Seit 2014 führt in der Formel 1 kein Weg an Mercedes vorbei. Doch das Blatt scheint sich zu werden: Sebastian Vettel gewann in Australien. In Bahrain. Und startet nun auch in China erstmals von der Pole-Position. Bricht jetzt eine neue Ära an? Die von Ferrari?
So viel ist Vettels Dominanz wert
© Getty Images
Ex-Weltmeister Damon Hill sieht das zumindest so. "Weltreiche entstehen und fallen", bemerkte er nach dem Qualifying: "Mercedes hat so lange dominiert, gerade samstags. Doch jetzt stehen auf einmal zwei Ferrari vorne. Das ist ein Wendepunkt." Ausgerechnet in Schanghai, seit Jahren fest in Mercedes-Hand, enttäuschte das Weltmeister-Team wieder.
In der Hybrid-Ära ist Mercedes beim Großen Preis von China ungeschlagen - noch. Vor allem bei so kühlen Bedingungen galt Ferrari als verwundbar. "In Bahrain hatten sie (Mercedes, Anm. d. Red.) Probleme mit überhitzenden Hinterreifen. Also dachten wir alle, dass ihnen das Wetter hier entgegenkommen würde", so Experte Nico Rosberg bei RTL. Es kam anders.
Hamilton und Mercedes fehlen Grip und Top-Speed
"Das Auto war klasse und wurde immer besser", durfte sich Vettel freuen. Er selbst kam noch einen Tick besser damit zurecht als sein ebenfalls formstarker Kollege Kimi Räikkönen (Platz 2 mit 0,087 Sekunden Rückstand).
Weltmeister Lewis Hamilton und Valtteri Bottas fuhren Ferrari nur hinterher. "Mir macht der Zeitunterschied Sorgen, eine halbe Sekunde ist sehr viel", stellte Mercedes-Aufsichtsratsboss Niki Lauda schockiert fest. Bottas ergänzte: "Wir hatten nicht so viel Grip wie Ferrari."
Darüber hinaus auch weniger Top-Speed: Während Hamilton mit 327,4 km/h nur Rang acht der Höchstgeschwindigkeits-Tabelle belegte, hatte sein deutscher WM-Konkurrent 3,7 km/h mehr auf dem Tacho. "Die Ferrari sind auf den Geraden zu schnell", ärgerte sich Hamilton.
Auch Max Verstappen von Red Bull wunderte sich: "Irgendwie haben die wohl auf den Geraden einen Turbo-Knopf gefunden."
Vettel und Räikkönen trotzen im Ferrari dem Wetter
"Ferrari hat in Q3 noch einmal den Motor hochgedreht. Das war deutlich anhand der Top-Speed-Werte zu sehen", stellte der englische Sky-Experte Paul di Resta fest: Dieselbe Taktik wandte Mercedes die vergangenen Jahre an: der vielzitierte "Party-Modus"!
Rosberg hatte eine andere Erklärung parat: "Das muss mit den Reifen zusammenhängen. Denn es ist sehr, sehr kalt hier. Es sind seltsame Bedingungen und Ferrari kam damit einfach perfekt zurecht."
Mercedes bekam dagegen die Reifentemperatur, das Wetter und den Wind weniger gut in den Griff. Lauda beschrieb das Dilemma: "Alle frieren hier - und morgen ist es dann warm. Jetzt musst du dir genau überlegen, was du tust."
Es gebe zwei Möglichkeiten: "Wenn du heute auf die Pole-Position fahren willst, dann musst du bei dem kalten Wetter die Reifen richtig heiß kriegen. Wenn es aber morgen wärmer wird - und das wird es - dann hast du im Rennen den Scherbenhaufen. Das Problem ist jetzt also: Wer findet den richtigen Kompromiss?"
Mercedes' Hoffnung: der Reifen-Poker
Eine Andeutung, dass Mercedes sich entschieden hat, in der Quali auf das Renn-Setup zu setzen.
Tatsächlich waren die Reifenprobleme der Silberpfeile nicht zu übersehen. Bottas und Hamilton bremsten bereits beim Aufwärmen so hart, dass die Bremsen stets qualmten. Ein Zeichen für zu niedrige Temperaturen der Vorderreifen, was wiederum zum Untersteuern führt. Hamilton mag das nicht.
Die Hoffnung, die Mercedes bleibt: dass die wärmeren Temperaturen beim Rennen (ab 8.10 Uhr MESZ im LIVETICKER) den Nachteil zum Vorteil machen. "Das könnte alles auf den Kopf stellen", meint Hamilton. Auch Toto Wolff hofft, "dass wir strategisch das Richtige getan haben". Dass sich Ferraris Machtdemonstration doch noch als ein Sonder-Effekt erweist, der sich am Renntag ins Gegenteil verkehrt.
Wenn nicht, stehen die Chancen schlecht, das nächste Ferrari-Ausrufezeichen zu verhindern.
------