges kam Peters freistehend zum 2:1 (78.).

Verzweifelt rannten die Deutschen an: Karl-Heinz Schnellinger scheiterte an Gordon Banks, Uwe Seeler köpfte um Zentimeter über das Tor. Als zwei Minuten vor Schluss auch Wolfgang Overath verzog, begannen auf den Rängen schon die Feierlichkeiten.

Der deutsche Radio-Reporter Herbert Zimmermann resignierte. „Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, dass es unsere Stürmer noch mal packen werden“, sagte er in der 90. Minute.

Da gab es Freistoß, den der Dortmunder Lothar Emmerich ausführte. Über zwei Abpraller landete der Ball beim Kölner Verteidiger Wolfgang Weber. Der drückte mit langem Bein ein zum 2:2 in letzter Sekunde.

Schiedsrichter Gottfried Dienst aus der Schweiz pfiff gar nicht mehr an - Verlängerung.

Was dann kam, weiß jeder Fußballfan: Der Lattenschuss von Hurst in der 101. Minute und der legendäre Abpraller, der auf, vor oder doch hinter der Linie landete!? Damals wusste es keiner genau.

Schiedsrichter Dienst gab Ecke, weil Weber den Ball ins Toraus geköpft hatte. Da meldete sich der kasachische Linienrichter Tefik Bachramow plädierte auf Tor.

Es war der wohl größte Irrtum der Fußballgeschichte, jedenfalls gemessen an seiner Bedeutung. (DATEN: Spielplan und Ergebnisse der Nations League)

Computer-Simulationen von britischen Forschern der Universität Oxford legten 1995 nahe, dass der Ball die Linie nicht überschritten hat - was die Deutschen ja sowieso immer schon wussten.

Bachramow gab kurz nach dem Spiel zu, er habe es selbst nicht gesehen, sondern aus dem Verhalten der Spieler - die einen jubelten, die anderen waren zumindest konsterniert - geschlossen, dass es ein Tor gewesen sein müsse.

So werden Weltmeisterschaften entschieden ...

In der Schlussminute fiel das 4:2 durch Hurst, nicht minder irregulär, da bereits feiernde Fans über den Platz rannten, von Bobbys gehetzt. „Das hatte das Spiel nicht verdient“, titelte der Kicker.

Aber die Kritiker waren sich einig, dass England die etwas bessere Mannschaft gewesen war.

Bundestrainer Helmut Schön: „Alles in allem war es ein glücklicher Tag für den Fußball. Ich glaube, die 90.000 Zuschauer im Wembley-Stadion und die vielen Millionen an den Fernsehschirmen haben ein großes Spiel gesehen.“

EM-Viertelfinale 1972

Am 12. Januar 1972 führte das Los die Rivalen im Viertelfinale der EM zusammen. „Schlimmer ging‘s nicht, England!“, titelte der Kicker.

Im Mutterland des Fußballs hatte die Nationalmannschaft nie gewonnen. Der Pessimismus wuchs bis zum Anpfiff am 29. April quasi täglich, Personal- und Formprobleme drückten die Stimmung.

„Wenn wir keine fünf Tore kriegen, haben wir ein gutes Ergebnis erreicht.“, sagte Günter Netzer zu Franz Beckenbauer. Der Kaiser-Konter: „Ja mei!“

Er war angesichts dreier deftiger Packungen seiner Bayern auch nicht gerade zuversichtlich – offensichtliche Parallelen zu heute.

Auf der langen Ausfallliste standen ganz oben Berti Vogts und Wolfgang Overath, in der Not setzte Schön auf drei junge Bayern: Paul Breitner (20), Uli Hoeneß (20) und Katsche Schwarzenbeck (22). Auf englischer Seite standen fünf Weltmeister.

Die Deutschen trugen Grün an diesem Samstag, was fortan als gutes Omen gilt. Denn in dieser Farbe machten sie eines der besten Länderspiele überhaupt.

Mit ihrer Spielkunst verblüffte die DFB-Auswahl die Fachwelt, über Nacht wurde sie EM-Favorit. Die Verteidigung wurde glänzend dirigiert von Beckenbauer, das Mittelfeld gehörte nur den Deutschen.

Der großartigste Netzer aller Zeiten regierte das flotte Spiel, in dem es keine einzige Abseitsstellung gab.

Das Wechselspiel der Feldherren Beckenbauer und Netzer, von der Bild-Zeitung als „Ramba-Zamba-Fußball“ gefeiert, funktionierte traumhaft. Libero und Spielmacher übergaben einander den Taktstock und gaben den jungen Spielern Halt.

Netzer sagte oft: „In Wembley waren wir der Perfektion sehr nahe!“

Heute würde man das 3:1, das erst durch zwei späte Tore von Netzer (Elfmeter, 84.) und Müller (88.) zustande kam, etwas nüchterner sehen.

Die Engländer hatten mehr Torschüsse (25:13) und Ecken (14:4), aber die Deutschen spielten einfach besser und effizienter. Am verdienten Sieg, zu dem Uli Hoeneß das erste Tor beisteuerte, zweifelte niemand.

Groß machte ihn die Tatsache, dass es der erste auf englischem Boden war - und dann noch an dem Ort, wo 1966 das mythische dritte Tor gefallen war.

England aber jammerte. „Oh what a black day for England“, titelte der Sunday Express.

EM-Halbfinale 1996

Vor dem Klassiker wurden im Boulevard noch nicht überwundene Ressentiments ausgelebt.

