Im Moment des Triumphs wurde Sébastien Pocognoli zu einem stillen Genießer.
"Ende einer Ewigkeit": Historischer Titel nach 90 Jahren
„Ende einer Ewigkeit“
Als der Schlusspfiff im denkmalgeschützten Stade Joseph Marien den ersten Meistertitel für Royale Union Saint-Gilloise nach einer 90-jährigen Durststrecke besiegelte, schloss der Trainer des belgischen Traditionsklubs die Augen – während um ihn herum der Jubel losbrach.
Der 1897 gegründete Klub, der südlich des Stadtzentrums von Brüssel beheimatet ist, feierte nach zwischenzeitlichem Absturz in die vierte Liga eine große Erlösung.
„Die Fragen haben mich sehr genervt“
Dreimal hatte Union Saint-Gilloise seit der Rückkehr ins Oberhaus 2021 am zwölften Meistertitel geschnuppert, in der Aufstiegssaison mit einem damals noch weitgehend unbekannten Deniz Undav als Torjäger.
„Mehrere Dinge“ haben laut Pocognoli den Unterschied zu den vergeblichen Anläufen ausgemacht. „Das Wichtigste war, sofort mit den Vergleich mit den Vorjahren aufzuhören. Die Fragen zu diesem Thema, die immer wieder auftauchten, haben mich sehr genervt. Das muss ich zugeben“, sagte er bei DAZN.
Der frühere Abwehrspieler, der von Anfang 2013 bis Sommer 2014 einst 30 Bundesligaspiele für Hannover 96 bestritten hatte, führte Union zum ersten Meistertitel seit 1935. Es ist der größte Abstand zwischen zwei Meisterschaften in den Top-10-Ligen Europas.
Union Saint-Gilloise feiert das „Ende einer Ewigkeit“
„Das Fußballmärchen wird endlich wahr, auch wenn es ein paar Jahre zu spät kommt“, schrieb Het Nieuwsblad. Und beim französischen Magazin So Foot war vom „Ende einer Ewigkeit“ die Rede.
„Diese Trophäe mit einem so geschichtsträchtigen Verein wie Union ist mehr als ein Titel: Es ist eine Lektion fürs Leben“, sagte Pocognoli. Dieser Titel wurde „nicht von einem Trainer oder gar einer Mannschaft erreicht, auch nicht von einem Management, das mich immer unterstützt hat, sondern von einem ganzen Verein“.
In seiner letzten Saison als Profi stieg er mit Saint-Gilles 2021 in die Jupiler Pro League auf. Eine Erfahrung, die ihm nun bei seiner ersten Station als Cheftrainer geholfen habe. „Ich kannte die Arbeitsweise meiner Chefs und das Vertrauen war direkt gegenseitig.“
Der 37-Jährige beerbte im vergangenen Sommer Alexander Blessin, der Saint-Gilles zum Pokalsieg geführt und sich damit für einen Wechsel zum FC St. Pauli empfohlen hatte.
Aus dem Tabellenkeller zum Titel
Der Start für den Trainer-Novizen verlief allerdings holprig. Nach nur zwei Siegen aus den ersten acht Spielen lag Saint-Gilles mit nur einem Punkt Vorsprung vor der Abstiegszone. Trotz erster kritischer Stimmen genoss Pocognoli weiterhin das Vertrauen. Das zahlte sich nun aus.
Mit einem 3:1-Sieg gegen KAA Gent machten Les Unioniste am Sonntag am letzten Spieltag der Meisterrunde den Titel perfekt.
Mit neun Siegen in zehn Spielen dominierte Pocognoli mit seinem Team die Playoffs, in denen nach der regulären Saison der Meister ermittelt wird. Einzig beim 0:0 gegen den entthronten Titelträger Club Brügge gab Union Punkte ab.
„Mit einer Vision, einer Struktur, Wissen und Geld kann man in Belgien mehr als nur einen Stein bewegen“, würdigte Het Laatste Nieuws die Leistung der Verantwortlichen.
Union Saint-Gilloise macht sich dank Pokerprofi einen Namen
Hinter dem Projekt steckt der britische Geschäftsmann und Pokerprofi Tony Bloom, der schon seinen Herzensklub Brighton & Hove Albion von der dritten englischen Liga in die obere Mittelklasse der Premier League geführt hatte.
2018 übernahm Bloom den damaligen Zweitligisten aus Brüssel und installierte seinen Kumpel Alex Muzio als Geschäftsführer. Seither gilt USG auch als gute Adresse für spannende, entwicklungsfähige Spieler, die woanders durchs Raster fallen.
Neben Undav trug auch der aktuelle Bayern-Flirt Kaoru Mitoma schon das blau-gelbe Trikot. Und Victor Boniface gelang in Brüssel der Durchbruch.
Was wird aus Erfolgscoach Pocognoli?
Ähnlich wie bei Blessin könnte auch für Meistertrainer Pocognoli Saint-Gilles zum Sprungbrett werden. In Frankreich soll er bei RC Lens nach dem Abgang von Will Still ein Thema sein.
Im Rahmen der Meisterfeierlichkeiten ließ der Coach seine Zukunft offen.
„Jetzt werden wir erst einmal Spaß haben“, sagte Pocognoli. „Ich bin sehr stolz, aber auch sehr müde. In zwei Tagen werden wir über die Pläne für die nächste Saison sprechen. Aber jetzt möchte ich erst einmal genießen.“