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Lügt die Ski-Welt sich bei diesem Thema in die Tasche?

Dieses Thema spaltet die Ski-Welt

Zur neuen Alpin Saison nimmt der Ski-Weltverband diverse Regeländerungen vor, die der Sicherheit der Athletinnen und Athleten dienen sollen. Nicht alle davon scheinen komplett durchdacht - und so gibt es auch im deutschen Team unterschiedliche Meinungen.
Aufgrund der sich häufenden tragischen Stürze möchte die FIS die Sicherheit im Skisport erhöhen. DSV-Alpindirektor Wolfgang Maier sowie die aktiven Profis um Linus Straßer, Lena Dürr, Emma Aicher und Kira Weidle-Winkelmann beziehen Stellung.
Zur neuen Alpin Saison nimmt der Ski-Weltverband diverse Regeländerungen vor, die der Sicherheit der Athletinnen und Athleten dienen sollen. Nicht alle davon scheinen komplett durchdacht - und so gibt es auch im deutschen Team unterschiedliche Meinungen.

Die neue Alpin-Saison hat gerade erst begonnen, eine alte Debatte aber ist längst wieder entflammt: Wie sicher sind die Athletinnen und Athleten wirklich, vor allem in den Hochgeschwindigkeitsdisziplinen Abfahrt und Super-G?

In den vergangenen Jahren haben sich schwere Stürze und Verletzungen gehäuft, auch unter den Stars der Szene. Namen wie Aleksander Aamodt Kilde, Federica Brignone oder Cyprien Sarrazin stehen sinnbildlich für die Risiken des modernen Ski Alpin - und für die Frage, ob der Sport in seiner heutigen Form zu gefährlich geworden ist.

Neue Sicherheitsregeln im Ski-Weltcup

Der Ski-Weltverband FIS hat auf diese Entwicklungen reagiert und für die Saison 2025/26 neue Sicherheitsvorschriften beschlossen. Bereits seit 2024/25 galt auf Weltcup-Niveau bei Abfahrt und Super-G eine Airbag-Pflicht, die jedoch durch einige Schlupflöcher umgangen werden konnte. Das ist nun vorbei: Ab dieser Saison müssen alle Speed-Athletinnen und -Athleten verpflichtend Airbag-Systeme tragen.

Zudem schreibt die FIS ab sofort das Tragen sogenannter schnitt- bzw. verletzungsresistenter Unterwäsche vor. Diese Regelung gilt zunächst für Level-0- und Level-1-Wettbewerbe, also Weltcups und Kontinentalcups.

Auch bei der Ausrüstung wurde nachjustiert: Starre oder hervorstehende Schienbeinschützer unter den Skischuhen sind künftig verboten. Erlaubt sind nur noch weiche, flexible Polsterungen. Ziel ist es, das Verletzungsrisiko bei Stürzen und Kollisionen zu reduzieren.

FIS-Vorgaben spalten auch deutsches Team

Alpindirektor Wolfgang Maier vom Deutschen Skiverband (DSV) sieht die Änderungen im Gespräch mit SPORT1 kritisch. Aus seiner Sicht sind die Ursachen schwerer Verletzungen an anderer Stelle zu suchen.

„Natürlich ist ein Airbag gut, aber bei wie vielen Verletzungen hat er denn wirklich geholfen?“, fragt sich Maier - und findet, dass die Verantwortlichen sich bei dem Thema etwas in die Tasche lügen: „Man dreht es halt so hin, dass es das ist. Aber was machen wir wirklich? Was ist der Auslöser? Das ist das Material mit der Präparierung der Piste, da gehen wir nicht dran. Das ist nicht das, was den Skisport sicherer macht und dem Läufer wirklich hilft.“

Ganz anders bewertet Romed Baumann, einer der erfahrensten deutschen Speed-Spezialisten, die neuen Maßnahmen. Er begrüßt die Airbag-Pflicht ausdrücklich: „Skifahren ist eine Risiko-Sportart. Ich finde es positiv, dass die FIS in die Richtung etwas unternimmt.“

Auch Slalom-Spezialist Linus Straßer befürwortet strengere Sicherheitsstandards. Nach dem tragischen Tod des italienischen Abfahrers Matteo Franzoso im Training erinnert er daran, wie riskant der Sport weiterhin ist.

