Eine Viertelstunde nach Schlusspfiff war Emre Can noch vom Kampf gezeichnet.
Die Auferstehung des Emre Can
Der BVB-Profi trat nach dem 2:1-Sieg im Hinspiel des Champions-League-Achtelfinal über Paris Saint-Germain zum Interview vor eine TV-Kamera und sah abgeschafft aus. An seiner Stirn und im akkurat getrimmten Haar klebten drei, vier, fünf Grashalme. Es war ein Bild mit Symbolcharakter.
Can, das nimmermüde Mentalitäts-Monster, dem kein Zweikampf zu viel ist. Can, der selbstbewusste und tonangebende Führungsspieler, der dem BVB so sehr gefehlt hat. "Wir haben extrem gut verteidigt", sagte der 26-Jährige bei DAZN. "Man hat uns immer vorgeworfen, dass wir das nicht können. Ein großes Kompliment an die Mannschaft."
Er selbst, der neue "Aggressive Leader" des BVB, war es, der von seiner Mannschaft zuletzt mehr gefordert hatte. Nach der unnötigen 3:4-Pleite in der Bundesliga gegen Leverkusen vor weniger als zwei Wochen hatte Can den Finger in die Wunde gelegt. So könne man defensiv nicht auftreten. Er forderte überdies, dass die Borussen auch mal dreckiger spielen sollten.
Favre schwärmt in den höchsten Tönen
Eben dieses dreckige Spiel, im positiven Sinne, lernte Emre Can in Italien bei Juventus Turin. Beim 2:1 über PSG zeigte das der 25-malige Nationalspieler eindrucksvoll.
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Der gebürtige Frankfurter dirigierte seine Nebenleute, gab lautstarke Anweisungen, forderte selbst immer wieder den Ball und verteilte das Leder clever. Er zog außerdem Neymar den Zahn, verpasste dem Superstar gleich zu Spielbeginn zunächst einen Pferdekuss und kochte ihn noch in der ersten Halbzeit unter tosendem Applaus der Zuschauer an der Seitenlinie ab. Danach animierte Can das Publikum mit klaren Gesten. Seine Ausstrahlung färbte auch auf die Tribünen ab.
Auch Trainer Lucien Favre, sonst nicht gerade für überschwängliches Lob bekannt, schwärmte von seinem neuen Führungsspieler: "Er korrigiert die Mitspieler, er spricht, er geht voran – das ist sehr, sehr wichtig."
Can und Witsel das neue Herzstück des BVB
Vor dem Anpfiff des Paris-Spiels hatte der BVB die permanente Verpflichtung des zuvor von Juventus Turin ausgeliehenen Profis bis zum 30. Juni 2024 bekannt gegeben. Insgesamt 25 Millionen Euro müssen die Schwarz-Gelben für Can berappen. Der frühere Liverpool-Star zeigte sich glücklich: "Ich freue mich, in Dortmund zu sein. Es ist geil, hier im Stadion zu spielen, es macht einen Riesenspaß. Ich hoffe, dass wir eine sehr erfolgreiche Zeit zusammen haben werden."
Zusammen mit Axel Witsel bildet Can im defensiven Mittelfeld das neue Herzstück des BVB. Die beiden Akteure ergänzen sich prächtig. "Wir haben zuletzt viel über unsere fehlende Balance diskutiert", sagte Witsel. "Diesmal waren wir gut organisiert und richtig aggressiv. Emre und ich verstehen uns sehr gut. Er ist ein richtiger Sechser und ein Leader, das merkt man. Es ist sehr gut, dass wir ihn bei uns haben."
Nicht wenige Fußball-Fans fragten sich am Dienstagabend wieder, ob das wirklich dieser Emre Can ist, der bei Juventus Turin unter Maurizio Sarri keine Chance mehr erhielt. Der sogar für die Champions-League-Gruppenphase aus dem Kader gestrichen wurde. Der den Schritt zum BVB auch deshalb machte, weil er in der Bundesliga die besten Chancen sah, um sich bei Joachim Löw für ein EM-Ticket zu empfehlen.
Hummels: "Emre ist ein Gewinner"
Can, so ist aus seinem Umfeld zu hören, blüht in Dortmund auf, weil er den maximalen Rückhalt der sportlichen Leitung und eine hohe Anerkennung innerhalb der Mannschaft genießt. Der Ex-Bayer hatte auch Angebote von Tottenham und Arsenal, auch Dienstagabend-Gegner Paris hatte Interesse signalisiert.
Can entschied sich aber für den BVB und ist damit mehr als zufrieden: "Es fühlt sich gut an, wieder wichtig zu sein. Das Gefühl hatte ich zuletzt nicht immer."
Bundestrainer Löw war gemeinsam mit Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff im Stadion – der starke Auftritt Cans wird den DFB-Entscheidungsträgern sicher nicht entgangen sein. "Emre gibt uns viel Stabilität", sagte Mats Hummels. "Er ist extrem stark und körperlich voll da. Er geht in die Zweikämpfe und strahlt viel aus. Er ist erst seit wenigen Wochen hier und geht sofort voran. Emre ist ein Gewinner. Er will gewinnen und tut alles dafür."
Mit Blick auf das zweite Mentalitäts-Monster im BVB-Bunde, Doppeltorschütze Erling Haaland, sagt der Weltmeister von 2014: "Es ist gut, dass wir von der Sorte im Winter noch zwei gekauft haben."
Haaland und Can die fehlenden Mosaiksteinchen?
In der Tat könnten die Winter-Verpflichtungen Can und Haaland die letzten fehlenden Mosaiksteinchen für den BVB in dieser Saison sein. Die oftmals zu brave Dortmunder Mannschaft, der ein Mentalitätsproblem nachgesagt wurde, ist um zwei echte Typen reicher.
Bei den letzten fünf Meisterschaften hatte der Pott-Klubs stets solche Typen im Kader. 1995 und 1996 waren es Stefan Reuter und Matthias Sammer, 1996 kam Jürgen Kohler dazu. 2002 hatte der BVB Kohler und Reuter. Bei den Erfolgen 2011 und 2012 waren mit Roman Weidenfeller, Sebastian Kehl und Jakub Blaszczykowski Kicker im Kader, die vorangehen.
Manager Michael Zorc: "Wir haben gegen Paris hervorragend gespielt und vor allem kompakt verteidigt. Wir haben genau das oft eingefordert zuletzt. Der Trainer hat das permanent versucht zu vermitteln. Nur so geht es. Wenn wir erfolgreich sein wollen, dann muss das der Maßstab sein."
Mit Blick auf Bremen sagt Zorc: "Wir haben dort etwas gutzumachen. Wir müssen jetzt in der Bundesliga dranbleiben. Denn das ist am Allerwichtigsten für uns."