Er wurde als Hochstapler dargestellt und für seine Behauptung belächelt: Rolf Oesterreich brach am 12. September 1976 sensationell den damaligen Weltrekord im Kugelstoßen - doch niemand bekam davon etwas mit. Der Grund: Die Diktatur in der DDR vertuschte seine Bestmarke.
Wie die DDR einen Weltrekord vertuschte

Doch der Reihe nach: Mitte der 70er Jahre studierte Oesterreich Pädagogik und war begeisterter Kugelstoßer, doch aufgrund seiner Größe von 1,80 Meter wurde er als zu klein für eine große Karriere befunden. 1974 stieß er nur eine Weite von knapp über 16 Metern, wodurch sich niemand für ihn interessierte.
DDR-Hierarchie wird auf den Kopf gestellt
1974 sah der damals 25-Jährige dann den sowjetischen Kugelstoßer Alexander Baryshnikov. Er revolutionierte den Sport einst mit der Drehstoßtechnik. Oesterreich nahm sich daran ein Beispiel und brachte sich diese Technik autodidaktisch ohne Trainer bei.
Das Problem: In der DDR galt damals die neue Drehstoßtechnik als unerwünscht. Zudem war nicht gerne gesehen, dass Oesterreich eigeninitiativ abseits des sportlichen Fördersystems trainierte.
Nach zwei Jahren harter Arbeit war ein enormer Leistungsfortschritt zu erkennen. Im Mai 1976 stieß Oesterreich in Zwickau bei einem Kreissport-Wettkampf die Weite von 21,46 Meter, was die DDR-Jahresbestleistung bedeutete. Der kleine Kreissportler stellte die Hierarchie auf den Kopf.
Oesterreich wird zum politischen Opfer
Das wollten die handelnden Personen in der DDR unterbinden, sodass der Kugelstoßer wenige Tage vor der entscheidenden Olympia-Qualifikation plötzlich als sportuntauglich eingestuft wurde, „weil eine permanente Belastbarkeit in der Leichtathletik in der speziellen Disziplin für Oesterreich nicht garantiert werden kann.“
Er wurde somit zu einem politischen Opfer und war daraufhin nicht bei den Montreal stattfindenden Olympischen Spiele dabei. Nutznießer war der Potsdamer Udo Beyer, der anschließend am 24. Juli mit einer Weite von 21,05 Metern Olympiasieger wurde.
Weltrekord wird verschwiegen
Von seinem Weg ließ sich Oesterreich davon aber nicht abbringen und kündigte sogar vor einem Wettkampf am 12. September 1976 an, dass er den Weltrekord von Baryshnikov brechen werde.
Die Bestmarke lag damals bei genau 22 Metern - und tatsächlich übertraf der Deutsche diese in Zschopau bei Karl-Marx-Stadt um elf Zentimeter.
Nach dem Wettkampf wurde der neue Weltrekord jedoch verschwiegen. Auf der Siegerehrung hieß es lediglich: „Die Bezirksmeisterschaft wurde mit der sehr guten Weite von 22,11 Meter von Rolf Oesterreich gewonnen.“
Einen Tag später stand in der Zwickauer Ausgabe der Freien Presse zwar ein Bericht zu den Bezirksmeisterschaften, doch es wurde kein Wort zum Kugelstoßen verloren.
Oesterreich wird Startkarte entzogen
Die offizielle Begründung für die Nichtanerkennung des Weltrekords: Er sei lediglich bei einer Veranstaltung auf Kreisebene aufgestellt worden und müsste nochmals bei großen Wettkämpfen bestätigt werden. Doch zu diesen wurde Oesterreich nie eingeladen.
„Es war eine einzige Schikane, wie mit mir umgegangen wurde“, erklärte der Kugelstoßer einst.
Nur ein Jahr später ging der DTSB-Bezirksvorstand noch einen Schritt weiter, denn im Frühjahr 1977 erschien das DDR-Jahrbuch der Leichtathletik und Oesterreich wurde bei seinem Weltrekord-Wettkampf gar nicht mehr aufgeführt und der eigentliche Zweite als Sieger genannt.
Ein paar Monate später sollte der Kugelstoßer dann seine damals erhaltende Urkunde ebenfalls wieder abgeben. Dies verweigerte er allerdings.
1978 wollte der SC Karl-Marx-Stadt seinen Schützling zu den Europameisterschaften bringen, doch kurz vor den DDR-Meisterschaften wurde Oesterreich seine Startkarte entzogen, wodurch er sich auch nicht mehr für die EM qualifizieren konnte.
„Nach dieser erneuten systematischen Demontage bin ich zwar laut geworden, habe dann aber einen Schlussstrich gezogen“, berichtete Oesterreich.
Weltrekord in DLV-Liste mit Sternchen versehen
Nur kurze Zeit später wurde der Kugelstoßer bei einer Vorladung des DSTB als Betrüger bezeichnet.
Die Begründung: Die Kugel soll einen unnatürlichen Schwerpunkt gehabt haben und manipuliert gewesen sein. Dem entgegnete Oesterreich, dass seine Kugel damals von den Kampfrichtern abgenommen worden sei.
Zudem beteuerte er, dass er nicht gedopt habe: „Ich war nie im System des DDR-Sports integriert und hatte deshalb auch keinerlei Zugang zu unterstützenden Mitteln.“ Rückblickend sagte er verbittert: „Die 22,11 Meter waren der lebensentscheidende Moment, die Schikane eine einzige Enttäuschung für mich.“
Bis zu seinem Tod im Dezember 2022 erhielt Oesterreich keinerlei Würdigung bzw. Entschuldigung.
Bis heute wird er zwar in der ewigen Bestenliste des DLV geführt, doch sein Ergebnis ist mit einem Sternchen versehen. Es heißt: „Leistung wurde vom damaligen DVfL der DDR aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen nicht anerkannt.“