Es war ein ungewohnter Anblick für WWE-Fans - aber offenbar völlig beabsichtigt.
WWE offenbart mit Blut-Schocker um Brock Lesnar bei Backlash Doppelmoral
WWE-Schocker offenbart Doppelmoral
Die blutigen Schockszenen um Brock Lesnar am Ende der Großveranstaltung Backlash am Samstag waren, wie inzwischen mehrere gut informierte Medien berichten, genauso geplant gewesen und kein Unfall. (NEWS: Alle Neuigkeiten rund um WWE)
Es ist eine Meldung, die nicht ohne Brisanz ist, denn WWE unterlief mit der Inszenierung die eigenen Jugendschutzregeln - und tat dabei das, was Repräsentanten der Liga dem Konkurrenzunternehmen AEW in den vergangenen Jahren mehrfach öffentlich vorgeworfen hatten.
Und nicht zum ersten Mal war Lesnar derjenige, der tun durfte, was andere nicht tun dürfen.
Brock Lesnar bringt sich bei WWE Backlash selbst zum Bluten
Lesnar zog sich am Ende seines Showfights mit Cody Rhodes im puertoricanischen San Juan eine heftig blutende Platzwunde am Kopf zu, als er in die Ringecke sprang - von der Rhodes zuvor das Polster entfernt und damit den Metallhaken freigelegt hatte, der die Seilkonstruktion verbindet.
Der frühere UFC-Schwergewichtschampion rammte gezielt seinen eigenen Kopf dorthin, um sich zum Bluten zu bringen und den Kampf - die zweite Hauptattraktion des Abends neben dem Match von Rap-Megastar Bad Bunny - damit dramatischer aussehen zu lassen. Dies berichten Fightful und der Wrestling Observer unter Berufung auf Backstage-Quellen und bestätigen damit den Eindruck, den die meisten erfahrenen Beobachter hatten.
Keiner der Beteiligten (Kämpfer, Ringrichter, Kommentatoren, Regie) wirkte aus dem Konzept gebracht von Lesnars Blutung. Ganz im Gegensatz zu der Szenerie nach der ungeplanten Horror-Wunde von Finn Balor im Match gegen Edge bei WrestleMania vor einem Monat, als der Kampf unterbrochen wurde, die Kamera wegschwenkte und die minutenlange Versorgung von Balors Blutung die zeitlichen Abläufe der gesamten Show durcheinandergebracht hatten.
Bei Backlash wurden die üblichen Zensur-Maßnahmen - etwa, dass auf der offiziellen Homepage nur Schwarz-Weiß-Bilder des blutenden Lesnar gezeigt werden - erst im Nachhinein eingeleitet.
TV-PG und „moderate“ Gewalt: Blut ist bei WWE eigentlich tabu
Der Grund dafür, dass WWE Blut-Unfälle üblicherweise so handhabt: Das Programm der Promotion ist - anders als in früheren Zeiten - als „TV-PG“ gekennzeichnet, als jugendfreundliche, nur für kleine Kinder bedenkliche Sendung, in der Eltern laut den offiziellen Richtlinien nur mit „moderater Gewalt“ zu rechnen hätten.
WWE vermarktete das „TV-PG“-Siegel offensiv, es ist die Geschäftsgrundlage für diverse große Sponsoring- und andere Geschäftsdeals. In jeder offiziellen Pressemitteilung - auch einer nach Backlash versandten, in der die Rekordzahlen der vielgelobten Show gepriesen wurden - steht der Verweis: „Das TV-PG-Programm von WWE wird in mehr als einer Milliarde Fernsehhaushalte weltweit gesehen.“
Die Wahrung des jugendfreundlichen Images war im vergangenen Jahr auch Grund für die Entlassung des früheren Damenchampions Mandy Rose, als ans Licht kam, dass diese auf einem OnlyFans ähnlichen Portal Inhalte anbot, die ins Pornographische drifteten.
Besonders pikant: WWE schoss in den vergangenen Jahren immer wieder gegen Konkurrent AEW, das ein „TV-14″-Rating hat, bei dem Blut nicht tabu ist.
Bei Konkurrent AEW kritisierte WWE „blutige Selbstverstümmelung“
Bei einer Investorenkonferenz im Sommer 2019 attackierte WWE-Gründer Vince McMahon deswegen den amerikanischen AEW-Heimatsender TNT: Er könne sich nicht vorstellen, dass der Sender aus dem Medienimperium Warner Brothers Discovery dauerhaft zulasse, dass bei AEW weiterhin „Blut und Eingeweide und solche Dinge“ (“blood and guts and gory things like that“) gezeigt würden.
Anfang 2022 erneuerte WWE die Kritik, nachdem bei TNT ein Match ausgestrahlt wurde, in dem sich vier weibliche AEW-Stars (Anna Jay, Tay Melo, Penelope Ford und The Bunny) teils heftig blutende Wunden zufügten.
