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"Geschichten über meinen Bruder": Schumacher teilt gegen Rosberg aus

Schumacher teilt gegen Rosberg aus

Ralf Schumacher spricht im SPORT1-Interview über die abgelaufene Saison in der Formel 1. Dabei lobt er Lando Norris und Max Verstappen. Kritik erntet Lewis Hamilton - und auch zu Nico Rosberg gibt es deutliche Worte.
Pilot Lando Norris ist zum ersten Mal Formel-1-Weltmeister geworden. Dem Briten reichte im McLaren beim Saisonfinale in Abu Dhabi der dritte Platz für den Titel.
Ralf Schumacher spricht im SPORT1-Interview über die abgelaufene Saison in der Formel 1. Dabei lobt er Lando Norris und Max Verstappen. Kritik erntet Lewis Hamilton - und auch zu Nico Rosberg gibt es deutliche Worte.

Die abgelaufene Formel-1-Saison war so spannenden wie schon lange nicht mehr. Erst im letzten Rennen konnte sich Lando Norris zum Weltmeister krönen.

Zu spät, wie F1-Legende Ralf Schumacher im SPORT1-Interview erklärt. Geht es nach ihm, habe sich McLaren fast verzockt. Für Norris freut sich Schumacher trotzdem.

Im Gespräch spricht der 50-Jährige zudem über Max Verstappen und wie sich seine Saison nach dem Abgang von Helmut Marko verändern könnte. Zudem legt er erneut mit Kritik an Lewis Hamilton nach und findet auch für Nico Rosberg deutliche Worte.

Formel 1: Was Schumacher bei Verstappen klarstellt

SPORT1: Herr Schumacher, wo erwischen wir Sie zum Interview zwischen Weihnachten und Silvester?

Ralf Schumacher: Ich bin wie immer um diese Jahreszeit in Südafrika. Ich folge ein bisschen der Sonne und genieße die Formel-1-freie Zeit. Es ist einfach wunderschön hier. Außerdem betreibe ich hier noch ein kleines Hotel, um das ich mich kümmere. Damit mir nicht langweilig wird (lacht).

SPORT1: Kommen wir zur Formel 1, die Sie dieses Jahr als Sky-Experte begleitet haben: Max Verstappen hat den fünften WM-Titel in Folge knapp verpasst. Das bedeutet, dass Ihr Bruder Michael weiter der Einzige bleibt. Spielt das für Sie eine Rolle?

Schumacher: Nein, das ist mir völlig egal. Man kann diese Dinge nicht miteinander vergleichen. Michael war und bleibt der beste Fahrer seiner Zeit. Natürlich geht die Welt weiter, neue Fahrer kommen – das war mir schon bei Lewis Hamilton egal, und das ist es auch bei Max. Mir wurde ja oft Neid unterstellt, gerade von englischer Seite, mit dem Argument, Hamilton hätte theoretisch acht Titel und wäre besser als Michael. Das ist völliger Quatsch. Jeder Fahrer, der so erfolgreich ist wie Hamilton und Verstappen, hat das absolut verdient.

Verstappen? Hat „diese Aura, die Michael auch hatte“

SPORT1: Wie bewerten Sie Verstappens Aufholjagd in dieser Saison?

Schumacher: Man hat klar gesehen, was bei Red Bull passiert ist. Dr. Marko hat es ja selbst angesprochen: Man hat sich zu spät entschieden, Christian Horner nach Hause zu schicken. Dadurch herrschte lange Chaos, bis das Auto wieder so war, dass Max damit gewinnen konnte. Was daraus entstanden ist, ist aber bemerkenswert: eine echte Einheit, vor allem mit Laurent Mekies und dem Ingenieur-Team um Verstappen. Max ist jemand, der aus einem Auto extrem viel herausholen kann – das hat man im Vergleich zu Yuki Tsunoda oder Liam Lawson gesehen. Aber es war trotzdem eine bärenstarke Teamleistung. Und das hat Max verändert. Er hat dieses Add-on bekommen, diese Fähigkeit und diese Aura, die Michael auch hatte: ein Team um sich herum zu vereinen, zu führen, mitzunehmen. Dass die Leute für dich durchs Feuer gehen, das ist entscheidend. Dieses Michael-Gen hat Max nun auch.

SPORT1: Helmut Marko hört nun allerdings auf. Welche Auswirkungen wird das haben?

Schumacher: Alles im Leben hat seine Zeit. Dr. Marko hat diesen Zeitpunkt bewusst gewählt, und dafür gebührt ihm höchster Respekt. Er hätte noch einen Vertrag gehabt – dieser ganze Wirbel in einer bestimmten deutschen Boulevardzeitung war Unsinn. Manchmal sollte man besser recherchieren. Er hätte bleiben können. Aber er hat gesehen, dass die WM knapp verpasst wurde; war vielleicht auch mit sich selbst nicht ganz zufrieden. Und er hat gesehen, was aus Max geworden ist. Diese Rolle an Max’ Seite war einfach nicht mehr so notwendig. Und mit über 80 Jahren ständig um die Welt zu fliegen, das ist auch nicht ohne. Marko hat immer gesagt: Er und Dietrich Mateschitz haben das Team auf kurzem Weg geführt. Wenn man plötzlich in Board-Meetings mit acht Leuten sitzt, ist das eine ganz andere Welt.

McLaren? „Mit beiden Händen aufgebaut und mit dem Hintern alles wieder umgeworfen“

SPORT1: McLaren wurde Konstrukteurs- und Fahrer-Weltmeister. Haben sie Red Bull das Leben zu einfach und sich selbst zu schwer gemacht?

