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Handball-WM 2025: Legende fürchtet Katastrophe - "Tod unserer Sportart"

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Handball-Legende schlägt Alarm

Der Zuschauerzuspruch bei der Handball-WM ist überschaubar. Im exklusiven SPORT1-Interview spricht die deutsche Handball-Legende Stefan Kretzschmar über das ausbleibende Interesse - und schlägt Alarm.
Setzt Dänemark seine beeindruckende Titelserie auch bei der Handball-WM 2025 fort? Alle Infos zu Termin und Modus des Turniers in Kroatien, Dänemark und Norwegen sowie zu Titelträgern und deutschen WM-Erfolgen.
Philipp Schmidt
Der Zuschauerzuspruch bei der Handball-WM ist überschaubar. Im exklusiven SPORT1-Interview spricht die deutsche Handball-Legende Stefan Kretzschmar über das ausbleibende Interesse - und schlägt Alarm.

Leere Hallen statt WM-Euphorie, fehlender Boom außerhalb von Europa und immer wieder die gleichen Gastgeber bei Großveranstaltungen – der Handballsport befindet sich in den Augen vieler in einer prekären Lage. Stefan Kretzschmar schlägt im SPORT1-Interview Alarm – und mahnt dringend Verbesserungen an, um den „Tod unserer Sportart“ zu verhindern.

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Eigentlich sollte es ein großes Handball-Fest sein, doch bei der in Dänemark, Norwegen und Kroatien stattfindenden Weltmeisterschaft hält sich der Zuschauerzuspruch abseits der Spiele der Gastgeber arg in Grenzen. Dänemark mag derzeit das beste Handball-Team der Welt haben, doch wenn Teams wie die Schweiz, Tschechien oder Tunesien in der Arena in Herning aufeinandertreffen, verirren sich nur wenige Zuschauer in die Halle.

Es ist keine neue Beobachtung bei Handball-Großveranstaltungen, dass diese nur in Deutschland durchgehend für volle Spielstätten sorgen. Bei der EM im vergangenen Januar lag die Auslastung bei beeindruckenden 94 Prozent. Die Konsequenz: Weitere Events lassen nicht lange auf sich warten. WM 2027, WM – gemeinsam mit Frankreich – 2029, EM 2032 (ebenfalls zusammen mit Frankreich), Ende des Jahres die Frauen-WM und zahlreiche Juniorenveranstaltungen.

Der deutsche Handballbund zeigt sich stolz, solch hochkarätige Turniere regelmäßig an Land ziehen zu können. Doch es mehren sich die kritischen Stimmen, die eine gefährliche Entwicklung des Handballs zu einer Nischensportart sehen. Wo ist die globale Entwicklung? Wo sind Innovationen, um mit der Zeit zu gehen und ein jüngeres Publikum anzusprechen? Immerhin wurde für den US-Markt jüngst ein neues Projekt um Handball-Superstar Mikkel Hansen vorgestellt.

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Einer der prominenten Kritiker der aktuellen Tendenzen ist Ex-Nationalspieler Stefan Kretzschmar (218 Länderspiele, 821 Tore). Der Sportvorstand von Bundesligist Füchse Berlin sieht die Sportart in ihrer Existenz bedroht, sollten nicht schnellstmöglich entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Der 51-Jährige fordert - ähnlich wie Füchse-Kollege Bob Hanning - auf globaler Ebene ein Umdenken und nimmt auch den Deutschen Handballbund in die Pflicht.

SPORT1: Herr Kretzschmar, der Zuschauerzuspruch bei der aktuell stattfindenden Weltmeisterschaft ist äußerst überschaubar, wenn nicht gerade die Gastgeber im Einsatz sind. Wie erinnern Sie sich diesbezüglich an ihre eigene Zeit in der Nationalmannschaft zurück?

Stefan Kretzschmar: Man braucht meine aktive Zeit vor 30 Jahren nicht zu glorifizieren. Bei Europameisterschaften in Portugal oder Italien war es auch nicht so, dass die Hallen ausverkauft waren, wenn der Gastgeber nicht gespielt hat. Das kenne ich auch aus Ägypten oder Kroatien so, dass wenn die Tickets zu teils sehr hohen Preisen in den regulären Verkauf gehen, dass da das Interesse nicht sonderlich hoch ist. Das war noch nie so, aber wir wähnten uns eigentlich schon auf einem besseren Weg. Insbesondere Norwegen und Kroatien enttäuschen da gerade, wenn der Gastgeber nicht spielt. Das ist wieder einmal alarmierend. Es gibt jedes Jahr die gleichen Rufe, wenn Welt- oder Europameisterschaften nicht gerade in Deutschland stattfinden oder mit Deutschlands als Co-Gastgeber.

SPORT1: Was sagen Sie zu den Turniervergaben in den kommenden Jahren?