Wenn man sich „diese blutige Selbstverstümmelung“ ansehe, zitierte der Toronto Star einen WWE-Sprecher, werde schnell klar, dass WWE und AEW in „ganz anderen Branchen“ unterwegs sei: „Wir hatten früher, in der Attitude Era eine kontroverseres Produkt, aber wir glauben nicht, dass so ein gefährlicher und brutaler Anblick in der Welt von 2022 noch attraktiv ist für Fernsehpartner, Sponsoren, Veranstalter, Kinder und die Öffentlichkeit als Ganzes.“
WWE beim Thema Blut schon früher widerspüchlich
Mit Blick auf die scharfe Mitbewerber-Schelte von damals muss sich WWE nun Scheinheiligkeit vorwerfen lassen von Fans und Experten, die die Vorgeschichte kennen - nicht zum ersten Mal.
Schon in der Vergangenheit offenbarte McMahon bei dem Thema ein sprunghaftes Verhältnis zur Moral: 1996 schickte er Warner-Chef Ted Turner einen im drohenden Ton verfassten Brief, in dem er die beim früheren, von Turner finanzierten WWE-Rivalen WCW verbreitete Praxis des „Blading“ geißelte - das Herbeiführen von Blut mit Rasierklingen, die in den Ring geschmuggelt werden und deren Einsatz durch Kameraschnitte kaschiert werden (Andere Hilfsmitteln, zu denen Wrestler greifen, sind Kunstblut-Kapseln oder auch Blutverdünner wie Aspirin).
Schon damals schrieb von McMahon von „Selbstverstümmelung“, die er „ekelhaft, gewalttätig, potenziell infektiös“ nannte und die Hoffnung ausdrückte, dass die Aktionäre des „lieben Ted“ ihn „zur Verantwortung ziehen für diese unethische, potenziell ungesunde Praxis“.
Im Jahr darauf rief McMahon unter dem Druck sinkender Einschaltquoten die besagte Attitude Era aus, in der Blading, Blut und Brutalität an der Tagesordnung waren.
Erinnerungen an Blut-Fiasko gegen Randy Orton 2016 werden wach
Bei der jetzigen Aktion von Lesnar handelte es sich nicht um Blading: Er sprang schlicht bewusst hart mit dem Kopf gegen den Metallhaken, unmittelbar danach war zu sehen, dass er blutete - ohne dass die Regie das Bild wechselte.
Es ist nicht das erste Mal, dass Lesnar für eine Blutshow ohne Hilfsmittel eine Verletzung riskierte. In bleibender Erinnerung ist vor allem der SummerSlam 2016, als Lesnar (auch schon zu PG-Zeiten) Randy Ortons Kopf mit Ellbogenhieben traktierte. Er richtete damit nicht nur - was geplant war - eine gewaltige Blutlache an. Er fügte Orton auch - was nicht geplant war - eine gefährliche Gehirnerschütterung zu.
Auch damals gab es Kritik - und sogar eine Backstage-Prügelei zwischen Lesnar und dem damaligen WWE-Kollegen Chris Jericho, der nicht eingeweiht war, dass Orton in die Aktion eingewilligt hatte (und mit dem Lesnar sich offensichtlich lieber kloppte, als das nachzuholen).
Brock Lesnar: Immer wieder Sonderregeln
WWE hat es nie zugegeben, aber für Lesnar gelten bei dem Thema offensichtlich Sonderregeln, auch in anderen großen Matches gegen John Cena und Roman Reigns gab es Blut-Inszenierungen.
Es ist nicht der einzige Bereich, in dem Lesnar - mit angeblich 5 Millionen Dollar Jahresgehalt einer der Topverdiener der Liga - besondere Privilegien genießt: Von besonderer Brisanz ist vor allem, wie WWE kurz vor dem Orton-Match die eigenen Anti-Doping-Regeln verwässerte, als Lesnar bei einem Comeback-Ausflug in die alte Heimat UFC positiv getestet wurde.
WWE bestrafte Lesnar damals nicht, mit der waghalsigen Begründung, dass für Lesnar als Teilzeit-Performer andere Regeln gelten würden als für Vollzeit-Wrestler: Die „Wellness Policy“ sei zum Schutz von deren Gesundheit da, „nicht zum Schutz der Integrität eines athletischen Wettbewerbs“, Lesnar brauche sich da also an keine Vorschriften halten.
Im Vergleich zu diesem bemerkenswerten Doping-Freibrief ist die Blut-Posse eine Lappalie. Aber eine, die unterstreicht: Nicht nur für Brock Lesnar - der seine Fehde gegen Rhodes bei RAW am Montag fortsetzte - gelten bei WWE andere Gesetze.