Weihnachten ist zwar noch einige Tage entfernt, dennoch dürfte die Stimmung bei Robert Andrich schon ziemlich besinnlich sein. Ein Jahr voller sportlicher Höhen und Tiefen, Wendungen und zwischenzeitlicher Krisen endet für ihn aller Voraussicht nach mit einem Höhenflug. Denn der 31-Jährige setzte seinem jüngsten Aufschwung bei Bayer Leverkusen am Samstag vorläufig die Krone auf. Im prestigeträchtigen Derby gegen den 1. FC Köln spielte er erneut bärenstark.
Bayer Leverkusen: Er ist endlich wieder unverzichtbar
Die etwas andere Wiederauferstehung
Defensiv als zentraler Abwehrmann nur seltsam in die Bredouille gebracht, kurbelte er die Angriffe der Werkself ein ums andere Mal an und wurde nach Standards erst selbst gefährlich, später auch noch erfolgreich.Im ersten Durchgang ließ Andrich eine hervorragende Kopfballchance nach einer Ecke etwas kläglich aus. Weitaus besser machte er es beim vorentscheidenden 2:0, als er aus rund fünf Metern entschlossen einnickte und damit seinen würdigen Auftritt als vorangehender Kapitän veredelte.
Leverkusen: Andrich hat ein turbulentes Jahr erlebt
Für Andrich war es gleichzeitig sein erstes Tor im Kalenderjahr 2025. Und eines, das symbolisch für das Ende eines ganzen Karriereabschnitts hätte stehen können, in dem es teils drunter und drüber ging und in dem eine Formkrise immer wieder harsche Kritik an seiner Person hervorrief. Ein Jahr, in dem längst nicht alles glatt lief. „Das sind Phasen, die ich durchleben musste“, blickte er nach dem Sieg gegen Köln darauf aber schon wieder mit einer gewissen Gelassenheit zurück und lächelte: „Jetzt habe ich alles im Fußball mitgemacht.“
Wohl wahr. Allein in den vergangenen zwölf Monaten kam vieles zusammen. Als wichtiges Puzzleteil des formidablen Double-Jahres verlor Andrich in der darauffolgenden Saison seinen Stammplatz. Grundsätzlich fühlte er sich in Leverkusen weiterhin heimisch, wie er stets betonte. Trotzdem wollte er sich wegen der unklaren sportlichen Perspektive lange nicht festlegen, was einen Verbleib über den Sommer 2025 hinaus betraf. Dann wendete sich die Lage allerdings komplett.
Andrich: Vom Wechselkandidaten zum Kapitän
Xabi Alonso verließ den Klub, zahlreiche Schlüsselspieler auch: Etwa Lukas Hradecky, Granit Xhaka, Jonathan Tah oder Florian Wirtz. So musste Ex-Trainer Erik ten Hag neue Führungsspieler casten und landete schnell bei Andrich. Weil er sich im Training am meisten hervortat und stets voran ging, wurde er letztlich sogar zum neuen Kapitän ernannt. Innerhalb weniger Wochen vom Bankdrücker und Wechselkandidaten zum Spielführer eines Champions-League-Teams? Klang kurios. War aber die Realität.
Doch die schwierigen Monate waren nicht vorüber. Im Gegenteil: Andrich erlebte mitten im unruhigen Umbruch einen echten Fehlstart in die Saison. Mehrfach enttäuschte er sportlich, hinzu kamen zwei völlig unnötige Platzverweise. Für viele Fans entwickelte er so zu einer Reizfigur. In den sozialen Medien prasselte Kritik ein und immer wieder wurde ihm abgesprochen, die Fähigkeit zu besitzen, Leverkusen als Kapitän anführen zu können. Sein Stammplatz ging verloren und auch in der Nationalmannschaft wurde es kompliziert. Bundestrainer Julian Nagelsmann nominierte ihn zuletzt erstmals seit Herbst 2023 nicht.
Erstaunlich offen sprach Andrich darüber, dass die erste Phase dieser Spielzeit für ihn schwierig verlief. Die Kapitäns-Geschichte und „dieses ganze Mediale“ habe ihn rückblickend viel zu sehr beschäftigt: „Kapitänsbinde hier, Kapitänsbinde da.“ Als neuer Kapitän wolle man „vielleicht sogar zu viel machen, zu viel Verantwortung übernehmen und das ist manchmal auch nicht gut“, erklärte er. Die „Scheiße am Fußball“ sei jedoch, „dass irgendwie gefühlt alles, was man vorher gemacht hat, auf einmal vorbei ist und alle auf einmal negativ sind“.
Bayer: Andrich blüht in der Abwehr wieder auf
Plötzlich war der Kapitän ein Kapitän ohne Stammplatz, sein großer Traum von der Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2026 rückte in weite Ferne. Umso erstaunlicher ist es, wie Andrich sich nun aus dem eigenen Loch wieder befreit hat – und das auf einer fremden Position: nicht auf der aktuell von Aleix Garcia und Ibrahim Maza besetzten Doppelsechs, sondern zentral in der Abwehrkette. Nach drei starken Leistungen in wichtigen Spielen – im DFB-Pokal in Dortmund (1:0), in der Champions League gegen Newcastle (2:2) und nun im Derby gegen Köln – hat er Loic Badé im Moment den Rang abgelaufen.
Andrich kann inzwischen wieder lachen, die meisten Kritiker sind verstummt. Aus dem Sorgenkind hat sich ein unverzichtbarer Leader entwickelt, den Job des Anführers füllt der Nationalspieler zunehmend besser aus. Dass er einen „super Monat“ hingelegt habe, hob Trainer Kasper Hjulmand am Samstag hervor: „Er zeigt, dass er ein Führungsspieler ist.“ Andrich wiederum schöpft jetzt neue Hoffnung, sich über weitere gute Spiele in Leverkusen auch im DFB-Team zurückzukämpfen. Sozusagen zu alter Stärke auf neuer Position zu kommen und die etwas andere Wiederauferstehung zu schaffen.
Mit dem Bundestrainer habe er sich noch nicht ausgetauscht, da er „erstmal selber wieder in meinen Rhythmus kommen“ wollte. Nagelsmann sei es aber wichtig, dass er „am besten Woche für Woche auf dem Platz stehe“, sagte Andrich und fügte mit Blick auf die WM hinzu: „Dann wird man sehen, auf welcher Position und in welcher Form ich hoffentlich dabei sein werde.“ Sein Jahr war von vielen Wendungen geprägt. Doch die für ihn Wichtigste gab es vielleicht ganz am Ende.