Für den Daily Mirror war der Krieg noch nicht vorbei. Das Blatt montierte den Gesichtern von Paul Gascoigne und Stuart Pearce Stahlhelme auf und ließ sie „Surrender!“ (Ergebt euch) rufen.

Im Text wurde die Bundesregierung aufgerufen, die Mannschaft bis elf Uhr vom Turnier abzuziehen, sonst begänne der Fußballkrieg.

Britischer Humor, der selbst den Engländern zu weit ging. Nationaltrainer Terry Venables war angewidert und die Redaktion stellte sich am nächsten Tag in einer Fotomontage ebenso schuld - wie PR-bewusst selbst an den Pranger.

Der Sport entschädigte für so manches. 75.860 Menschen sahen am 26. Juni das beste Spiel der EM 1996.

England ging in der 3. Minute nach einer Ecke durch einen Kopfball von Alan Shearer in Führung. Nach Vorarbeit von Verteidiger Thomas Helmer glich Stefan Kuntz mit seinem schwachen rechten Fuß aus.

Als er in der Verlängerung ein eigentlich reguläres Tor köpfte, gab es Schiedsrichter Sandor Puhl nicht. Es wäre das das erste Golden Goal der EM gewesen wäre.

Ganz England atmete auf und Deutschland ging es nicht anders, als Gascoigne an einer Flanke vorbeirutschte, die Andy Köpke schon hatte passieren lassen. So ging auch dieses Halbfinale ins Elfmeterschießen.

Erinnerungen an Italien 1990 und den deutschen WM-Sieg von Turin wurden wach. Es war der Beginn des englischen Traumas in dieser Disziplin.

Aber auch die Deutschen hatten noch so ihre Schwierigkeiten, Bundestrainer Berti Vogts fand keine Schützen. Dieter Eilts bettelte kurz vor Abpfiff um seine Auswechslung, denn „ich schieße garantiert nicht“.

Vogts erhörte ihn nicht, suchte aber zunächst andere Schützen. Er kam nur auf vier. Da fragte er Thomas Helmer, ob Thomas Strunz sicher sei.

„Kein Risiko“, versicherte Helmer, doch Matthias Sammer intervenierte: „Der ist doch erst zwei Minuten im Spiel und hatte noch gar keinen Ballkontakt.“ (DATEN: Tabellen der Nations League)

Strunz holte sich deshalb den Ball und jonglierte sich in Stimmung. Marco Bode wurde von Markus Babbel informiert, er sei die Nummer sieben.

Da fiel Bode ein, dass er 1992 mit Werder im Pokalhalbfinale als Nummer sieben versagt hatte: „Meine Beine wurden immer weicher, ich immer aufgeregter, aber ich kam davon.“

Weil Andreas Möller nach dem einzigen englischen Fehlschuss vom aktuellen englischen Nationaltrainer Gerry Southgate - Köpke parierte - zur Freude aller, die noch auf der Liste standen, verwandelte.

Sammer sagte auf die Frage, ob er oder Eilts als Neunter geschossen hätte: „Da hätte es wohl eine Schlägerei gegeben.“

WM-Qualifikation 2000

Die Kokain-Affäre um den designierten Bundestrainer Christoph Daum schwebte über diesem Spiel vom 7. Oktober 2000.

Bundestrainer Rudi Völler ging davon aus, dass er schon im Rückspiel nicht mehr im Amt sein würde. Bekanntlich kam es anders.

Der Tag von Wembley war erst Völlers drittes Länderspiel und nach 90 Minuten (1:0) hatte er immer noch eine blütenreine Weste - drei Siege.

Es war pikanterweise das allerletzte Länderspiel im 1923 eingeweihten Wembley-Stadion, das abgerissen und umgebaut wurde.

Da wünschten sich die Gastgeber zum Abschied vor 76.377 Zuschauern ein würdiges Ende, doch Deutschland nahm darauf keine Rücksicht.

Ein Freistoßaufsetzer von Dietmar Hamann (14. Minute) aus 32 Metern, der nicht unhaltbar zu sein schien für David Seaman, war das letzte Tor, das das alte Wembley-Stadion sah.

„Hamann schwang die Abriss-Birne für Wembley“, schrieb eine englische Sonntagszeitung.

PS: Ausgerechnet die Deutschen lud England ein, als das neue Wembley-Stadion fertig war. Zur Eröffnung setzte es sogleich wieder eine Niederlage. Schalker Wertarbeit stand Pate am 22. August 2007.

Kevin Kuranyi und Christian Pander schossen die Tore zum 2:1-Sieg, den schon Joachim Löw verantwortete. Nun ist es an Hansi Flick, die stolze Bilanz noch weiter aufzubessern.

Übersicht der Wembley-Gastspiele:

1.12. 1954 Testspiel 0:2

23. 2. 1966 Testspiel 0:1

30.7. 1966 WM-Finale 2:4 n.V.

29. 4. 1972 EM-Viertelfinale 3:1

12.3. 1975 Testspiel 0:2

13.10.1982 Testspiel 2:1

11.9.1991 Testspiel 1:0

26.6.1996 EM-Halbfinale 6:5 n. E. (1:1 n. V.)

7.10.2000 WM-Qualifikation, 1:0

22.8.2007 Testspiel 2:1

19.11.2013 Testspiel 1:0

10.11.2017 Testspiel 0:0

29. 6. 2021 EM-Achtelfinale 0:2

Gesamtbilanz: 6-2-5