Premier League>

Premier League läuft Sturm: Dieses Thema lässt Fußball-England kochen

Premier League läuft Sturm

Englands Premier League ist gespalten. Es geht um Zeitschinden, Schiedsrichter, Überbelastung und Fair Play. Mehrere Top-Stars attackieren den Fußball-Verband.
Manchester City gewann nur knapp gegen Newcastle United mit 1:0. Trainer Pep Guardiola lobte Phil Foden nach der Partie, der den Assist für das Siegtor gegeben hatte.
Englands Premier League ist gespalten. Es geht um Zeitschinden, Schiedsrichter, Überbelastung und Fair Play. Mehrere Top-Stars attackieren den Fußball-Verband.

„Der Ball ist rund - und ein Spiel dauert 90 Minuten.“ Diese Fußballweisheit wird Sepp Herberger zugeschrieben, Deutschlands Weltmeister-Trainer vom „Wunder von Bern“ 1954. Ein lapidarer Satz, der sich trotz allem mehr als ein halbes Jahrhundert lang bewährt hat.

Aber dauert ein Profi-Fußballspiel heute tatsächlich noch 90 Minuten? In England kocht derzeit eine hitzige Debatte.

In der Premier-League-Saison 2022/23 betrug die Nettospielzeit, auch „Ball In-Play Time“ genannt, im Durchschnitt nur 55 Minuten pro Spiel. Heißt: In der Elite-Liga des Weltfußballs ruhte die Spielkugel im Schnitt 35 Minuten (!) pro Partie, fast eine ganze Halbzeit lang.

Hauptgrund ist die altbewährte Zeitverschwendung im Fußball. Durch weggeschlagene Bälle, verzögerte Ecken und Freistöße, Schwalben, vorgetäuschte Verletzungen oder Einwechslungen, bei denen die Spieler oft provokant langsam vom Platz schleichen, probieren Fußballprofis seit eh und je, sich Vorteile für die eigene Mannschaft zu verschaffen.

Andere Sportarten kennen dieses Problem übrigens nicht: Entweder gilt Zeitspiel dort als arg unsportlich und feige (Feldhockey), oder die Schiri-Uhr wird einfach bei Unterbrechungen angehalten (Basketball, Football, Handball).

FA hatte die Zeitschinden der Stars satt

Zurück zur englischen Premier League, zur neuen Saison 2023/24. In der Sommerpause hat sich auf der Insel viel getan.

In England, das sich gerne als Heimat des Fußballs und des Fair Plays sieht, waren viele Fußballfans, Schiedsrichter und Verbandschefs der Football Association (FA) die Zeitschinden und die vielen Unterbrechungen in der Premier League satt.

Künftig soll der Vierte Offizielle die Uhr anhalten, wenn über Tore gejubelt, ein- und ausgewechselt wird, Elfmeter ausgeführt werden (vom Moment des Foulspiels bis hin zum Strafstoß), es beim Einwurf oder Freistoß zu lange dauert, Rote Karten gezeigt werden - und wenn Spieler auf dem Feld behandelt werden.

Zwei Spieltage sind in der Premier League gespielt. Bislang wirken die Regel-Anpassungen, die die Nettospielzeit erhöhen sollen. Im Schnitt ist der Ball vier Minuten länger im Spiel aus in der vergangenen Saison. Eine Etage tiefer, in der Championship, betrug die „Play-In Time“ beim Eröffnungsspiel zwischen Sheffield Wednesday und PL-Absteiger Southampton sogar 69 Minuten, drei Minuten mehr als der Zweitliga-Rekord der vergangenen Saison.

Gelb für Zeitverschwendung? Es gäbe 280 mehr!

Doch während sich Englands Schiedsrichter darauf konzentrieren, die neuen Anweisungen strikt umzusetzen, wächst die Unzufriedenheit bei Spielern und Trainern.

In den ersten 19 Spielen der neuen Premier League-Saison wurden bereits 14 Gelbe Karten für Zeitschinden vergeben. Sky Sports UK lobt zwar, dass die Premier-League-Schiedsrichter „einen entschlossenen Ansatz verfolgen, um bewusste Aktionen zu ahnden, die den Neustart des Spiels verzögern“.

Allerdings kalkulierte das britische Medium auch, dass die bisherige Rate von 0,7 Gelben Karten pro Spiel bis zum Saisonende auf etwa 280 Verwarnungen für Zeitschinden hinauslaufen würde.

