Dieser Tennis-Schlag ist fast so umstritten wie sein aktuell größter Fan, Nick Kyrgios.
Dieser Schlag spaltet die Tennis-Welt
© SPORT1-Montage: Marc Tirl/Getty Images/Imago
Der Aufschlag von unten erfährt angeführt vom Bad Boy der Tennis-Szene in den letzten Monaten ein ungeahntes Comeback - und nicht wenige sehen in dem Schlag sogar ein sinnvolles taktisches Mittel.
Denn speziell auf Sandplätzen warten immer mehr Spieler, inspiriert vom Sandplatzkönig Rafael Nadal, weit hinter der Grundlinie auf den gegnerischen Aufschlag. Deutschlands bester Tennisspieler Alexander Zverev und French-Open-Mitfavorit Dominic Thiem zählen dazu.
Kyrgios überrascht Nadal
Von so weit hinten können die Aufschläge von Ass-Spezialisten wie Kyrgios leichter returniert werden, da der Ball bis dahin etwas an Geschwindigkeit und Höhe verliert. Diesem Problem sah sich Kyrgios in seinem Match im Februar in Acapulco gegenüber.
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Um Nadal beim Return aus dem Konzept zu bringen, packte der 24-Jährige einen Aufschlag von unten aus. Kyrgios spielte ihn ins Aus, doch mit dieser Aktion war er in Nadals Kopf, der fortan bei Returns stets auch mit dieser Variante rechnen musste.
"Das ist definitiv eine Taktik, gerade gegen Rafa. Ich bekam langsam Krämpfe, daher brauchte ich unbedingt einen freien Punkt. Er steht so weit hinter der Grundline. Also dachte ich, dass ein Unterarm-Aufschlag seinen Rhythmus brechen könnte", sagte Kyrgios.
Federer verteidigt Unterarm-Aufschlag
Ob es wirklich daran lang, dass Kyrgios das Match gewann, lässt sich nicht beantworten. Nadal fand die Aktion jedenfalls respektlos und auch auf Social Media bekam Kyrgios viele böse Nachrichten. Dessen Antwort: "Ist es nicht das Ziel, den Ball dahin zu schlagen, wo der andere ihn nicht erreichen kann?"
Sein spezieller Aufschlag löste eine große Debatte aus, bei der Kyrgios überraschend viele Unterstützer fand. Für Rekord-Grand-Slam-Sieger Roger Federer ist es jedenfalls eine gute "Taktik, wenn Leute den Zaun hinten umarmen. Warum also nicht versuchen?"
Andy Murrays Mutter Judy bezeichnete Kyrgios sogar als Genie und drückte ihr Unverständnis aus, warum nicht viel mehr Spieler den Unterarm-Aufschlag als taktische Waffe einsetzen. Für die belgische Spielerin Kirsten Flipkens sollte er so selbstverständlich wie ein Stopball sein.
Als Chang Lendl in den Wahnsinn trieb
Erfunden hat Kyrgios diese regelkonforme Aufschlagvariante nicht. Der populärste Aufschlag von unten jährt sich am 5. Juni zum 30. Mal. Damals griff der von Krämpfen geplagte 17-jährige Michael Chang gegen Ivan Lendl zu dieser Methode. Lendl verlor erst den Punkt, dann die Fassung, und schließlich das Match.
Chang wurde für diesen Geniestreich gefeiert. Zum zehnjährigen "Jubiläum" erinnerte sich Martina Hingis im French-Open-Finale gegen Steffi Graf daran und packte den Schlag ebenfalls aus. Hingis, die zuvor bereits den Unmut der Zuschauer auf sich gezogen hatte, wurde von da an gnadenlos ausgebuht.
Vielleicht war es dieser Reaktion der Zuschauer geschuldet, dass es danach sehr ruhig um den Unterarm-Aufschlag wurde und sich kaum Nachahmer fanden. Doch die erstaunlich vielen positiven Reaktionen auf Kyrgios' Versuch machten offenbar auch anderen Mut.
Sara Errani trieb das Ganze auf die Spitze und servierte beim WTA-Turnier in Bogota in einer Partie sogar 35 Mal von unten - mit Erfolg. Die Italienerin gewann das Match mit 6:2, 6:1. Während Errani bei den Frauen eine Ausnahme ist, häuften sich bei den Herren die Spieler, die diese Variante ausprobierten.
Hanfmann verzichtet aus Angst vor Nadal
Das jüngste Beispiel war nun der Kasache Alexander Bublik, der den Unterarm-Aufschlag gegen den ebenfalls sehr weit hinten stehenden Thiem in seiner Zweitrundenpartie der French Open mehrmals anwandte und in zwei von drei Fällen den Punkt machte.
"Ich denke, es ist eine gute Wahl gegen Spieler wie uns, die weit hinter der Grundlinie stehen. Daran ist nichts falsch. Ich war darauf vorbereitet, daher ist es kein Problem. Spieler wie er oder Kyrgios führen ihn ziemlich gut aus", sagte Thiem nach dem Match.
Der Deutsche Yannick Hanfmann sagte der Süddeutschen Zeitung, dass er überlegt hatte, im Duell gegen Nadal ebenfalls von unten aufzuschlagen. Aus Angst vor der Reaktion der Zuschauer und der von Nadal habe er es jedoch gelassen.
Option für Federer im Gigantenduell?
Einem Landsmann würde das französische Publikum solch eine Aktion sicher verzeihen - doch davon ist keiner mehr im Wettbewerb. Daher gibt es nur noch einen Spieler, der beliebt genug ist, dass ihm diese Aktion als Geniestreich und nicht als Unsportlichkeit ausgelegt werden würde: Roger Federer.
Und wer weiß, vielleicht bekommen die Fans bald einen von unten aufschlagenden Federer geboten. Immerhin kommt es im Halbfinale zum Gigantenduell zwischen dem Schweizer und Nadal.
Berücksichtigt man Federers desaströse Bilanz gegen den Spanier bei den French Open, wäre der Unterarm-Aufschlag zumindest einen Versuch wert.