Süper Lig>

Fenerbahce und Tedesco trotzen einer dunklen Wolke

Gegenentwurf zur landesweiten Krise

Während die Türkei von einem Wettskandal erschüttert wird, geht das Beben an Fenerbahce Istanbul vorüber. Sportlich setzt das Team von Domenico Tedesco Ausrufezeichen. Der Deutsch-Italiener sorgt für Ruhe im Verein.
Fenerbahce-Coach Domenico Tedesco blickt vor dem Europa-League-Spiel gegen Stuttgart auf seine zehn Jahre bei den Schwaben zurück und erklärt, was sein Team für den Erfolg in Istanbul braucht.
Während die Türkei von einem Wettskandal erschüttert wird, geht das Beben an Fenerbahce Istanbul vorüber. Sportlich setzt das Team von Domenico Tedesco Ausrufezeichen. Der Deutsch-Italiener sorgt für Ruhe im Verein.

Der türkische Fußball erlebt eines seiner dunkelsten Kapitel. Der Verband hat inzwischen über 1.000 Spieler wegen mutmaßlicher Wettvergehen an die Disziplinarkommission verwiesen, 149 Schiedsrichter wurden suspendiert. Gegen mehrere Unparteiische ermittelt die Staatsanwaltschaft, bei einem Referee soll es laut des türkischen Fußballverbandes über 18.000 Wettvorgänge gegeben haben.

Die Folgen sind gravierend: Spiele im Amateurbereich wurden vorübergehend ausgesetzt, betroffene Klubs kämpfen um komplette Kaderumbauten. Die Erschütterungen reichen bis in die Süper Lig, die höchste Spielklasse des Landes.

Auch international sorgt die Dimension des Skandals für Aufsehen. Für den ehemaligen türkischen Nationalspieler und früheren Offensivmann von Borussia Dortmund, Erdal Keser, ist das Ausmaß jedoch kein ausschließlich türkisches Phänomen.

Keser: „Dieses Problem existiert überall“

„Ich bin mir sicher, dass es in allen anderen Ländern ähnliche Probleme gibt. Solange Wettanbieter von den Verbänden legal akzeptiert werden, wird dieses Problem überall bestehen – nur eben in manchen Ländern verdeckt oder stillschweigend toleriert“, sagt der 64-Jährige zu SPORT1.

Ein Klub, der von den Vorwürfen aktuell unberührt bleibt und sportlich glänzt, ist Fenerbahce Istanbul. Am vergangenen Spieltag gewann das Team 5:2 in Rize und festigte Platz zwei in der Süper Lig.

Bemerkenswert: Ausgerechnet in einer Phase, in der diese finstere Wolke über allem schwebt und vielerorts Chaos herrscht, wirkt Fenerbahce stabil wie selten. Kein Spieler des Vereins taucht in den Ermittlungen auf – ein Punkt, den Keser ausdrücklich betont: „Fenerbahce ist neben beziehungsweise nach Galatasaray eine der wichtigsten Fußballkulturen der Türkei und wird zu Recht aus dieser unnötigen Diskussion herausgehalten.“

Tedesco gibt Fenerbahce eine klare Linie

Der Mann hinter der neuen Stabilität heißt Domenico Tedesco. Der Deutsch-Italiener hat der Mannschaft als Trainer eine klare Struktur und mentale Ruhe gegeben. Er hat das Team in kurzer Zeit taktisch gestrafft, diszipliniert ausgerichtet und erstmals seit Jahren zu einer geschlossenen Einheit geformt.

Dass dieser Wandel alles andere als selbstverständlich ist, zeigt ein Blick zurück: Nicht einmal vier Wochen nach seinem Amtsantritt stand Tedesco schon heftig in der Kritik. Der 40-Jährige kam als Nachfolger von José Mourinho, was die Erwartungen enorm in die Höhe trieb.

Die türkische Tageszeitung Sabah sprach Ende September vor dem Ligaspiel gegen Antalyaspor bereits von einem „Endspiel“ für Tedesco, nachdem es unter anderem beim Europa-League-Auftakt bei Dinamo Zagreb ein 1:3 gegeben hatte.

