Es soll also die Rheinbrücke auf der Autobahn A1 gewesen sein, die rund eine Stunde vor Spielbeginn des Bundesliga-Knallers Borussia Dortmund gegen Bayer Leverkusen für so viel Aufregung sorgte: Auf ihren Social-Media-Kanälen postete die Werkself eine Aufstellung mit Florian Wirtz und Exequiel Palacios, löschte diese allerdings wenige Augenblicke später wieder und lud eine neue hoch. Aber Wirtz und Palacios? Die standen plötzlich nicht mehr in der Startelf, sondern waren nur noch als Einwechselspieler gelistet.
Chance genutzt
Gerüchte über interne Verfehlungen machten die Runde und hielten sich lange, bis Trainer Xabi Alonso erst kurz vor Mitternacht auf der Pressekonferenz aufklärte. „Es war keine Disziplinlosigkeit. Es gab heute Morgen eine Situation: Flo und Pala standen im Stau an der A1-Brücke. Die klassische Brücke in Köln, die so viele Probleme macht“, sagte der Spanier zu seinen in der Domstadt wohnenden Spielern. Seit Freitagmorgen war die Autobahn in beiden Fahrtrichtungen komplett gesperrt. Herunterfallendes Eis von den Brückenpfeilern hatte zuvor für kleinere Unfälle gesorgt.

Die Pechvögel Wirtz und Palacios verpassten deswegen sowohl das abschließende Training als auch das Team-Meeting, beide hätten „die gewohnten Abläufe nicht mehr mitgemacht“ und seien „direkt nach Dortmund gekommen“, meinte Alonso, der keinen Spieler einsetzen wollte, den er nicht vorher taktisch genau instruiert hatte. Die logische Folge: Statt Palacios und Wirtz spielten plötzlich Robert Andrich und Nathan Tella von Anfang an - sozusagen die großen Profiteure der Probleme-Brücke, die seit 2017 neu gebaut wird und den Pendlern seitdem immer wieder die Nerven raubt. Sozusagen der Startschuss für eine der Geschichten dieses besonderen Abends.
Tella trifft nach 25 Sekunden
Denn als Schiedsrichter Tobias Stieler die Partie gerade angepfiffen hatte und viele noch darüber philosophierten, wie die Leverkusener den Verzicht von Wirtz auf dem Rasen auf kompensieren würden, erstickte Tella all diese Diskussionen auch schon wieder im Keim. Bayer setzte die Not-Abwehr des BVB sofort unter Druck, sodass Yan Couto den Ball nur unzureichend klären konnte - und dann ging es ratz-fatz: Edmond Tapsoba fing die Kugel ab, Andrich verlängerte per Kopf auf Tella und der Stürmer donnerte den Ball von der Strafraumgrenze humorlos ins linke Eck.
Ausgerechnet Tella. Derjenige, der eigentlich auf der Bank sitzen sollte und letztlich nur wegen der vereisten Brückenpfeiler mitwirken durfte. Ganze 25 Sekunden waren absolviert, als der Ball hinter Dortmunds Keeper Gregor Kobel einschlug. Exakt drei Ballkontakte hatte die Werkself zu diesem Zeitpunkt verbucht. „Ich glaube, ich habe schon mal ein Tor unter einer Minute geschossen“, schmunzelte Tella nach der Begegnung und fügte noch hinzu: „Das war bei Burnley (seinem vorherigen Verein; Anm. d. Red.), ähnlich wie heute. Aber das hier werde ich länger in Erinnerung behalten.“
Kein Wunder: Leitete Tella doch Leverkusens mittlerweile neunten Pflichtspielsieg hintereinander ein, weshalb der Double-Sieger in der Bundesliga Kontakt zum FC Bayern hält. Zudem ein Erfolg in Dortmund. Kein anderer Klub gewann dort in dieser Saison, generell hatten die Schwarz-Gelben 21 Jahre lang nicht mehr freitagabends verloren. Auch nach seinem Blitz-Treffer trug Tella viel dazu bei, dass diese Serie reißen sollte. Er agierte unermüdlich in seinem Anlaufverhalten, arbeitete auch extrem fleißig in der Defensive und fiel vorne immer wieder durch eine gute Lösungsfindung auf.
Im Oktober: Tella äußerte seine Unzufriedenheit
Für den 25-Jährigen dürfte das Balsam auf die in den letzten Monaten geschundene Seele sein. Denn Tella hatte im Oktober keinen Hehl daraus gemacht, dass er mit seinem Standing unzufrieden ist. „Das ist frustrierend, da bin ich ehrlich“, sagte er: „Ich habe mit dem Trainer gesprochen und er hat mir gesagt, dass ich geduldig bleiben soll und meine Chancen bekommen werde.“ Nur 224 Einsatzminuten in allen drei Wettbewerben hatte Tella zu diesem Zeitpunkt auf dem Konto. Natürlich zu wenig für einen Mann, der im Sommer 2023 für etwas mehr als 23 Millionen Euro aus Southampton nach Deutschland gewechselt war.
Doch kurz vor Weihnachten öffnete sich für ihn durch die dünne Personaldecke dann die Tür. Torjäger Patrik Schick, Victor Boniface, Martin Terrier, Amine Adli und Jonas Hofmann fielen zwischendurch alle aus, so rückte Tella für die vier Partien vor dem Jahreswechsel in die erste Elf. „Als er nicht gespielt hat, hat er nicht aufgegeben. Er hat gezeigt: Coach, ich bin hier“, lobte ihn Alonso und ergänzte: „Egal, ob er auf dem Platz oder auf der Bank startet. Bayer braucht Spieler mit dieser Mentalität und Persönlichkeit“. Mit einem Tor konnte er sich zuvor für seine Leistungen allerdings noch nicht belohnen. Das gelang ihm erst in Dortmund.
Rolfes lobt Bayer-Star
„Nathan hat sich zuletzt deutlich verbessert. Am Anfang hatte er es schwer, weil es noch keine englischen Wochen gab und wenig rotiert wurde - da ist es ganz normal, dass der eine oder andere mal ein bisschen enttäuscht ist. Bei ihm war das nicht anders“, schilderte Geschäftsführer Simon Rolfes bei SPORT1: „Jetzt hat er sich reingearbeitet und gezeigt, wie wichtig er ist. Er ist ein ganz toller Teamplayer, gibt alles für die Mannschaft und ist immer für alle da. Umso mehr freue ich mich für ihn.“
Dass Tella für Wirtz starten würde, erfuhren er und seine Mitspieler übrigens erst kurz vor dem Spiel in der finalen Besprechung, wie Kapitän Lukas Hradecky verriet. Ein Glück für die Werkself, dass der nigerianische Nationalspieler als Schnellstarter und Mann für Top-Spiele bekannt ist - nicht nur wegen seines Treffers nach 25 Sekunden beim BVB. Schon beim Pokal-Erfolg gegen den FC Bayern im Dezember musste Tella unerwartet für den verletzten Schick rein und erzielte wenige Minuten später das goldene Tor des Tages.