Es stellt sich also die Frage: Sorgen noch mehr Gelbe Karten nicht für noch mehr Spielverzögerungen? Für noch mehr Platzverweise (bei Gelb-Rot), noch mehr Gelbstrafen der Stars - und noch mehr Unzufriedenheit bei allen?

Arteta: „Vielleicht müssen wir mit Stoppuhr spielen“

Ein prominentes Beispiel war die Partie zwischen Arsenal und Crystal Palace, bei der Takehiro Tomiyasu von Arsenal nach einer Gelben Karte für Zeitschinden vom Platz gestellt wurde. Arsenal-Trainer Mikel Arteta sagte nach Abpfiff: „Für mich ist es kein Problem. Der Schiedsrichter trifft diese Entscheidung. Ich denke, es waren acht Sekunden. Wir müssen vielleicht mit einer Stoppuhr spielen, um zu verstehen, was Zeitverschwendung ist und was nicht ist“.

Martin Odegaard, Kapitän der Gunners, meinte: „Der erste Gelbe war hart. Ich glaube nicht, dass er (Tomiyasu, Anm. d. Red.) viel Zeit vergeuden wollte; er hatte einfach niemanden zum Anspielen. Es ist etwas knifflig, aber wir müssen uns anpassen.“

In einem anderen Premier-League-Spiel zwischen Fulham und Everton sah Fulhams Kenny Tete Gelb, weil er elf Sekunden vor einem Freistoß verharrte. Schiedsrichter Stuart Attwell unterbrach das Spiel, um den niederländischen Verteidiger zu verwarnen. Ähnlich erging es Arsenal-Verteidiger Ben White gegen Nottingham Forest, als der englische Nationalspieler 13 Sekunden brauchte, um einen Einwurf auszuführen, bevor Schiedsrichter Michael Oliver einschritt.

Guardiola: „Dann spielen wir noch morgen um 9 Uhr“

„Diese Gelben Karten werden einen größeren Einfluss auf die Zeitverschwendung der Spieler haben als die Zugabe von 15 Minuten am Ende der Spiele“, sagte Gary Neville, der ehemalige Manchester-United-Verteidiger, der nun als TV-Experte arbeitet.

Einige Premier-League-Spieler befürchten außerdem eine weitere Strapazierung der Profis in der ohnehin schon ausgelasteten Liga. Manchester United Raphael Varane schrieb auf X: „Wir Spieler und Trainer haben schon seit vielen Jahren unsere Bedenken geäußert, dass es zu viele Spiele gibt, dass der Spielplan überfüllt ist und dass das körperliche und mentale Wohlbefinden der Spieler gefährdet wird.“

Wenn du hier klickst, siehst du X-Inhalte und willigst ein, dass deine Daten zu den in der Datenschutzerklärung von X dargestellten Zwecken verarbeitet werden. SPORT1 hat keinen Einfluss auf diese Datenverarbeitung. Du hast auch die Möglichkeit alle Social Widgets zu aktivieren. Hinweise zum Widerruf findest du hier.
IMMER AKZEPTIEREN
EINMAL AKZEPTIEREN

Der Weltmeister von 2018 schrieb weiter: „Trotz unseres Feedbacks hat die Liga nun für die nächste Saison empfohlen: längere Spiele, mehr Intensität und weniger Emotionen, die von den Spielern gezeigt werden. Wir wollen einfach nur in guter Verfassung auf dem Platz stehen und 100 Prozent für unseren Verein und unsere Fans geben. Warum wird unsere Meinung nicht gehört?“

Die Premier League, ihre Schiedsrichter und der englische Verband FA stehen nun vor einer komplexen Herausforderung: Wie lassen sich Fairplay und Spielfluss gewährleisten, ohne die Spieler und Trainer mit zusätzlichen Regeln, Gelben Karten und Spielminuten zu überfrachten? Die nächsten Spieltage könnten zeigen, ob die neuen Regeln die erhofften Effekte bringen oder ob eine Überarbeitung erforderlich ist.

Pep Guardiola ist übrigens auch kein Fan der neuen Regel. Englands Meister-Trainer scherzte nach dem diesjährigen Community Shield, dessen reguläre Spielzeit 90+13 Minuten betrug (1:1, Arsenal besiegte ManCity im Elfmeterschießen): „Sie verlängern die Spielzeit bei jedem Tor. Wenn du also 4:3 führst, stehen wir dann morgen früh um 9 Uhr noch hier?“