Menschliche Motive sind nicht immer schwer zu verstehen. Ein hohes monetäres, beinah irreal erscheinendes Vertragsangebot würden die meisten annehmen; egal wie vehement sie es zuvor abstreiten.
Enzo Millot: Und alles nur für Geld?
Und alles nur für Geld?
Manchmal gibt es aber Zwischentöne, die sich zu untersuchen lohnen. So zum Beispiel bei Enzo Millot, dessen Wechsel zu Al-Ahli nach Saudi-Arabien seit Samstag perfekt ist. Die Frage, die sich daraus ergibt, ja geradezu aufdrängt, ist ganz einfach und für die meisten Personen auch leicht beantwortet: Warum geht ein 23 Jahre junger hoffnungsvoller Bundesliga-Profi, der auch anderswo spielen könnte – vor Al-Ahli war vor allem Atlético Madrid die wahrscheinlichste Wechseloption –, in die Wüste? Die – dem Namen und dem Vorurteil nach – eben eine fußballerische Wüste ist, zumindest wird das volkstümlich so behauptet.
Ist es also Geld? Geht es also auch diesmal nur ums Geld? Ja und nein. Für Millot, der seit 2021 beim VfB Stuttgart spielt und großen Anteil am Pokalsieg in diesem Jahr und an der Vizemeisterschaft 2024 hatte, ist die Frage nach einem Transfer ins exotisch erscheinende Saudi-Arabien keine moralische; denn moralisch ist sie nur für die, die ihn bewerten.
Lothar Matthäus beispielsweise machte bei RTL/ntv deutlich, dass Millots Wechsel nach Saudi-Arabien ein Zeichen dafür sei, dass es „wirklich nur ums Geld geht“.
„Das kann ich nicht nachvollziehen, wenn er ein Fußballer mit ganzem Herzen ist, will er auch gegen die besten Spieler spielen, sich mit den Besten messen“, ergänzte der Rekordnationalspieler.
Die Realität der neuen Fußball-Welt
Für den französischen Offensivakteur, der im Neudeutsch häufig als klassischer „Baller“ bezeichnet wird – also als „Zocker“, jemand, der mit der Kugel umgehen kann und sich dabei eine gewisse Unschuld bewahrt hat –, für den geht es um seine Zukunft, nicht um das Große und Ganze oder eine europäische Idee von Fußball, sondern schlicht um sich: Was mache ich mit meinen begrenzten Fußballjahren, wo will ich sein, wo bin ich erwünscht?
Es ist dabei kein Geheimnis, dass die Saudis – auch und vor allem neben dem Geld – große Versprechungen machen. Ein Land im Wachstum, mit großen Projekten, siehe „The Line“, eine im Bau befindliche Stadt, die sich wie an der Schnur gezogen über 170 Kilometer von Akaba am Roten Meer bis nahe der Stadt Tabuk erstrecken soll.
Aus europäischer Sicht klingt das nach Wahnsinn, aber es ist die Realität dieser Welt, in der alle leben, eines anderen Teils dieser Welt, der neben Geld auch Vision anbietet.
Millot neben Ronaldo und Co.
So ist es nicht ausgeschlossen, dass auch die Fußballwelt in Saudi-Arabien einen neuen Stellenwert bekommt und – mit Blick auf die WM 2034 – andere Nationen in ihrer Bedeutung überholen wird. Vielleicht nicht morgen oder übermorgen, aber überübermorgen oder den Tag danach.
Für Millot könnte es bedeuten, ein Teil davon zu sein, vielleicht auch kein unerheblicher. Dort misst er sich mit Profis, die auch den Weg von Europa in die Wüste gegangen sind – einige erst spät wie Cristiano Ronaldo, andere sehr früh, wie es jüngst der Fall von Joao Félix gezeigt hat, der ebenfalls erst 25 ist; die Entwicklung zumindest ist unverkennbar.
Millots Ziele
Die Alternative für Millot? In Europa bleiben, vielleicht auf der ganz großen Bühne Champions League spielen und eines Tages für die französische Nationalmannschaft nominiert werden – das hat er mal als Ziel ausgegeben, als er im vergangenen März bei L’Équipe sagte, er wolle bei einem Abschied vom VfB „einen Schritt nach vorne machen“. Ist also Saudi-Arabien dieser Schritt?
Sicher nicht der, an den er damals gedacht hat. Aber danach ist Zeit vergangen – und womöglich war kein Angebot so aussichtsreich, so erfolgversprechend wie das von Al-Ahli, unabhängig vom Geld.
Denn auch ein möglicher Wechsel zu Atlético wäre nicht ohne Risiko gewesen. Siehe Joao Félix, der dort scheiterte und schließlich auf dem dritten oder vierten Bildungsweg in der Wüste landete.