Das olympische Feuer ist erloschen, was überdauert die Olympischen Spiele von Tokio?
Begeisterung, Beschämung: Das bleibt von Olympia
Das Wichtigste vorweg: Die Spiele standen im Schatten von Corona, doch die große Welle erhob sich nicht. 29 Sportlerinnen und Sportler infizierten sich nachweislich, schwere Krankheitsfälle blieben aus. Ärgerlich war die teils menschenunwürdige Isolation. Simon Geschke kann ein Lied davon singen.
Waren es TV-Spiele, Plastik-Spiele? Ja und Nein. Die Zuschauer blieben - anders als bei der Fußball-Europameisterschaft - außen vor. Das war vernünftig. Die Athletinnen und Athleten rückten sich trotzdem ins rechte Licht, da wo sie hingehören, in den Mittelpunkt. Sie jubelten und litten, lachten und weinten, sie gaben den Spielen ihre Seele.
Im Olympiastadion purzelten die Weltrekorde. Wunderbahn. Wunderschuhe. Wundermittel? Eine Vorverurteilung ist fehl am Platz, doch der Zweifel läuft mit. Corona hatte das Doping-Kontrollsystem im Vorfeld ausgehebelt, ein Nachspiel wäre keine Überraschung. Eine kurzfristig aus dem Verkehr gezogene Mitfavoritin über 100 Meter und zweifelhafte Kontakte des Männer-Siegers hinterlassen ein mulmiges Gefühl
Die deutsche Sicht: zehn Mal Gold, Platz neun im Medaillenspiegel - hinter Frankreich und auch den Niederlanden, na ja - und zwei Skandale.
Weitspringerin Malaika Mihambo und Alexander Zverev sind die prominentesten deutschen Olympiasieger. Mihambo erhob sich über allen Druck, Zverev lernte das beflügelnde Gefühl von Teamspirit kennen (Wo Alexander Zverev Boris Becker nun übertrifft - und was fehlt).
Andere erwärmten das Herz. Wie Wasserspringer Martin Wolfram, der sich - aufgelöst in Tränen der Rührung - auch ohne Medaille als Gewinner fühlte. Dabei sein ist alles, das gibt es noch. Zum Glück!
Wir sind Tischtennis
Sportarten begeisterten, die sonst nicht im Rampenlicht stehen. Wir sind plötzlich Tischtennis. Wir sehen uns noch einmal als Kinder mit Mama und Papa an der Platte stehen oder zum Geburtstag beim Rundlauf. Dimitrij Ovtcharov sei Dank!
Wir sind mal nicht Fußball. Die Profiklubs ließen das Team von Stefan Kuntz weitgehend hängen. Den Fußballern und Basketballern fehlten namhafte Spieler, den Handballern die Qualität (Bob Hanning im SPORT1-Interview: Das sagt er zur Kritik an sich und Uwe Gensheimer).
Erstmals seit einem Vierteljahrhundert blieben deutsche Mannschaften ohne Medaille. Ein Trend, keine Lust mehr auf Bälle und Teamsport? Vorsicht! Es ist noch nicht lange her, da führte die Diskussion in die andere Richtung. Die deutsche Jugend würde sich nicht mehr quälen wollen, hieß es.
Auch eine andere Debatte ist Blödsinn. Schwache Männer (nur einmal Gold) und Frauen-Power? Vorzeige-Athletinnen wie Mihambo oder Gold-Ringerin Aline Rotter-Focken können dem weiblichen Nachwuchs einen wichtigen Impuls geben. Doch Geschlechter gegeneinander auszuspielen, führt zu nichts.
DOSB-Krisenmanagement ungenügend
Was wir leider auch sind: Beschämt! Der Rassismus-Eklat um Radsport-Direktor Patrick Moster mit seinem unsäglichen “Kameltreiber”-Ausspruch sorgte ebenso für einen dunklen Fleck wie das Fünfkampf-Drama um Annika Schleu, ihre Trainerin Kim Raisner und das bemitleidenswerte Pferd Saint Boy.
Insbesondere im Fall Moster war die zögerliche Reaktion des Deutschen Olympischen Sportbundes ungenügend. Es ist gut, dass Präsident Alfons Hörmann - der Moster nicht sofort die Abreise nahelegte - bald seinen Hut nimmt.
Dringend nachbessern muss der DOSB bei der Förderung der Athletinnen und Athleten. Wenn sie aus dem Olympia-Rampenlicht verschwinden, bleibt vielen kaum genug Geld, um von ihrem Sport zu leben. Ohne die Deutsche Sporthilfe sähe es noch schlimmer aus. Ein unhaltbarer Zustand. Das Geld, das durch die Leistungssportreform locker gemacht wurde, muss effizienter ankommen.
Für Tokio und Japan gilt: Beim Kassensturz wird das böse Erwachen kommen. Keine Zuschauereinnahmen, keine Touristen - es bleiben Ausgaben in Milliardenhöhe. Und das alles für Olympische Spiele, die die Bewohner selbst nicht hautnah erleben konnten.
Es drohen frostige Spiele in Peking
Die nächsten Olympischen Winterspiele stehen schon in einem halben Jahr an, in Peking. Man braucht kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass es frostig wird. Die Pandemie wird bis dahin nicht verschwunden sein, China sich nicht zum Verfechter für Menschenrechte aufschwingen.
Dem Internationalen Olympischen Komitee ist das bekanntlich ziemlich egal. Also werden es wieder die Sportlerinnen und Sportler richten müssen. Mit ihrer Begeisterung, mit ihren Emotionen. So wie in Tokio.