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Kretzschmar: Die Entwicklung ist katastrophal. Dass du 2027 eine WM in Deutschland hast, 2032 dann schon wieder... Die Frauen-WM 2025 würde ich ausklammern. Aber die generelle Entwicklung fördert natürlich die totale Monokultur des deutschen Marktes. Die Deutschen können sich darüber freuen, ich finde es katastrophal und auch nicht gut, dass man sich darüber freut, weil es die Internationalität unserer Sportart immer mehr gefährdet. Wir sind nicht in einem Zeitalter des Geldverdienens, sondern des Geldinvestierens. Das muss langsam mal klar sein. Wir haben mit einzelnen Events, sowohl die IHF (Handball-Weltverband, Anm. d. Red.) als auch die EHF (Europäische Handballföderation; Anm. d. Red.), viel Geld verdient. Soweit ich weiß, hat die IHF ein Vermögen von 120 Millionen Euro, der EHF geht es durch den Deal mit Infront (Sportmarketing-Unternehmen; Anm. d. Red.) auch nicht so schlecht. Gerade diese WM ist alarmierend.

SPORT1: Welche Veränderungen wünschen Sie sich?

Kretzschmar: Mein Vorschlag, den ich schon häufiger geäußert habe: Eine WM alle zwei Jahre zum Geld verdienen in einem Markt, in dem man weiß, dass die Nachfrage sehr groß ist. Das ist in Deutschland der Fall, das ist in Dänemark der Fall, das ist in Frankreich der Fall, in einigen anderen Ländern auch. Und alle zwei Jahre eine WM in ein Land zu vergeben, um dort zu investieren. Also auf den afrikanischen Kontinent zu gehen, den amerikanischen Kontinent, den asiatischen Kontinent. Dort, wo wir aktuell überhaupt nicht stattfinden und mit dem Gedanken ranzugehen, Sponsoreninteressen dort zu vertreten und über Sponsoren diese Turniere zu finanzieren. Der Sport muss dort sichtbar werden. Und vor Ort muss dann mit Freikarten gearbeitet werden, um die Hallen voll zu machen, und unseren Sport populär zu machen. Das ist für mich der einzige innovative Weg, um global überhaupt in Erscheinung zu treten.

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„Dann sind wir bald nur noch eine deutsche Sportart“

SPORT1: Ist dieser Weg für Sie alternativlos?

Kretzschmar: Ja, die Monokultur wird ansonsten immer weiter voranschreiten – und ich gehe sogar noch weiter: Dann sind wir bald nur noch eine deutsche Sportart. Klar: Wir können uns für die Handball-Bundesliga rühmen, die NBA des Handballes und die stärkste Liga der Welt. Wir können uns immer wieder dafür abfeiern. Aber wenn über den deutschen Tellerrand hinaus alles andere irrelevant wird, dann wird die Sportart allgemein irrelevant und verschwindet irgendwann nicht nur von der olympischen Bildfläche, sondern auch von der Bildfläche generell. Wenn auch bei diesem Turnier die Alarmglocken bei den Verantwortlichen nicht angehen, dann weiß ich auch nicht.

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SPORT1: Der deutsche Handballbund verkündet stolz den Zuschlag für ein Turnier nach dem anderen und sieht darin Treiber für eine positive Entwicklung der Sportart in Deutschland. Können Sie sich dieser Sichtweise anschließen?

Kretzschmar: Ich kann verstehen, dass die Verantwortlichen den deutschen Handball auf ein neues wirtschaftliches Level heben wollen, um den Sport auch zukünftig zu gewährleisten. Nur ist das eben nicht über den Tellerrand hinausgedacht. Meine Generation ist zu alt, wir werden das nicht mehr erleben, dass die Sportart untergeht. Aber wenn wir keine grundlegenden internationalen Visionen entwickeln – und da sind wir als Vorreiter in der Verantwortung als deutscher Handball -, dann haben wir ein Riesenproblem. Nationen wie Katar, Bahrain, Saudi-Arabien, Südkorea oder Japan spielen überhaupt keine Rolle mehr. Die hatten früher noch eine gewisse Qualität. Brasilien ist die Überraschung des Turniers, aber generell ist alles rückläufig.

„Das zerstört am Ende die Sportart“

SPORT1: Wie muss diese deutsche Verantwortung aus Ihrer Sicht mit Leben gefüllt werden?

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Kretzschmar: Wir müssen unsere eigene Liga und unseren eigenen Sport innovativ verbessern, um dann global eine höhere Attraktivität zu erzeugen. Außerdem müssen wir andere Handballverbände unterstützen. Immer nur auf die eigenen Einnahmen zu schauen, ist viel zu kurzsichtig und zerstört am Ende die Sportart. Wenn nicht an die Sportart gedacht wird und keine Investitionen getätigt werden, dann bekommen wir ein Problem. Und dann können wir uns nächstes Jahr wieder dafür feiern lassen, wenn ein Turnier in Deutschland stattfindet. Ich weiß, dass die anderen Nationen auch gerne Turniere in Deutschland spielen, weil bei den Spielen in Deutschland teilweise mehr Zuschauer kommen als in ihrem eigenen Land. Aber es hilft uns ja nicht. Es hilft uns in der Wahrnehmung nicht. Es hilft uns bei zukünftigen Sponsorengesprächen nicht. Wenn wir als Sportart nicht global sind, sind wir für die großen Firmen uninteressant. Dann wirst du im arabischen Raum, im asiatischen Raum, im amerikanischen Raum nicht auf Nächstenliebe stoßen. Dies wäre aber zwingend notwendig.

