Noch viel größer hätten die Erwartungen eigentlich kaum sein können. Fragte man NFL-Fans kurz vor dem Start der laufenden Saison nach möglichen Super-Bowl-Anwärtern, wurden wieder und wieder die Denver Broncos genannt. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur NFL)
Der größte Scherbenhaufen der NFL
Jene Franchise also, der seit dem Titel im Jahr 2015 vor allem eines zum Erfolg fehlte: ein exzellenter Quarterback.
Trevor Siemian, Paxton Lynch, Brock Osweiler, Case Keenum, Drew Lock, Brandon Allen, Joe Flacco, Jeff Driskel, Brett Rypien, Teddy Bridgewater – nach dem Abschied von Legende Peyton Manning versuchte sich so mancher Spielmacher in der Mile High City. Der Erfolg blieb dabei eher überschaubar.
Doch 2022 sollte alles anders werden. Neuer Quarterback, neuer Head Coach – die Broncos-Fans hofften auf einen tiefen Playoff-Run. Bekommen haben sie eine Saison voller Enttäuschungen, Demütigungen und Misserfolge.
Hackett bei den Broncos schnell entlassen
Nur mickrige 15 Spiele hat es gedauert, ehe die Chefetage beschloss, Head Coach Nathaniel Hackett von seinen Aufgaben zu entbinden. Nie wurde ein Cheftrainer bei den Broncos schneller gefeuert.
Dabei wurde der 43-Jährige bei seiner Vorstellung noch als „dynamische Führungspersönlichkeit“ voll mit „Intelligenz, Innovation und Charisma“ angepriesen. Von ungefähr kam diese Einschätzung nicht, führte Hackett doch jahrelang mit der Offense der Green Bay Packers um Quarterback-Superstar Aaron Rodgers eine der besten Offensivreihen der Liga.
Bei seiner ersten Stelle als Cheftrainer ist der frühere Offensive Coordinator nun aber gescheitert – und das krachend! Mit durchschnittlich 15,5 Punkten pro Spiel stellen die Denver Broncos die schlechteste Offensive der gesamten NFL. Da hilft es auch nicht, dass die Defense in den meisten Spielen einen ziemlich guten Job machte.
Probleme beim Play Calling
Hackett zeigte schon zu Saisonbeginn, dass er seiner Aufgabe als Cheftrainer nicht vollumfänglich gewachsen ist. Vor allem das Play Calling und Defizite im In-Game-Management, eigentlich Basics in seiner Funktion als offensiv denkender Cheftrainer, erwiesen sich als große Schwachstellen. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der NFL)
So dauerte es nicht lange, ehe mit Jerry Rosburg ein erfahrener NFL-Coach aus dem Ruhestand geholt und ihm zur Seite gestellt wurde. Seine Aufgabe: Kritische Entscheidungen, darunter Timeouts, besser managen. Dass ebenjener Rosburg nun zum Interims-Cheftrainer ernannte wurde, erscheint dabei mehr als nur ironisch.
Am krachend gescheiterten Hackett alleine liegt das Desaster aber mitnichten. Einen nicht unerheblichen Anteil an der momentanen Situation – die Franchise steht bei einer Bilanz von 4:11 und ist längst aus dem Playoff-Rennen ausgeschieden – hat der Leistungsabfall von Quarterback Russell Wilson. (SERVICE: Diese Teams sind noch im Playoff-Rennen)
Wilson so schlecht wie nie
In den für Signal Caller relevanten Kennzahlen sind die Werte des 34-Jährigen in den Keller gerauscht. Um ganze 20,5 Punkte ist das Passer Rating im Vergleich zur Vorsaison bei den Seattle Seahawks gesunken. In der gesamten NFL-Geschichte gab es keinen größeren Leistungsabfall eines Quarterbacks nach dem Wechsel zu einem neuen Team.
Doch damit nicht genug. Schon nach 13 Spielen hatte Wilson die meisten Sacks seiner Karriere (49) kassiert.
Wilson ist sich seiner Mitschuld an der Trainerentlassung sehr wohl bewusst. „Die Wahrheit ist: Ich wünschte, ich hatte besser für ihn spielen können. Ich wünschte, ich hätte auf dem Niveau spielen können, auf dem Level, auf dem ich immer war, das ich in mir habe“, gestand der Superstar unter der Woche.
