Für uns Normalsterbliche, die zur Tankstelle fahren müssen, um Reifen aufzupumpen: 0,3 psi entsprechen 0,02 Bar; 1,1 psi sind 0,08 Bar. Werte, die handelsübliche Luftdruckgeräte überhaupt nicht anzeigen können. Doch am Sonntag in Monza hätten diese minimalsten Luftdruckunterschiede in den linken Hinterreifen von Lewis Hamilton und Nico Rosberg beinahe ausgereicht, Hamilton seinen 40. Sieg in der Formel 1 wieder zu nehmen.
Heiße Luft wegen 0,02 Bar
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Die 0,02 Bar waren das Aufregerthema des Rennwochenendes in Monza - auch wenn die Rennkommissare Mercedes schließlich freisprachen und einräumen mussten, bei der Messung der Reifen fünf Minuten vor Rennbeginn falsch verfahren zu haben.
150 Minuten lang unter Schummelverdacht
150 Minuten lang wusste Hamilton nicht, ob er wirklich gewonnen hatte. 150 Minuten lang stand der Vorwurf im Raum, Mercedes hätte auf Kosten der Sicherheit der Fahrer geschummelt.
Doch die Luftdruck-Affäre von Monza war kein Deflate- geschweige denn ein neuer Reifen-Gate in der Formel 1. Sie war noch nicht mal ein Affärchen, sondern nur ein selbstgemachtes neues PR-Desaster für die selbsternannte Königklasse des Rennsports.
Doch wie konnte es zum Luftdruck-Desaster kommen?
Nach den plötzlichen Reifenplatzern bei Sebastian Vettel und Nico Rosberg beim vorletzten Rennen in Spa erhöhte Reifenhersteller Pirelli für Monza den Mindestwert für den Reifendruck von 18 psi auf vorne 21 und hinten 19,5 psi.
Erhöhung des Luftdrucks konnte sich keiner erklären
Was die Erhöhung bringen sollte, konnten sich also weder Fahrer, Ingenieure noch Experten richtig erklären – schließlich hatte Pirelli im Einklang mit den Regelhütern erklärt, dass die Reifen in Spa vor allem wegen des vielen Drecks auf der Strecke geplatzt seien. Von Luftdruck war nicht die Rede.
Am Sonntag wurden die Reifenwerte dann zweimal gemessen: Von den Teams beim Montieren der Reifen vor dem Rennen. Wieso die doppelte Messung, konnte keiner erklären.
Wie Mercedes und Pirelli später nachwiesen, hatten die Reifen nach dem Montieren die richtigen Luftdrücke.
Fünf Minuten vor Rennbeginn wurden die Drücke der linken Hinterreifen, die in Monza am meisten belastet werden, beider Ferraris und Mercedes nochmal von den Rennkommissaren gemessen – völlig überraschend und ohne Kenntnis der Rennställe. Wieso gerade Ferrari und Mercedes, ist unklar.
Es wäre genug Zeit gewesen, die Reifen aufpumpen zu lassen
Dabei wurden bei den Ferraris Werte über dem Mindestwert und bei den Silberpfeilen die fehlenden 0,3 und 1,1 psi herausgefunden. Es wäre genug Zeit gewesen, die Reifen aufpumpen zu lassen, Mercedes zu bestrafen oder zumindest zu informieren. "Ich denke, wenn Pirelli eine zweite Messung macht, dann hat man dort schon die Verantwortung, uns zu sagen, dass der Druck zu niedrig ist", sagte Wolff.
Stattdessen ließen die Kommissare das Rennen starten – und informierten Mercedes 15 Minuten vor Rennende von den Messwerten und der Untersuchung.
Die Mercedes-Ingenieure erklärten, dass die Reifen wegen der abgeschalteten Heizdecken nach der ersten Messung kälter geworden und somit weniger Druck gehabt hatten als zuvor. Um das zu verstehen, bedarf es eigentlich keines Doktortitels in Physik, Luft dehnt sich bei Hitze nun mal aus, doch in der Formel 1 war Logik noch nie das stärkste Argument.
Wolff fordert klare Vorgaben
Diesmal zeigten die Kommissare sich aber "zufrieden, dass sich das Team unter der Aufsicht des Reifenherstellers an die gegenwärtig gültigen Vorgaben zum sicheren Einsatz der Reifen gehalten" habe und sprach Mercedes frei.
Die Kommissare schienen also ihre eigenen Regeln nicht zu kennen, als sie die Geheimmessungen veranlassten.
Nun empfahlen sie der FIA und Pirelli, den Rennställen "klare Vorgaben bezüglich der Messungen zu liefern."
Dass diese Empfehlung nicht nötig geworden wäre, wenn sie nicht plötzlich die Geheimmessungen beschlossen hätten, wurde nicht erwähnt.
Pirelli droht mit Rückzug
Pirelli-Chef Paul Hembery äußerte sich nicht weiter zum Luftdruck-Desaster, warnte aber ganz allgemein: Wenn die Teams nicht verstünden, dass man enger zusammenarbeiten müsste, "müssen sie sich ab 2017 einen anderen Ausrüster suchen."