„Es ist eine der größten Fragen der frühen Saison“, schreibt die englische Zeitung Daily Mail: „Wie um alles in der Welt schafft Bournemouth das?“
"Nichts weniger als ein Wunder": Ein kleiner Fisch ärgert Englands Top-Teams
„Nichts weniger als ein Wunder“
Der Klub von der Südküste Englands steht aktuell auf Rang zwei der Premier League. Die 18 Punkte der Cherries werden in der besten Fußball-Liga der Welt nur vom mächtigen FC Arsenal (25 Punkte) überboten, der ein Spiel mehr absolviert hat.
Zu sagen, dass der AFC Bournemouth im Vergleich mit den Gunners oder anderen Top-Klubs aus England ein kleiner Fisch ist, wäre aber eine riesige Untertreibung. Ein Beispiel dafür: Gerade einmal knapp über 11.000 Zuschauer sehen die Heimspiele der Mannschaft.
Im kleinsten Stadion gibt es den aufregendsten Fußball
Das liegt allerdings nicht an einem Mangel an Interesse. Es passen tatsächlich nicht mehr Menschen ins Vitality Stadium, das somit das kleinste Stadion in Englands Oberhaus ist. Doch nicht nur das: Selbst das kleinste Stadion in der zweitklassigen Championship bietet mehr Plätze.
Dafür bietet die Mannschaft dem kleinen Publikum Woche für Woche eine Show. „Sie spielen den wohl aufregendsten Fußball in der Liga“, schreibt der englische Telegraph über den Spielstil der „Kirschen“ - wie sie wegen ihrer traditionell kirschroten Trikots genannt werden -, deren Leistung umso beeindruckender ist, wenn man sich die Abgangsliste des Sommertransferfensters ansieht.
Bournemouth verkaufte Star-Quartett
Schließlich verließen mit Dean Huijsen (Real Madrid), Ilya Zabarnyi (Paris Saint-Germain) und Milos Kerkez (FC Liverpool) drei der vier Stammkräfte in der Viererkette den Verein. Dazu wechselte auch Flügelstürmer Dango Ouattara (Brentford). Insgesamt 215 Millionen Euro Ablöse spülte das Quartett in die Kassen.
Während ein Ausverkauf in dieser Größenordnung bei anderen Vereinen zu einem Kollaps führen würde, ging der AFC gestärkt aus ihm hervor.
„Keine Panik und Vertrauen in den Plan“, lautet das Erfolgsrezept des Klubs laut Telegraph, der ausführte: „Der Schlüssel liegt wie immer in der Planung und Strategie. Aber auch im Opportunismus.“
Weil meist im Vorhinein allen Beteiligten klar ist, dass Spieler den Klub nur als Sprungbrett nutzen und in der Folge bald wechseln werden, planen die Verantwortlichen weit im Voraus. Während viele Vereine Ausstiegsklauseln bei Spielern vermeiden wollen, gehören sie bei den Cherries zum Erfolgsrezept.
Bournemouth macht aus einer Schwäche eine Stärke
Anders hätte man Supertalente wie Huijsen (kam von Juventus) gar nicht erst verpflichten können. Gleiches gilt für den umworbenen Antoine Semenyo, mit dem man auf dieser Grundlage im vergangenen Sommer verlängerte.
Letzterer liegt in der Torschützenliste der Premier League mit sechs Toren übrigens nur hinter Superstar Erling Haaland und wurde im Sommer aktiv von Manchester United und Tottenham umworben, konnte durch eine Gehaltserhöhung sowie eine Ausstiegsklausel aber gehalten werden.
„Bournemouth ist ohne Schande ein Verkaufsverein. Der Verein wird niemals die Einnahmen von Manchester United oder Manchester City erzielen, daher macht der Verkauf von Spielern ihn wettbewerbsfähig“, heißt es im Telegraph. Weil man das überall im Verein verinnerlicht hat, hat man aus einer vermeintlichen Schwäche einen Vorteil gemacht.
Das Mastermind hinter dem Erfolg
Doch selbst die beste Planung hinter den Kulissen nützt nicht, wenn die Leistung auf dem Platz nicht stimmt. Hier kommt Trainer Andoni Iraola ins Spiel.
„Das Mastermind hinter diesem Erfolg, Andoni Iraola, hat mit dem 16.-höchsten Gehaltsbudget der Premier League in Bournemouth nichts weniger als ein Wunder vollbracht“, schreibt The Guardian.
Bereits in der vergangenen Saison sorgten die Cherries für Aufsehen und kratzten lange an der Qualifikation für das europäische Geschäft, bevor die Mannschaft letztlich die Saison mit 56 Punkten nur auf Platz neun (beides Klub-Rekord) beendete.
Pressing lautet das Geheimrezept
Damals schrieb The Athletic: „Der Erfolg von Bournemouth unter dem Spanier ist eine Geschichte von Anpassungsfähigkeit und einzigartigen Taktiken, die auf dem Platz hervorragend umgesetzt wurden.“
Im Fokus steht dabei das Pressing. „Niemand presst so wie Bournemouth“, konstatierte das Portal. Iraola selbst beschrieb es als „unsere DNA“.
Nachdem seine Mannschaft in der Schlussphase der vergangenen Spielzeit das Ticket für Europa verspielt hatte, betont der Spanier in dieser Saison gebetsmühlenartig, dass ihn die derzeitige Tabelle nicht interessiere.
Niemals zufrieden - Iraola: „Es reicht nicht“
„Die Liga ist so eng beieinander. Es geht um die Leistung und darum, wie wettbewerbsfähig wir sind“, hatte der Spanier nach dem Sieg gegen Nottingham Forest am vergangenen Wochenende noch gesagt - und dann durchaus überrascht: „Achtzehn Punkte sind eine sehr gute Ausbeute …, aber es reicht nicht, wir brauchen so viele wie möglich.“
Weil die Konkurrenz aus Liverpool und Manchester derzeit schwächelt, trauen Experten den Cherries gar den ganz großen Wurf zu. „Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Bournemouth einfach eine große Chance auf die Qualifikation für die Champions League hat“, erklärte Jacob Steinberg, Reporter bei The Guardian.
Seine Kollegin Louise Taylor schlug in dieselbe Kerbe: „Lasst uns Bournemouth nicht vergessen. Nur vier Punkte (vor dem 10. Spieltag; Anm. d. Red.) hinter dem Tabellenführer, ohne Ablenkung durch europäische Wettbewerbe und mit einem hervorragenden Trainer haben sie sich das Recht zu träumen redlich verdient.“
Geträumt wird am Sonntagnachmittag allerdings nicht. Im Duell bei Manchester City stehen die Cherries vor einem Härtetest (17.30 Uhr im LIVETICKER).