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Neun Meter? "So nah dran wie noch nie!" - Markus Rehm im SPORT1-Interview

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Neun Meter? "So nah dran wie noch nie!" - Markus Rehm im SPORT1-Interview

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Para-Star träumt von magischer Marke

Markus Rehm zählt zu den bekanntesten Para-Sportler der Welt. Im SPORT1-Interview redet er über seinen Kampf für mehr Akzeptanz, die magische Neun-Meter-Marke und das deutsche WM-Debakel in der Leichtathletik.
Im Interview mit Sport1 redet Paralympic-Sportler Markus Rehm (Weitsprung und Sprint) über seinen Weltrekord, seinen großen Traum und was für den paralympischen Sport in den letzten Jahren passiert ist.
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Die besten deutschen Sportler haben im Rahmen des Sporthilfe-Events „Club der Besten“ ihre Saison in Italien feierlich beendet. Mit Markus Rehm war einer der erfolgreichsten deutschen Para-Athleten der vergangenen Jahre ebenfalls vor Ort.

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Im exklusiven SPORT1-Interview spricht der Weitsprung-Weltrekordler über seine Erfahrungen vor Ort und ein Angebot aus dem Wintersport.

Darüber hinaus spricht er über seinen Kampf für mehr Akzeptanz, ein neues Ziel, das er eigentlich nicht wollte, und das WM-Debakel der deutschen Leichtathleten.

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SPORT1: Hallo Herr Rehm, Sie sind aktuell Mitglied beim „Club der Besten“ der Sporthilfe. Wie gefällt es Ihnen dort? Und wie ist der Austausch mit anderen Sportlern?

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Markus Rehm: Ich durfte schon mehrmals dabei sein und bisher ist es wirklich genial. Das Schönste ist, sich mit Menschen aus anderen Sportarten zu treffen und sich abseits des Sports zu unterhalten. Ich finde besonders den Wintersport spannend, weil ich als Sommersportler damit wenig Berührungspunkte habe. Wie sie mit Materialien, wie etwa dem Bob umgehen, ist wirklich spannend.

Rehm als Bobsportler? Para-Star hält Tür offen

SPORT1: Tatsächlich sind viele ehemalige Leichtathleten in den Bobsport gewechselt.

Rehm: Ich wurde heute darauf angesprochen, ob ein Wechsel auch für mich eine Option wäre. Ich habe noch nicht aktiv darüber nachgedacht, aber vielleicht werde ich hier mal das ein oder andere Gespräche führen (schmunzelt).

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SPORT1: Gibt es überhaupt Para-Bobsport?

Rehm: Die Disziplin gibt es tatsächlich. Man schiebt den Bob allerdings nicht an, was etwas schade ist. Wenn, dann hätte ich gerne die volle Experience und möchte ihn anschieben (lacht).

SPORT1: Wenn wir uns mit Ihrer Saison beschäftigen - wie fällt Ihr Fazit aus?

Rehm: Es war eine tolle Saison. Ich konnte meinen Titel bei der Weltmeisterschaft verteidigen und bin sogar noch einen Weltrekord gesprungen. Ich habe die Bestmarke noch mal auf 8,72 Meter nach oben korrigiert. Es lief alles sehr, sehr rund. Deswegen kann ich es hier jetzt auch richtig genießen, weil alles wie geplant funktioniert hat. Wenn ich wieder zurück bin, geht der Fokus sofort auf die Paralympischen Spiele im kommenden Jahr.

Neun Meter? „Das hat mir meine Trainerin abgenommen“

SPORT1: Sie haben schon zahlreiche Titel geholt und neue Weltrekord aufgestellt. Verliert man nicht mit der Zeit etwas an Motivation?

Rehm: Das kann passieren, aber ich muss gestehen, dass ich immer noch für meinen Sport brenne. Mir macht es nach wie vor Spaß, weil ich immer auf der Suche nach den Grenzen bin. Wie weit kann ich noch springen? Das motiviert mich seit jeher. Solange ich das Gefühl habe, dass ich den perfekten Sprung noch nicht geschafft habe, kann ich mich weiterhin gut motivieren. Die 8,72 Meter waren richtig gut, aber ich glaube, dass es noch nicht der perfekte Sprung war.

Markus Rehm stellte in diesem Sommer einen neuen Weltrekord auf
Markus Rehm stellte in diesem Sommer einen neuen Weltrekord auf

SPORT1: Ihre Trainerin hat gesagt, dass Sie die Neun-Meter-Marke knacken können. Was fehlt noch, um diese Schallmauer zu durchbrechen?

