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WM-Quali: Die kanadische Fußball-Revolution mit Alphonso Davies, Jonathan David und John Herdman

Kanadas kometenhafter Aufstieg

Die kanadische Fußball-Nationalmannschaft eilt von Erfolg zu Erfolg. Doch woher kommt dieser urplötzliche Aufschwung der Truppe um Alphonso Davies? SPORT1 gibt Aufschluss.
Alphonso Davies schaut auf seinem Twitch-Kanal das WM-Quali-Spiel Kanada gegen die USA. Nach dem 2:0 von Sam Adekugbe lässt der Bayern-Star seinen Emotionen freien Lauf.
Die kanadische Fußball-Nationalmannschaft eilt von Erfolg zu Erfolg. Doch woher kommt dieser urplötzliche Aufschwung der Truppe um Alphonso Davies? SPORT1 gibt Aufschluss.

Wenn man an Kanada denkt, dann fallen einem zuerst Bären, das Ahornblatt sowie das weite Land und die Einsamkeit ein. Und Eishockey natürlich. Aber wer denkt dabei schon an Fußball?

2022 allerdings steht die kanadische Fußball-Nationalmannschaft vor einem historischen Moment.

Nach 1986 in Mexiko stehen Les Rouges (die Roten) kurz vor der zweiten WM-Teilnahme. Und das auf beeindruckend dominante Weise. (DATEN: Spielplan und Ergebnisse der WM-Qualifikation)

Denn in der WM-Qualifikation der CONCACAF (Mittel- und Nordamerika) grüßen nicht etwa die favorisierten Mexikaner oder US-Amerikaner von Platz eins, sondern Kanada!

Nach elf Spielen sind die Roten ungeschlagen (sieben Siege, vier Remis) und brauchen nur noch einen weiteren Erfolg, um das Ticket für die Winter-WM in Katar zu buchen.

Doch woher kommt dieser urplötzliche Aufschwung? Wie kommt es, dass sich Kanada aufschwingt, eine Fußball-Macht zu werden? SPORT1 gibt Aufschluss.

Jonathan David / 22 Jahre / ST / OSC Lille / 50 Millionen Euro Marktwert

Als im Sommer 2020 der OSC Lille satte 27 Millionen Euro für Jonathan David an KAA Gent überwies, fragten sich einige Fußball-Experten: Wer ist das denn?

Dabei schoss der Mittelstürmer in 83 Spielen 37 Tore für die Belgier und legte 15 weitere auf. Kein schlechtes Bewerbungsschreiben also.

Und dass sich die hohe Ablöse für die Doggen lohnte, zeigt die Meisterschaft 2020/21 von Lille - vor dem Star-Ensemble von Paris Saint-Germain. (DATEN: Tabellen der WM-Qualifikation)

Kein Wunder, dass Davids Marktwert nun bei 50 Millionen Euro liegt, denn in Frankreich machte der 22-Jährige weiter wie zuvor in Belgien. 34 Scorer-Punkte in 78 Einsätzen haben den Kanadier in die Notizbücher einiger Top-Klubs gebracht.

In der kanadischen Nationalmannschaft ist seine Quote noch beeindruckender - 20 Tore und elf Vorlagen in 27 Partien. Im kommenden Sommer wird David wohl den nächsten Karriereschritt wagen.

Alphonso Davies / 21 Jahre / LV, LM / FC Bayern / 70 Millionen Euro Marktwert

Drei Meisterschaften, zwei Pokalsiege, zwei DFL-Supercups, der Champions-League-Titel, der UEFA-Supercup sowie der Sieg bei der FIFA-Klub-WM 2020 - die Titelsammlung von Alphonso Davies liest sich, wie in einer Autobiografie eines zurückgetretenen Fußball-Stars.

Dabei ist Bayern Münchens linker Schienenspieler gerade einmal 21 Jahre alt. Nichtsdestotrotz ist „Phonzie“ absoluter Leistungsträger und DER Superstar der Roten.

Der 21-Jährige ist das Aushängeschild des kanadischen Fußballs - und prangt auf zahlreichen Werbetafeln in Kanada, das die WM 2026 gemeinsam mit den USA und Mexiko ausrichten wird. Die Bayern freut‘s.

Tajon Buchanan / 22 Jahre / RA / FC Brügge / 8,5 Millionen Euro Marktwert

Der neue Shooting Star! Buchanan sorgte beim Gold Cup 2021 für Aufsehen, als er Kanada ins Halbfinale führte, und in Abwesenheit der beiden Superstars Davies und David zum Alleinunterhalter wurde.

Durch seine starken Leistungen wurde der offensive Mittelfeldspieler in die Top 11 des Turniers gewählt und zum besten jungen Spieler des Gold Cups ausgezeichnet.

