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"Körpergefühl war bei null" - Schafft Röhler das Paris-Wunder?

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"Körpergefühl war bei null" - Schafft Röhler das Paris-Wunder?

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Der Olympiasieger, der alles verlernte

Trotz schwerer Jahre mit vielen Verletzungen hat Thomas Röhler Olympia in Paris nie aus dem Blick verloren. Der Weg zurück gestaltet sich als äußerst herausfordernd, wie der 32-Jährige im SPORT1-Interview verrät. Trotzdem ist er optimistisch.
Thomas Röhler wurde 2016 Speerwurf-Olympiasieger
Thomas Röhler wurde 2016 Speerwurf-Olympiasieger
© IMAGO/Beautiful Sports
Johannes Fischer
Johannes Fischer

In den vergangenen Jahren ist es ruhig geworden um Thomas Röhler. Der Speerwerfer, der 2016 Olympiasieger in Rio de Janeiro wurde, hatte lange Zeit mit Verletzungen zu kämpfen und musste mit ansehen, wie andere Athleten die Lorbeeren einheimsten.

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Als es 2023 gesundheitlich wieder dazu in der Lage war, den Speer in die Luft zu schleudern, musste Röhler feststellen, dass ihm die früheren Automatismen abhanden gekommen waren - und er meilenweit hinter den früheren Leistungen zurückblieb.

Doch der 32-Jährige kämpfte sich aus seinen Tiefs zurück – und ist nun zuversichtlich, im Olympiajahr wieder wettbewerbsfähig zu werden und sich für Paris zu qualifizieren. Dafür müsste er allerdings die direkte Norm von 85,50 Meter werfen, etwa zehn Meter weiter, als bei seinem besten Ergebnis im vergangenen Jahr.

Thomas Röhler hat Olympia in Paris im Blick
Thomas Röhler hat Olympia in Paris im Blick

Bei SPORT1 spricht Röhler darüber, welche Hürden er überwinden muss auf seinen geplanten Weg zurück in die Weltspitze - und warum er trotz aller Widerstände optimistisch ist.

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SPORT1: Herr Röhler, Sie haben im vergangenen Jahr einige Versuche unternommen, langsam wieder in Schwung zu kommen. Auf dem Papier standen dann aber eher Weiten, die Sie nicht so zufriedengestellt haben dürften…

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Thomas Röhler: Wir haben die letzten zweieinhalb Jahre mit sehr viel Weitblick gearbeitet. Und das letzte Jahr war ein Trainingsjahr, wo ich seit langer Zeit wieder genau das tun konnte, was ich so liebe: sehr, sehr hohe Trainingsumfänge zu schieben und Dinge auszuprobieren. Der Körper hat mich wieder riskieren lassen. Und ja, wir haben Wettkampfversuche unternommen, die aber überhaupt nicht unter dem Anspruch des Wettkampfes selbst standen. Der Wettkampf ist im Endeffekt auch nur ein Trainingstool. Klar begibt man sich in die Öffentlichkeit. Ich habe mich an vielen Stellen der Sache gestellt, wo auch Leute gefragt haben, ‚warum gibst du dir das? Bleib doch zu Hause und trainiere weiter‘. Ich habe aber den Wettkampf als sehr, sehr wichtiges Trainingstool verwendet und genau so schätzen wir das letzte Jahr ein. Heute bin ich dankbar, dass ich es so entschieden habe, weil genau diese Puzzleteile wichtig sind auf dem Weg zurück.

SPORT1: Das heißt, Sie sind zuversichtlich, dass es in der kommenden Saison wesentlich besser läuft?

Röhler: Da bin ich aktuell sehr zuversichtlich, ja.

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SPORT1: Sieht man das an den Kraftwerten oder auch an der Technik? Welche Puzzleteile haben Sie da zusammengefügt?

Röhler: Ich könnte jetzt ganz flapsig antworten: mit zehn Jahren Speerwurf-Erfahrung und einem gewissen Körpergefühl. Das war durch die Verletzungen allerdings irgendwann bei null angekommen. Koordinativ ist die Natur mit dem Radiergummi an die Technik rangegangen, wodurch gesamte Teile einfach gefehlt und nicht mehr funktioniert haben. Wir mussten an gewissen Teilen fast einen Neulernprozess durchschreiten. Das dauert bei hochkomplexen Sportarten einfach super lange. Aber irgendwann häufen sich die Momente, die Aha-Effekte, die man früher im Erlernen der Technik mal hatte. Auch als gestandener Athlet musste ich feststellen, dass genau diese Aha-Momente wieder eintreten können, was sehr, sehr schön ist, richtig Spaß macht und was einen auf so einer langen Reise auch immer wieder motiviert, weiterzumachen.