SPORT1: In welchen Bereichen sind die Investitionen denn am dringendsten erforderlich?

Kretzschmar: Wir reden seit zehn Jahren darüber, dass wir ein hochwertiges Konsolenspiel brauchen, um Identifikation mit den Spielern und den Klubs zu erzeugen. Die Mentalität war immer zu warten, bis jemand kommt. Aber Nintendo oder Sony werden nicht auf uns zukommen, wenn wir keine globale Relevanz haben. Es muss also selbstständig Geld in ein qualitativ hochwertiges Produkt investiert werden. Ein hochwertiges Konsolenspiel, ein hochwertiges Managerspiel, ein hochwertiges Tippspiel - das sind drei Bausteine, über die man Identifikation bei jungen Leuten schaffen kann. Über diese Tools lernen sie die Spieler kennen und haben damit eine ganz andere Bindung zu unserem Sport - oder überhaupt einen ersten Zugang.

SPORT1: In anderen Sportarten läuft das besser?

Kretzschmar: Warum boomen denn gewisse Sportarten wie Golf, Formel 1 oder Tennis, die eigentlich schon tot waren? Durch hochwertige Dokumentationen auf Netflix, in denen vieles aus dem Privatleben der Sportler gezeigt wird. Da reicht es nicht, wenn du mal in einer Sporthalle Julian Köster interviewst. Das, was auf dem Spielfeld passiert, ist das eine. Aber Identifikation schaffst du über persönliche Bindungen. Wir haben ja gute Typen und Aushängeschilder in unserer Sportart, nicht nur in Deutschland.

Die Handball-WM 2025 im LIVETICKER auf SPORT1

„Unsere Trikots sehen aus wie Litfaßsäulen“

SPORT1: Wo sehen Sie noch Nachholbedarf?

Kretzschmar: Wir sehen einfach scheiße aus. Wir müssen uns grafisch revolutionieren. Unsere Spielfelder sehen aus wie Litfaßsäulen, unsere Trikots sehen aus wie Litfaßsäulen, da sind 15 Sponsoren drauf. Wer kauft sich das denn für die Freizeit? Keiner! Weil es natürlich in der Freizeit am Ballermann oder sonst wo einfach scheiße aussieht, wenn da acht Sponsoren auf deinem Trikot sind. Für das Spielfeld gilt genau das Gleiche. Das ist keine professionelle Darstellung unserer Sportart. Ich weiß schon, dass das die Filetstücke in der Werbeindustrie sind, aber auch da kann man mit der Digitalisierung mittlerweile völlig neue Wege gehen.

SPORT1: Was kann man sich womöglich aus anderen Sportarten abschauen?

Kretzschmar: Vielleicht muss man über eine internationale Summer League nachdenken. Nicht für die Profis, die brauchen eine Sommerpause. Man könnte es wie die Icon League oder Ballers League im Fußball machen - kleineres Feld, 5 gegen 5. Und dann alles über Streamer und Influencer spielen. Das ist die Zielgruppe, die heutzutage Sport anders konsumiert. In den USA pausieren im Sommer die großen Sportarten. Dort eine Summer League in einem jugendlichen Format zu etablieren oder zumindest einen Testballon zu starten, halte ich für unheimlich innovativ und wichtig. Mein Appell lautet: „Unterhaltet euch doch mal mit Toni Kroos, wie der es mit der Icon League gemacht hat und überlegt, ob man eine Icon League im Handball mit Kooperationspartnern auf die Beine stellen kann.“ Und zwei letzte Punkte hätte ich noch …

SPORT1: Und zwar?

Kretzschmar: Es braucht dringend Investitionen in die Trainerausbildung. Du musst an die Schulen oder an die Universitäten, damit der Sport dort wieder eine andere Relevanz bekommt - so wie es in den 80er- und 90er-Jahren noch der Fall war. Da war Handball als Schulsportart gesetzt. Und zum Schluss: Der demografische Wandel der Entscheidungsträger hält nicht mit den Visionen Schritt, die eigentlich entwickelt werden müssten. Es ist Natur der Sache, dass ich mir als Siebzigjähriger nicht mehr Gedanken über die nächsten 30 Jahre mache. Aber wir sind an einem Punkt, an dem wir uns wirklich fragen müssen: „Wo soll der Handball in 20 Jahren stehen?“ Das sollten auch jüngere Leute entscheiden. Vielleicht bin sogar ich schon zu alt, um wirklich visionär zu sein. In den entscheidenden Gremien muss die junge Generation mit ins Boot geholt werden. Man darf das nicht belächelnd ignorieren nach dem Motto: „Weitermachen, das haben wir schon immer so gemacht.“ Das wird nicht funktionieren und der Tod unserer Sportart sein.