Linus Straßer warnt: Ein Restrisiko bleibt immer

„Es ist gut, dass man sich über Sicherheit Gedanken macht. Man darf aber nicht vergessen: Es gibt Situationen, die kannst du nicht verhindern. Du wirst es nie komplett aus der Welt schaffen können“, sagt Straßer bei SPORT1 und spricht sich klar für verpflichtende Schutzmaßnahmen aus.

Kira Weidle, Deutschlands erfolgreichste Speed-Fahrerin der letzten Jahre, teilt diese Haltung. Sie sieht in den neuen Vorschriften einen notwendigen Schritt, um das Verletzungsrisiko zu senken, auch wenn die Maßnahmen das Material-Setup der Profis verändern werden.

Lena Dürr betont als erfahrene Slalomfahrerin ebenfalls die Wichtigkeit verschärfter Sicherheitsstandards im alpinen Rennsport: „Ich versuche selbst, möglichst viel Sicherheit zu schaffen und mein Umfeld auch dazu zu animieren, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die vernünftig für uns Sportler sind. Mehr können wir dann auch nicht machen.“

Noch riskanter geht es im Skicross zu: Durch das Nebeneinanderfahren entstehen zusätzliche Gefahren, viele Athletinnen und Athleten sind deshalb dort bereits freiwillig mit denselben Sicherheitsmaßnahmen unterwegs, die im alpinen Rennsport jetzt erst verpflichtend werden.

„Bei uns fahren viele mit Airbag“, berichtet Skicrosserin Daniela Maier, die klare Verfechterin der Regelungen ist: „Es kommt immer mehr.“

Verbot von Carbonschienen wirkungslos?

Verstärkt zum Einsatz kamen in den vergangenen Jahren auch sogenannte Carbonschienen (Carbonsohlen bzw. Schienbeinschützer), die viele Athletinnen und Athleten nutzten, um Druckstellen und Vibrationen zu reduzieren. Jetzt hat die FIS diese untersagt, weil sie angeblich die Verletzungsgefahr bei Stürzen erhöhen - was nun zu hitzigen Diskussionen führt.

Luis Vogt kritisiert die Entscheidung im Gespräch mit SPORT1 deutlich und erklärt, dass er aufgrund seiner langen Hebel und der Bedingungen im Skiweltcup eine Variante der Schienen gefahren sei, aber „nicht ausschließlich aus Performance-Gründen“. Die Schienen „ermöglichen uns das schmerzfreie Fahren. Das wird uns jetzt weggenommen.“

Auch Straßer hält das Verbot für wenig effektiv: „Wenn ich sehe, wie es in der Praxis umgesetzt wird, ist es hinfällig. Es gibt keine wirkliche Definierung der Regularien, was man fahren darf und wie man es fahren darf. Letztendlich fährt jetzt jeder wieder eine Carbonschiene, halt nur versteckt in den Socken. Jetzt kleben die Leute die Carbonschienen rein, das ist der gleiche Effekt.“

Auch Olympia 2026 betroffen

Kritiker sehen ein typisches Beispiel dafür, wie schwer es ist, Sicherheitsvorschriften konsequent umzusetzen, ohne die Athletinnen und Athleten in ihrer Materialfreiheit zu stark einzuschränken. Ob die neuen Regelungen tatsächlich zu mehr Sicherheit führen, wird sich ohnehin erst im Laufe der Saison zeigen.

Die FIS hat angekündigt, die Auswirkungen genau zu beobachten und gegebenenfalls nachzubessern. Auch bei den kommenden Olympischen Winterspielen müssen die Athletinnen und Athleten die neuen Vorgaben einhalten, eine Bewährungsprobe für das gesamte Sicherheitskonzept.

Eines aber ist schon jetzt klar: Der Sicherheitsstreit im Ski Alpin wird die Szene weiter beschäftigen. Zwischen Technik, Mut und Material bleibt auch weiterhin nur ein schmaler Grat.