Hat der Super-Bowl-Sieger von 2013 einfach nur eine schlechte Saison? Kann es in der kommenden Spielzeit unter einem neuen Trainer besser laufen? Fragen, die wohl niemand valide beantworten kann.
Gewiss aber beantwortet werden kann die Frage, ob sich die Broncos ihres enttäuschenden Quarterback-Neuzugangs entledigen können. Die Antwort: Nein. (SERVICE: NFL-Wissen - die wichtigsten Regeln im Football)
Broncos können Wilson nicht loswerden
Wilson wurde mit einem derart üppigen Kontrakt ausgestattet, dass er allerfrühestens im Jahr 2025 auf halbwegs praktikable Art und Weise aus seinem Vertrag entlassen werden könnte.
Bis dahin muss der neue Cheftrainer, wer auch immer dies sein wird, entweder auf eine Leistungssteigerung des Quarterbacks hoffen, oder es besser verstehen als Hackett, die Stärken von Wilson zum Vorschein zu bringen. (DATEN: Alle Tabellen der NFL)
Problematisch: Immer wieder gibt es auch Indizien, dass es zwischen Wilson und den Teamkollegen nicht passt. Neben hitzigen Diskussionen an der Seitenlinie sorgte zuletzt die Meldung für Aufsehen, bei der Geburtstagsparty des Superstars sei trotz Einladung gerade einmal die Hälfte der Teamkollegen aufgetaucht.
Öffentlich gibt es für Wilson aber Rückendeckung aus dem Team. So stellte Receiver Jerry Jeudy zuletzt bei Twitter klar, er habe „nie einen Teammate gehabt, der mich mehr motiviert hätte“ und legte unter der Woche nach dem Training nach: „Die Medien wollen etwas daraus machen, was nicht da ist. Ihr alle wisst nicht, was wirklich in der Umkleide los ist. Ich habe die Nase voll davon, Dinge über meinen Kumpel zu lesen, als wäre er kein guter Teamkollege. Unnötiges Zeug, das nicht stimmt.“
Broncos mit vielen Problemen
Die Liste an Baustellen in Denver ist damit aber noch nicht abgeschlossen. Nächster Punkt: Disziplin. Mit 7,1 Penalties pro Spiel führt die Franchise die Strafenliste der besten Football-Liga der Welt an. Ein erster Platz, auf den jedes Team getrost verzichten kann. Neben Fouls am Gegenspieler kracht es aber auch teamintern – vor aller Augen.
Am vergangenen Wochenende kassierten die Broncos eine der bittersten Pleiten seit langer Zeit. Gegen die ebenfalls aus dem Kampf um die Playoffs ausgeschiedenen Los Angeles Rams setzte es eine 14:51-Demütigung.
Schwere Aufgabe für neuen Head Coach
Das Ergebnis an sich wäre schon schlimm genug gewesen, diverse Broncos-Spieler machten die Situation mit ihrem Verhalten aber noch schlimmer. So gerieten einige Offensive Liner mit Backup-Spielmacher Brett Rypien aneinander. Thema der Aueinandersetzung: Die Frage, ob man Wilson nach einem Hit des Gegners wieder aufhelfen müsste.
„Mr. Unlimited“, so nannte sich Russell Wilson einst selbst, fand nach der Partie passende Worte. So sprach er von „unverzeihlichen Fehlern“ und der Tatsache, „den Hintern versohlt bekommen“ zu haben. (SERVICE: NFL-Wissen - die wichtigsten Begriffe im Football)
Wie aber kann es für die Franchise weitergehen? Hoffnung ist aktuell nur sehr bedingt in Sicht. So gibt es nach dem Trade für Russell Wilson weder viele Draftpicks, noch üppig viel Cap Space. Ein schneller Rebuild dürfte damit erst einmal vom Tisch sein.
Die Broncos-Fans müssen wohl über übel darauf hoffen, dass der noch zu findende, neue Cheftrainer bei Wilson die Fähigkeiten vergangener Tage wieder zum Vorschein bringt und das Team trotz aller Querelen eint.