“Wir sprechen über kleinste Details“

SPORT1: Ist Speerwerfen denn so komplex, dass man erlernte Details komplett verlernt?

Röhler: Wenn man verletzt ist, hat man eine Schonhaltung. Wenn man zum Beispiel umgeknickt ist, dann humpelt man. Beim Speerwerfen sprechen wir über die kleinsten Details, die in Worte zu fassen sehr schwierig sind. Wenn du nach dem Wurf sofort weißt: ah Mist, das funktioniert noch nicht, das ist noch nicht das, wie es sich anfühlen muss, das Timing stimmt nicht. Oder du bist an einer Stelle nicht stark genug gewesen, wo du eine Position hättest halten müssen, wo der Körper in der Situation aber anders entscheidet. Speerwerfen funktioniert, weil wir ein menschliches Katapult sind. Und wenn im Katapult eine Stelle nicht passt, wie zum Beispiel das Stemmbein, das das nicht da stehen bleibt, wo es hingehört, oder wenn die Hüfte nachgibt, dann ist die physikalische Rechnung, warum ein Speer fliegt, einfach kaputt.

Thomas Röhler bei den Deutsche Leichtathletik-Meisterschaften 2023 in Kassel
Thomas Röhler bei den Deutsche Leichtathletik-Meisterschaften 2023 in Kassel

SPORT1: Sie haben ja die ganze Zeit gesagt, dass Sie unbedingt nochmal bei Olympia starten wollen, ist das nach wie vor die größte Triebfeder von Ihnen?

Röhler: Ja, an vielen Stellen kam das so raus, ich glaube das assoziiert man auch immer mit Olympiasieger. Das ist ein Riesenthema für mich, aber es ist nicht das eine Thema, ich möchte mir eine Karriere nach der Verletzungsgeschichte ermöglichen. Dass jetzt sofort die Olympischen Spiele wieder anstehen, wo es besser ausschaut, das ist wunderbar, aber prinzipiell ist mein Blick auch über 2024 ausgerichtet.

SPORT1: Wie optimistisch sind Sie, dass wir Sie tatsächlich in Paris auf der Anlaufbahn sehen werden?

Röhler: Stand heute bin ich super optimistisch, trotz allem muss sich jeder erstmal qualifizieren, das ist ein gewisser Prozess, dafür braucht es Wettkämpfe. Und dann muss man die Dinge aus dem Training im Wettkampf zeigen, das wird auch nochmal ein Prozess nach sich ziehen, der nicht super einfach wird. Aber wenn es einen guten Wettkampfeinstieg gibt, dann ist es definitiv machbar.

SPORT1: Haben Sie sich schon einen Plan zurechtgelegt, wann der erste Wettkampf stattfinden wird?

Röhler: Nein, da ist noch nichts konkret.

SPORT1: Auch Johannes Vetter konnte in den vergangenen zwei Jahren verletzungsbedingt fast gar nicht werfen. Sind Sie auch mit ihm im Austausch, wie es ihm gerade geht? Gibt es Parallelen?

Röhler: Ich glaube, da macht gerade jeder seine Hausaufgaben, und das Beste wäre doch, wenn wir beide gesund wieder auf Wettkämpfen antreten können.

Reger Austausch mit Julian Weber

SPORT1: Zuletzt ist Julian Weber in die Bresche gesprungen. Er sagt nun, dass er alles dafür geben wird, in Paris unbesiegbar zu sein. Trauen Sie ihm das zu?

Röhler: Julian ist alles zuzutrauen. Wir zwei stehen in häufigem Kontakt. Unter der „Home of Athletes“-Marke habe ich irgendwann Julian mit ins Team genommen und gesagt, der passt super zu uns. Der Julian ist gut drauf, der ist in einer Riesenform, der trainiert hart. Und am Ende kommt es auf den einen Tag an. Und deswegen sagt er es genau richtig. Er möchte top vorbereitet in die Spiele gehen. Was dann dort passiert, das wissen wir alle heute noch nicht.