Rehm: Ich habe mich ehrlicherweise immer gescheut, das laut auszusprechen. Das hat mir meine Trainerin in diesem Jahr abgenommen. Sie hat es in einem Interview rausgehauen und dann hieß es: „Rehms neues Ziel sind neun Meter“ (lacht). Ich glaube, es ist wichtig, dass man auch im Leistungssport träumt. Wir müssen natürlich realistisch bleiben, aber ich bin jetzt so nah dran an dieser magischen Marke wie noch nie. Wenn man das Gefühl hat, dass die Landung noch nicht perfekt war, dann beginnt man zu träumen. Ich hätte mich nicht getraut, das laut auszusprechen. Aber das hat meine Trainerin mir dankenswerterweise abgenommen. Es ist ein tolles Kompliment, aber da steckt noch ganz viel Arbeit drin. Zugleich brauche ich so etwas auch, um die Motivation über den Winter hochzuhalten.

SPORT1: Mit 35 Jahren sind Sie bereits im fortgeschrittenen Sportler-Alter. Beschäftigen Sie sich bereits mit einem Rücktritt?

Rehm: Der Traum von neun Metern und den ganz großen Weiten ist noch ein Stück größer als der Rücktritt. Ich habe immer gesagt, dass ich gerne in die Top drei, Top fünf der ewigen Bestenliste aufsteigen möchte. Da gibt es schon noch magische Marken wie 8,80 Meter, die Wahnsinn wären, weil es einfach eine unfassbare Zahl ist. Das sind Weiten, die nicht viele Menschen jemals auf der Welt gesprungen sind. Diese Magie packt mich einfach. Natürlich beschäftige ich mich auch mit einem Rücktritt, aber wenn ich mich zu sehr darauf fokussiere, wird auch die Motivation sinken.

Weitsprung-Star: „Will mich nicht von Funktionären abhängig machen“

SPORT1: In der Vergangenheit haben Sie immer wieder versucht, an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Wie sehr verfolgen Sie dieses Ziel noch?

Rehm: Es ist ein sehr kräfteraubender Prozess, wenn ich ehrlich bin. Es hat mich viel Energie gekostet, die ich viel lieber in den Sport investiert hätte. Ich glaube, dass in den vergangenen Jahren viel im paralympischen Sport passiert ist und wir uns deutlich weiterentwickelt haben. Es gibt viele Wettkämpfe, bei denen olympische und paralympische Sportler zusammen an den Start gehen. Genau darum geht es mir. Mir geht es nicht um diesen Wettkampf Olympia, sondern mein Ziel ist es, die Sportler zusammenzubringen. Und dort habe ich das Gefühl, dass sich in den vergangenen Jahren einiges verbessert hat. Das nächste große Ziel ist daher, die Weite nach oben zu schrauben, denn dafür brauche ich nicht die Erlaubnis irgendwelcher Funktionäre. Ich will mich nicht von Funktionären abhängig machen, die noch in alten Strukturen festsitzen. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich an Grenzen stoße und dort kein Verständnis vorzufinden ist, dann ist es ein bisschen mühselig.

SPORT1: Haben Sie denn generell das Gefühl, dass der paralympische Sport wächst und mehr Athleten hinzukommen?

Rehm: Ich habe das Gefühl, dass der Sport in den vergangenen Jahren in vielen Ländern enorm gewachsen ist, auch in Deutschland. Das ist schön zu sehen. Wir haben hier mittlerweile deutlich mehr Aufmerksamkeit und Möglichkeiten, unseren Sport zu repräsentieren. Es gibt aber immer noch beide Seiten. Einige Veranstalter freuen sich tierisch, wenn ich dort am Start bin, und da bin ich meist schon der Erste, der den Termin erhält. Und dann gibt es Wettkämpfe, bei denen ich tatsächlich ausgeladen werde. Das finde ich schade, wenn man als Veranstalter nicht in die offene Kommunikation geht, gerade wenn man einen nicht kennt und noch nie ein Wort gewechselt hat. Dort heißt es dann: „Darauf haben wir nicht so wirklich Lust, wenn dort ein paralympische Athlet weiterspringt als die olympischen.“ Ich glaube, dort ist in Bezug auf Inklusion deutlich Luft nach oben.

Leichtathletik-Ass fordert DLV zum Handeln auf

SPORT1: Die deutschen Leichtathleten haben bei der Weltmeisterschaft erstmals keine Medaille geholt. Denken Sie, die internationale Konkurrenz ist mittlerweile stärker oder fehlt es den Athleten an Qualität?

Rehm: Das ist ganz, ganz schwer zu beantworten. Ich glaube, dass es viele Faktoren dafür gibt. Es ist auf jeden Fall enttäuschend, da braucht man kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Das sollte uns als so große und gut aufgestellte Nation nicht passieren. Es muss definitiv hinterfragt werden, wie man den Nachwuchs noch besser auf dem Weg in den Leistungssport unterstützen kann. Natürlich haben einige Top-Athleten verletzungsbedingt gefehlt, aber wenn die alle verletzungsbedingt ausfallen, scheint irgendetwas nicht zu funktionieren. Hoffentlich war diese WM ein Weckruf für die deutsche Leichtathletik.

SPORT1: Im Anschluss haben viele (Ex-)Athleten Kritik an den Verantwortlichen geäußert. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?

