Die Woche könnte krasser nicht verlaufen sein. Ich habe einen steifen Hals vom vielen Hin- und Hergucken und vom Kopfschütteln. Auf der einen Seite war da dieser unglaubliche Spitzenfußball. Es ging rauf und runter, von links nach rechts und wieder zurück. Einfach wunderbar. (DATEN: Die Tabelle der Bundesliga)
Hertha wie Tüte abgelaufener Milch
Champions League, Real Madrid, FC Bayern, Modric, Lewandowski, Benzema, Coman.
Und am anderen Ende der Skala: Hertha BSC.
Hertha spielt gegen den Abstieg
Ich habe oben übrigens extra einen neuen Absatz begonnen, weil ich nicht wollte, dass „Hertha BSC“ in derselben Zeile steht wie „Bayern“, „Benzema“ und „Champions League“.
Um die Berliner, die morgen in Mönchengladbach (Bundesliga: Borussia Mönchengladbach - Hertha BSC, Sa., ab 18.30 Uhr im LIVETICKER) gegen den Abstieg in die zweite Liga ankämpfen, gab‘s wieder nur Ärger. Also zurückhaltend formuliert. Hier ein paar echte Wörter, aus Schlagzeilen gefischt: Schlammschlacht, Flop, Riesen-Zoff, Donner, Rücktritt.
Manchmal frage ich mich, ob dem HSV in der Vergangenheit Unrecht widerfahren ist. Die Hertha, Tabellen-16., unterbietet nämlich alles, was in den letzten Jahren in Hamburg abgelaufen ist, fast im Wochenrhythmus, seit Lars Windhorst kam, Jürgen Klinsmann ging und erste Tagebücher geschrieben wurden.
Allein diese Woche trat Sportdirektor Arne Friedrich zurück, stoppte Investor Windhorst eine Doku, sorgten Pressemitteilungen für Furore. Habe ich was vergessen?
Hertha-Investition ein Fehler?
Ach, Trainer Tayfun Korkut brüllte außerdem seine Mannschaft im Training an, während TV-Kameras liefen. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der Bundesliga)
Kann ja passieren. Also abgesehen davon, dass es nie passiert.
Ich verstehe natürlich, dass einem Investor da der Kragen platzen kann. Windhorst sitzt unter der Woche mit leuchtenden Augen im Wohnzimmer und sieht diese großartigen Superklubs um Europas Krone kämpfen. Ist doch klar, dass man da auch mal mitsteuern will.
Blöd nur, dass sich Windhorst für Hertha entschieden hat. Hertha ist Tipp-Kick, und alle anderen spielen Playstation 5. Insgesamt 375 Millionen Euro hat er in den Klub investiert, und die Dividende ist Ärger, Angst und Abstiegskampf.
Es ist, als würde ich mit einem Hunderter bei Edeka reinspazieren und mit einer Tüte abgelaufener Milch wieder rauskommen.
Windhorst stoppt Doku
Der Tiefpunkt war aber die Hertha-Doku. Windhorst-Sprecher Andreas Fritzenkötter sagte diese Woche: „Wir haben das Projekt gestoppt, weil es weder den abgesprochenen Vorstellungen noch professionellen Ansprüchen entsprach. Beispiel: In dem Video-Material äußert sich ein hochrangiges Mitglied der Hertha-Geschäftsleitung vor laufender Kamera in ehrabschneidender und herablassender Weise über Herrn Windhorst als Investor. Für so eine Dokumentation absolut unbrauchbar.“
Irgendjemand hatte wohl vergessen, ihm und Windhorst vor Beginn der Dreharbeiten zu sagen, was eine Doku ist.
Dann mach ich es eben: Eine Doku ist kein Werbefilm. Es geht um die Wahrheit. Eine Doku stoppen, weil darin harte Kritik geäußert wird, ist, als würde ich einen Verteidiger feuern, weil er dauernd Tore verhindert.
Egal. Sie ist jetzt gestoppt, die Doku. Sie wäre bestimmt eine Sensation geworden. Ich fühle es. Ich befürchte, da ist ein Projekt mit großem Potential in die Tonne gekloppt und viel Geld verpulvert worden. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)
Hertha eben.
Alex Steudel ist freier Journalist in Hamburg. Er war Bayern- und Nationalmannschaftsreporter und Chefredakteur von Sport-Bild. Heute widmet er sich in seiner Kolumne für SPORT1 auf nicht immer ganz ernstgemeinte Weise aktuellen Fußball-Themen. Die besten Steudel-Texte gibt‘s auch als Buch: Infos und Bestellung hier.