Tadej Pogacar kämpfte sich mit erschrockener Miene ins Ziel von Toulouse und widmete sich schnell der Versorgung seiner Schürfwunden. Ausgerechnet am Tag vor dem ersten Showdown in den Pyrenäen musste der Topfavorit eine heftige Schrecksekunde verarbeiten.
Tour de France: Das wahre Ausmaß des Problems ist noch nicht abzusehen
Ein Handicap mit Folgen?
„Ich fühle mich ganz okay, aber schon ein bisschen durch“, sagte Pogacar nach seinem späten Sturz auf der wilden elften Etappe der Tour de France. Aus sportlicher Sicht blieb der Unfall zunächst folgenlos - aber die Frage, ob das so bleibt, wird den Top-Favoriten noch eine Weile begleiten.
Tour de France: Pogacar bei Sturz mit Glück im Unglück
Rund fünf Kilometer vor dem Ziel war der Weltmeister auf bittere Weise zu Fall gekommen. Mit nur einer Hand am Lenker hängte sich Pogacar am Rad seines Vordermannes Tobias Johannessen auf, der ihn aber von der Seite geschnitten hatte. „Wir waren am Limit und ein Fahrer hat entschieden, von links nach rechts zu ziehen, er hat mich nicht gesehen und komplett geschnitten“, kritisierte Pogacar.
Er habe „glücklicherweise keine ernsthaften Verletzungen erlitten. Keine Gehirnerschütterung oder Knochenbrüche“, sagte Adrian Rotunno, Teamarzt von UAE Emirates-XRG: „Er hat einige allgemeine Prellungen und Abschürfungen am linken Unterarm und an der Hüfte, ist aber ansonsten in Ordnung.“ Pogacar könne das Rennen aus medizinischer Sicht fortsetzen.
Pogacar rappelte sich nach dem Sturz hoch und nahm schnell die Verfolgung wieder auf. Anschließend profitierte der 26-Jährige vom Sportsgeist seiner Kontrahenten. Jonas Vingegaard und die anderen Topfahrer drosselten das Tempo, weshalb Pogacar beim Tagessieg des Norwegers Jonas Abrahamsen letztlich keine Zeit verlor.
„Danke an das Peloton, das gewartet hat. Großen Respekt an alle“, sagte der Slowene, während Johannessen um Entschuldigung bat. „Es tut mir schrecklich leid, was passiert ist. Ich hoffe es geht ihm so gut, wie es einem nach solch einem Sturz gehen kann“, schrieb der Norweger auf der Plattform X.
Hat sich damit für Pogacar alles in Wohlgefallen aufgelöst? Sicher ist sich da nicht jeder.
„Das wirft einige Fragen auf“
„Er ist ziemlich hart aufgeschlagen“, kommentierte der frühere Tour-Veteran George Hincapie mit Podcast seines einstigen Teamkapitäns Lance Armstrong Pogacars Sturz: „Im Ziel dann auf Adrenalin zu sein und zu sagen ‚Ich bin okay‘ ist das eine. Wie er sich heute Nacht oder morgen früh fühlt, ist das andere. Und genau jetzt kommt die erste richtige Bergetappe: Das wirft einige Fragen auf."
Aus Sicht von Hincapie, Helfer Armstrongs bei dessen sieben später wegen Dopings aberkannten Tour-Siegen, kann im Kampf um das Gelbe Trikot jede Kleinigkeit entscheidend sein, die einen Fahrer davon abhält, sein volles Potenzial auszuschöpfen.
Und schon der Verlust von Top-Kletterer Joao Almeida war in dieser Hinsicht ein Rückschlag für den Tour-Champion von 2020, 2021 und 2024.
Attackiert Vingegaard beim ersten Pyrenäen-Showdown?
Aktuell hat Pogacar 1:17 Minuten Vorsprung vor seinem großen Rivalen Vingegaard - und liegt 29 Sekunden hinter dem irischen Überraschungsmann Ben Healy in Gelb, der am Donnerstag zurückfallen dürfte.
Dann beginnt die entscheidende Tourphase mit der ersten von drei Pyrenäen-Etappen inklusive der harten Bergankunft in Hautacam. Und dass Pogacar ausgerechnet jetzt mit einem Sturz-Handicap in die Schlüsseletappe geht, beunruhigt auch ihn: „Mal sehen, wie ich mich erhole. Normalerweise ist man am Tag nach einem Sturz nie in Bestform.“
Ob Vingegaard schon auf den 180,6 Kilometern mit insgesamt vier kategorisierten Anstiegen und dem Start in Auch versucht, den Slowenen zu attackieren? Denkbar, die längeren Anstiege liegen ihm bekanntermaßen. 2022 triumphierte er am „Berg der Dänen“.
Der Kampf um den Tour-Triumph bleibt hochspannend.
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Mit Sport-Informations-Dienst (SID)