Rehm: Absolut. Da läuft irgendetwas schief. Nun ist es an den Funktionären zu hinterfragen: Was hat vielleicht gut funktioniert - und was hat gar nicht funktioniert? Man kann nicht von heute auf morgen alles auf den Kopf stellen und dann sind direkt alle Leistungen besser. Das ist ein Prozess, der einen Anfang braucht. Meines Erachtens braucht es neue Köpfe, die dort frischen Wind reinbringen. Der Sport entwickelt sich weiter und andere Nationen sind leider an uns vorbeigezogen.

SPORT1: Der DLV hat angekündigt, dass er bis 2028 wieder die Top fünf anstrebt. Halten Sie das für realistisch?

Rehm: Ich wünsche mir, dass das funktioniert. Aber wenn man so einen Optimismus an den Tag legt, fragt man sich, worauf der basiert. Es müssen klare Konzepte auf den Tisch. Wo liegen die Ursachen? Ist es die Förderung der Top-Athleten? Ist es die Trainingssteuerung? Oder kommt zu wenig Nachwuchs nach?

SPORT1: Diese Diskussion gibt es ja auch in anderen Sportarten. Was kann ganz generell getan werden, um mehr Kinder zum Sport zu bewegen?

Rehm: Ich glaube, dass wir so Sport-Events wie „Jugend trainiert“ brauchen. Natürlich kann dort nicht jeder gewinnen, das ist überall so im Leben. Jeder hat seine Qualitäten. Wir müssen alle mit Erfolg und Niederlage umgehen. Auch ich bin nicht in allem gut. Wir sollten die Kinder nicht zu sehr in Watte packen, denn sie machen eh aus allem automatisch einen Wettkampf. Ich finde solche Sport-Events wahnsinnig wichtig und hoffe, dass wir in der Zukunft nicht an der falschen Stelle sparen.

Para-Star mit klarer Forderung an Kollegen

SPORT1: Kommen wir zurück zu Ihnen. Tauschen Sie sich auch mit Sportlern ohne Behinderungen aus oder bleiben Sie unter paralympischen Sportlern?

Rehm: Es ist sehr unterschiedlich. Mit anderen Weitspringern in Deutschland haben wir nicht so viel Kontakt. Meine Trainerin und ich suchen uns jetzt aber Hilfe. Das weiß ich an Steffi (Nerius, Anm. d. Red.) zu schätzen, denn sie ist sich nicht zu fein, auch mal Hilfe zu holen. Der Plan ist, dass wir uns mit Sprinttrainern zusammensetzen, um vielleicht noch in der Geschwindigkeit das nächste Level zu erreichen. Das würde mir auch bei der Weite helfen.

SPORT1: Was wünschen Sie sich, damit der Para-Sport noch mehr Beachtung findet?

Rehm: Ich glaube, wir müssen mehr Begeisterung entfachen. Wir müssen Geschichten erzählen und Emotionen erzeugen, denn darum geht es im Sport. Da sind auch wir Athleten gefragt. Wir sind in den vergangenen Jahren sehr professionell geworden, wir können in vielen Disziplinen inzwischen auch mit olympischen Sportlern mithalten. Das spricht für das Trainingsumfeld und unsere Förderung, die wir mittlerweile genießen. Und dann müssen wir es schaffen, die Menschen ins Stadion zu bringen. Das ist auch meine Aufgabe, denn ich möchte ihnen die bestmögliche Show bieten.

SPORT1: Gibt es noch etwas, das Sie sich wünschen?

Rehm: Ich wünsche mir, noch mehr Berührungspunkte zu schaffen. Ich glaube, dass viele Menschen den paralympischen Sport noch gar nicht auf dem Schirm haben oder lediglich ein veraltetes Bild. Unsere Generation muss dafür sorgen, dieses Bild zu ändern. Deswegen finde ich die Diskussion, ob eine Prothese für Vorteile sorgt, durchaus hilfreich, weil sich die Menschen dann mit der Thematik befassen. In diesem Jahr ist die Weltjahresbestleistung im paralympischen Weitsprung höher als im olympischen. Das ist neu und damit müssen sich auch die olympischen Athleten beschäftigen. Gemeinsam kann es uns viel besser gelingen, den Sport zu repräsentieren.

Para-Athleten bei der Diamond League?

SPORT1: Was halten Sie von einer Diamond League für paralympische Sportler?

Rehm: Das sind genau die Events. In diesem Jahr gab es bei der Diamond League zwei Events für paralympische Sportler. Ich wünsche mir, dass noch mehr passiert und ich als paralympischer Athlet antreten kann. Ich fürchte aber, dass sich die Inklusion dort noch etwas schwertut.

SPORT1: Und die Diskussionen über Ihre Prothese würde Ihnen nichts ausmachen?

Rehm: Darin sehe ich grundsätzlich kein Problem. Man kann mich völlig unkompliziert außerhalb der Wertung springen lassen. Ich nehme niemandem den Preis oder eine Medaille weg, sondern bin einfach ein weiterer Athlet, der antritt. Das Einzige, was dort vielleicht Schaden nimmt, ist das ein oder andere Ego.