Thomas Röhler (l.) mit Johannes Vetter im Jahr 2017
Thomas Röhler (l.) mit Johannes Vetter im Jahr 2017

SPORT1: Ist es auch ein mentales Ding? Kann man sich das selbst einreden, wenn man sagt, ich will unbesiegbar sein?

Röhler: Definitiv. Das ist ein Treiber im täglichen Agieren. Ich glaube, der mentale Aspekt wurde viel zu lange gar nicht beleuchtet. Der spielt aber in dem Bereich, über den wir gerade sprechen, im Topsport doch wirklich eine herausragende Rolle. Im Wettkampf ist die Lupe drauf, die Kamera ist drauf, du bist aber immer noch du. Und da muss das mentale Konstrukt schon wirklich sehr, sehr stabil sein. Was seltener beleuchtet wird, und das steckt in seinem Zitat ja auch drin, ist dieser tägliche Antrieb, wofür man trainiert. Selten sind das Medaillen oder Podeste, wofür man trainiert, eher wirklich Zustände der eigenen Wahrnehmung. Wenn er sagt, ich möchte mich unbesiegbar fühlen, dann ist das ja auch ein gewisses mentales Konstrukt, was er sich baut, um täglich hart zu arbeiten.

SPORT1: Bei Ihnen war es ja wahrscheinlich auch eine Stärke, bei den Großereignissen da zu sein, wie bei Olympia 2016.

Röhler: Mental ist da viel möglich in dem Raum über 100 Prozent. Und das macht riesig Spaß, weil dann kannst du kreativ werden, dann kannst du dir Träume schmieden und die dann wirklich in die Tat umsetzen. Schwierig ist es, wenn du Probleme hast und dann immer noch an 110 Prozent glaubst und du aber erst mal bis 100 Prozent zurückkommen musst. Das ist der harte Weg. Aber wenn du körperlich fit bist, dann beginnt das Mental Game und da hat jeder seine eigenen Strategien.

SPORT1: Bei den letzten Großereignissen waren indische Athleten ganz vorne dabei. Hätten Sie so etwas vor ein paar Jahren geglaubt?

“Neeraj ist in Indien ein Top-Star“

Röhler: Es hat sich schon vor fünf, sechs Jahren abgezeichnet. Ich bin da sehr eng an der Community dran. Gerade durch Neeraj Chopra und seinen deutschen Coach Klaus Bartonietz ist da ein riesiger Run entstanden. Neeraj ist in Indien ein Top-Star, vergleichbar mit den bekanntesten zwei, drei Fußballern bei uns. Das zeigt einfach, was für einen Riesenantrieb da gerade da ist, in der Jugend, bei den Talenten. Da werden wir noch ganz viele Überraschungen sehen - einfach aufgrund der Menschenmasse.

2016 wurde Röhler Olympiasieger in Rio
2016 wurde Röhler Olympiasieger in Rio

SPORT1: Die deutsche Leichtathletik hatte zuletzt im Weltmaßstab nichts zu melden. War der medaillenlose Auftritt bei der WM in Budapest aus Ihrer Sicht eine Ausnahme? Oder müssen wir uns künftig daran gewöhnen?

Röhler: Wenn man das rational betrachtet, wird das ein Zustand sein, an dem man arbeiten muss. Am Talente-Pool, der bei Kindern, die Begeisterung für Bewegung haben, da ist, scheitert es nicht in unserem Land. Es scheitert dann aber oft bei den Jugendlichen, die es häufig nicht schaffen, zwischen Studium und Leistungssport ihren Weg zu gehen. In einer Zeit, die sehr viel Ablenkung bietet, die Wohlstand auch ohne Sport offeriert, müssen wir noch einige Hausaufgaben lösen, bis wir uns wieder mehr in die Medaillenplätze reinkämpfen.

“Wünsche mir motivierte Talente“

SPORT1: Der DLV hat sich im vergangenen Jahr neu aufgestellt. Unter anderem wurde ein neuer Sportdirektor eingestellt. Gleichzeitig hat der Verband die Parole ausgegeben, bei Olympia 2028 unter die Top-5-Nationen kommen zu wollen. Wie bewerten Sie die Arbeit des DLV und diese Zielsetzung?

Röhler: Es passieren an vielen Stellen definitiv positive Dinge. Ob wir jetzt 2028 Top-fünf sind oder nicht, das weiß ich nicht. Was ich mir wünsche, sind motivierte Talente. Dass all die Arbeit in der Struktur und in den kleinen Verein da draußen anschlägt und ankommt.