Intern und extern stellte man sich die Frage, ob ein methodischer, analytischer Trainer wie Tedesco zu einem emotionalen Umfeld wie Istanbul passt.

Tedesco glaubt an Grundidee

Dass diese Frage inzwischen kein Thema mehr ist, liegt laut Kennern vor allem daran, dass Tedesco seine Grundidee nicht aufgab – und die Klubführung ihm die nötige Geduld entgegenbrachte.

„Auf dem Bosporus ist es nicht einfach – die Menschen dort sind alle fußballverrückt“, sagt Helge Leonhardt zu SPORT1. Der Ex-Präsident von Erzgebirge Aue kennt Tedesco seit dessen frühen Trainerjahren und sieht sich durchaus als dessen Ziehvater.

2017 arbeitete Tedesco in Aue, wo er die Mannschaft in einer schwierigen Phase stabilisierte. Leonhardt beschreibt ihn als „Trainer mit Kopf, Herz und Haltung“. Ein entscheidender Faktor dabei sei Vertrauen.

„Gut, dass er vom Präsidenten und der Führung Zeit bekommen hat, sich einzuarbeiten“, meint Leonhardt. „Jetzt hat er bewiesen, dass er der Richtige ist.“

Weggefährte warnt: „Mit der Zeit flacht dieser Effekt ab“

Keser sieht Tedescos Einfluss als zwingend an, ordnet aber auch ein: „Tedesco hat im ersten Jahr immer großen Erfolg im Klub, weil er mit seinem fachlichen und theoretischen Wissen die Spieler begeistern konnte. Mit der Zeit flacht dieser Effekt jedoch ab.“

Beispiele dafür gibt es genug. Mit Schalke 04 wurde Tedesco Vizemeister, musste jedoch in der Folgesaison gehen. Mit RB Leipzig gewann er den DFB-Pokal, bevor wenige Monate später nach einem verpatzten Saisonstart die Entlassung folgte.

Auch als Trainer der belgischen Nationalmannschaft legte Tedesco ab März 2023 mit einer Erfolgsserie von 14 ungeschlagenen Spielen in Folge einen Traumstart hin. Doch 2024 wendete sich das Blatt: Gerade einmal vier von 14 Partien gewannen die Red Devils.

Interne Konflikte erschweren Tedescos Arbeit als Nationaltrainer

Hinzu kamen Konflikte abseits des Rasens: Ein Streit mit Torhüter Thibaut Courtois gipfelte im zwischenzeitlichen Rücktritt des Routiniers, während sich der Deutsch-Italiener auch von Starspieler Kevin De Bruyne offene Kritik gefallen lassen musste.

Dabei mangelt es Tedesco grundsätzlich nicht an Erfahrung im Umgang mit großen Persönlichkeiten - bei Leipzig arbeitete er unter anderem mit Stars wie Emil Forsberg, Christopher Nkunku oder Timo Werner zusammen.

Ob der wiederkehrende Leistungseinbruch auch in Istanbul eintreten wird, bleibt abzuwarten. Dass Tedescos Ansatz jedoch grundsätzlich funktioniert, liegt an einer Kombination aus Struktur, Kommunikation und einer klaren taktischen Idee.

Derby gegen Galatasaray als besonderer Prüfstein

Kurzfristig gilt der volle Fokus nun dem wohl wichtigsten Spiel der bisherigen Saison: dem Istanbul-Derby gegen Galatasaray am Montagabend (18 Uhr im LIVETICKER). Die Tabellensituation - Galatasaray führt die Tabelle mit einem Punkt Vorsprung an - verleiht dem Duell zusätzliche Brisanz. Für Tedesco ist es ein besonderer Prüfstein.

Leonhardt ist überzeugt, dass der Weg des Trainers noch nicht zu Ende ist: „Vielleicht landet er irgendwann wieder in der Bundesliga. Bayern oder der BVB wären realistische Ziele.“

Und mit einem Augenzwinkern fügt er hinzu: „Egal, wo er landet: Ein Stück Erzgebirge Aue wird immer in ihm bleiben.“