Schumacher: Absolut. Sie haben mit beiden Händen aufgebaut und mit dem Hintern alles wieder umgeworfen. Das war teilweise kritisch. Sie haben zwischendurch ihr Top-Niveau verloren. Ein Rennen waren sie eine Sekunde schneller, im nächsten nur Fünfter oder Sechster. Das war spannend – aber gegen jemanden wie Max, der kaum Schwächen hat und jede Schwäche nutzt, kann man sich das kaum leisten.

SPORT1: Wie bewerten Sie Lando Norris als Weltmeister?

Schumacher: Mich freut besonders, dass jemand Weltmeister geworden ist, der zu seinen Schwächen steht. Das hat ihn viel Kraft gekostet. Wir haben das medial oft thematisiert, gerade seine Qualifying-Fehler. Aber er zeigt: Man muss nicht perfekt sein, um Weltmeister zu werden. Ob er jemals an die Erfolge von Max, Michael oder Lewis anknüpfen kann? Ich glaube nein. Das kostet ihn zu viel Kraft. Es gibt Fahrer, denen fällt das nicht natürlich zu – wie Nico Rosberg. Der hat danach sofort aufgehört. Er hat selbst gesagt, dass er vor dem letzten Start gezittert hat. Ganz ehrlich: Nervös ja, aber gezittert habe ich nie. Das zeigt, wie viel Kraft das kostet.

Rosberg? „Erzählt immer noch Geschichten über meinen Bruder“

SPORT1: Können Sie Rosbergs Aussagen nachvollziehen?

Schumacher: Jeder tickt anders. Dass Nico das heute so offen sagt, ehrt ihn. Es ist nicht meine Sicht auf die Dinge, aber ich bin auch kein Weltmeister geworden. Er wurde Weltmeister gegen einen siebenfachen Champion. Das muss man erst mal schaffen. Trotzdem sieht man, wie er tickt – auch heute noch. Es geht bei ihm immer um Mindgames. Er erzählt immer noch Geschichten über meinen Bruder – von angeblichen Psychospielchen auf Toiletten oder Parkplätzen. Ich kenne Michael. Der war da schon an einem ganz anderen Punkt seiner Karriere. Letztlich hätte Nico einfach Gas geben müssen. Wenn er in Monaco hinter einem Über-40-Jährigen ist, sagt das genug.

SPORT1: Bleiben wir bei den Über-40-Jährigen. Auch Lewis Hamilton hat dieses Alter. Hat diese Saison an seinem Denkmal gerüttelt?

Schumacher: Ja und nein. Die Erwartungen waren riesig. Ich habe viel Kritik bekommen, als ich sagte, er werde nicht um die WM fahren und Zeit brauchen, um mit Leclerc mitzuhalten. Genauso kam es. Es gibt keine Tests mehr. Früher hätten Wintertests geholfen. Hinter den Kulissen hört man aber: Er mag keine Simulatoren. Und er sucht immer noch das Fahrgefühl von früher. Das zeigt mir: Es ist nicht nur das Alter, sondern auch der Kopf. Er ist nicht mehr bereit, sich zu öffnen. Ich kenne das selbst – auf anderem Niveau. Frederic Vasseur (Ferrari-Teamchef; d. Red.) hofft nun, dass er sich nächstes Jahr mehr auf das Paket einlässt. Ich halte die Chance für gering. Das Auto wird nervöser, Leclerc kann damit umgehen, Hamilton braucht Sicherheit im Heck.

Hamilton? „Ein bisschen mehr Selbstreflexion würde ihm dennoch guttun“

SPORT1: Kann man sich nach so vielen Jahren also nicht mehr umstellen?

Schumacher: Hamilton war nie der große Setup-Arbeiter. Das wusste man schon aus der Formel-3-Zeit. Toto Wolff hat bei Mercedes immer gesagt: Die Fahrer fahren, das Team macht das Setup. Das kann man nicht von heute auf morgen ändern. Das ist eine Schwäche. Interessant finde ich seine Aussage, dass ihn nur Leute kritisieren, die nie so erfolgreich waren wie er. Grundsätzlich hat er recht – aber ein bisschen mehr Selbstreflexion würde ihm dennoch guttun.

SPORT1: Der ehemalige Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene kritisiert sowohl Hamilton als auch Vettel für deren technische Dossiers, die sie ans Team geschickt haben. Zu Recht?

Schumacher: Früher haben wir das alle gemacht. Die Simulationen waren nicht so entwickelt. Heute ist das anders. Ob man das jemandem vorhalten sollte, weiß ich nicht. Hamilton hätte es etwas weniger öffentlich machen sollen. Grundsätzlich finde ich: Er und sein Ingenieur sollten mal gemeinsam Urlaub machen. Die Chemie passt nicht. Das ist ein riesiger Nachteil.

SPORT1: Steht Hamilton auch nach dieser Saison noch auf einer Stufe mit Schumacher, Senna, Verstappen?

Schumacher: Die Erfolge sprechen grundsätzlich für ihn. Aber ja: Er hatte ein dominantes Auto, war aber seinen Teamkollegen gegenüber nicht so überlegen. Trotzdem: Ich wäre mit seiner Bilanz mehr als zufrieden. Was mich enttäuscht, ist der Umgang mit seinen Problemen. Dieses Hin-und-Her, dieses Resignieren. Von jemandem mit seinem Status erwarte ich mehr.