Sein großes Talent blieb auch Europa nicht verborgen, sodass ein Wettbieten um den 22-Jährigen entstand.

Letztlich setzte sich im Januar 2022 der FC Brügge unter anderem gegen RB Salzburg, Sporting Lissabon, den SC Freiburg und FC Augsburg durch.

Buchanan bildet mit David, Cyle Larin (26/Besiktas Istanbul), Liam Millar (22/FC Basel), Ike Ugbo (23/KRC Genk) und Junior Hoilett (31/FC Reading) eine brandgefährliche Offensiv-Abteilung und zeigt, dass Kanada mittlerweile auch in der Breite gut aufgestellt ist.

Ausgewogener Kader und Erfahrung durch Hutchinson & Co.

Kanadas Kader ist sehr ausgewogen. Neben den vielen Talenten baut Nationaltrainer John Herdman vor allem auf seine erfahrensten Spieler.

Torwart Milan Borjan (34), die Mittelfeld-Zentrale um Jonathan Osorio (29) und Kapitän Atiba Hutchinson (38) sowie Stürmer Hoilett (31) bilden eine wichtige Achse, an der sich die jungen Spielern orientieren und in Ruhe entwickeln können.

Kanada läuft entweder im 3-4-3 oder 5-2-3-System auf - mit einer defensiven Grundausrichtung und schnellem Umschaltspiel. Das Torverhältnis von 19:5 in den elf WM-Quali-Spielen kommt nicht von ungefähr.

John Herdman, der „kanadische Klinsmann“

Das große Mastermind des kanadischen Erfolgs trägt einen Namen: John Herdman.

Der 1,65 Meter kleine Engländer aus dem County Durham musste sich aber erst einen Namen im Frauen-Fußball (Neuseeland, Kanada) machen, bis er im Herren-Bereich endlich seine Chance erhielt.

Und was für eine! 2018 übernahm der 46-Jährige Les Rouges und bekam außerordentlich viel Macht. Denn Herdman war nun nicht nur Nationaltrainer, sondern auch Sportdirektor, der von der U14 bis zur ersten Mannschaft das Sagen hat.

Mit einem großen Ziel vor Augen: Die Heim-WM 2026 in Kanada, Mexiko und den USA. Dafür krempelte Herdman den kanadischen Fußball komplett um, ähnlich wie Jürgen Klinsmann damals als Nationaltrainer der USA.

Doch was zeichnet Herdman aus? Der Brite ist ein bescheidener Coach und starker Motivator mit klarer Sprache und Ansagen. Er sieht das große Ganze und hat einen Plan dafür.

So überzeugte der „kanadische Klinsmann“ Stephen Eustaquio, der in Portugal bei União Leiria das Fußball spielen lernte, und Ike Ugbo, der beim FC Chelsea ausgebildet wurde, für Kanada aufzulaufen.

Linksverteidiger Cristián Gutiérrez (24) entschied sich auch gegen Chile, genauso wie Rechtsverteidiger Zachary Brault-Guillard (24) gegen Frankreich oder Liam Millar (22) gegen England.

Die Talente-Rekrutierung allein reichte Herdman aber nicht aus, er wollte selbst welche ausbilden.

Größerer Talente-Pool durch CPL und MLS

Deshalb wurde die kanadische Premier League (CPL) mit acht Vereinen gegründet, die 2019 ihre Premieren-Saison feierte.

In der amerikanischen Major League Soccer (MLS) spielen zwar schon drei kanadische Klubs aus Toronto, Vancouver und Montreal, doch in der CPL geht es insbesondere um die Förderung der heimischen Talente.

„Von Kanadiern für Kanadier“ lautet der Slogan der neuen Fußball-Liga, die alsbald auch durch eine zweite Liga mit Auf- und Abstiegsregelungen unterbaut werden soll.

Während es in der MLS keine Auf- und Absteiger sowie keine Ausländerbegrenzung gibt, dürfen in der CPL pro Team maximal sieben Ausländer im Kader stehen - und in der Startelf müssen sogar mindestens sechs Kanadier stehen.

Darüber hinaus müssen mindestens drei kanadische Spieler im Kader unter 21 Jahren alt sein, die gemeinsam auf mindestens 1.000 Einsatzminuten kommen müssen. Talente-Förderung wird in Kanada eben groß geschrieben.

Mit Erfolg. Die CPL geht 2022 in ihre vierte Saison und Herdman führt die kanadische Nationalmannschaft von Sieg zu Sieg. So gewannen Les Rouges Ende Januar in der WM-Qualifikation seit 42 Jahren zum ersten Mal gegen die USA - klar und deutlich - mit 2:0.

Dieser historische Erfolg befeuerte den Fußball-Hype in Kanada nochmals. Und Herdmans Heldenstatus erst recht.

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