Strahlend blauer Himmel über einer weißen Villa mit Pool im Garten – es ist ein malerisches, königsblaues Ambiente, in dem Schalkes Jahrhunderttrainer Huub Stevens SPORT1 zum Interview empfängt.
Schalke-Ikone Stevens: "Da sind wirklich unglaubliche Dinge passiert"
„Mache mir Sorgen um meine Schalker“
Der 71-jährige Niederländer, der 1997 mit S04 den UEFA-Pokal sowie 2001 und 2002 den DFB-Pokal gewann und auch den Hamburger SV trainierte, blickt mit Vorfreude auf das Duell seiner beiden Ex-Klubs am Samstag (ab 19.30 Uhr LIVE im TV auf SPORT1).
Stevens wird die Partie ganz entspannt von der heimischen Couch in Eindhoven aus verfolgen. Im ersten Teil des exklusiven SPORT1-Interviews blickt der „Knurrer von Kerkrade“ auf das besondere Duell, wünscht sich eine Rückkehr von Clemens Tönnies und spricht über die Kandidatur von Felix Magath als HSV-Präsident.
SPORT1: Herr Stevens, am Samstag treffen sich ihre beiden Ex-Klubs Schalke und HSV – wie sehen Sie die aktuelle sportliche Lage beider Vereine?
Huub Stevens: Ich freue mich auf das Spiel. Am vergangenen Sonntag habe ich das Spiel der Schalker in Regensburg gesehen – das konnte ich nicht genießen (Schalke verlor 0:2, Anm. d. Red.). Da sind wirklich unglaubliche Dinge passiert. Ich mache mir wieder Sorgen um meine Schalker. Absteigen werden sie wohl nicht mehr, aber sie müssen aufpassen. Ich glaube, dass Kees (van Wonderen, Anm. d. Red.) ein guter Trainer ist und gut zu Schalke passt. Aber die Qualität in der Mannschaft reicht nicht aus, um aufzusteigen. Das schaffen sie mit diesem Team nicht. Und wenn sich im nächsten Jahr nicht schnell etwas ändert, wird es auch in der kommenden Saison nichts.
Kwasniok? „Würde mir wünschen, dass Kees bleiben darf“
SPORT1: Van Wonderen wird bereits angezählt. Paderborns Trainer Lukas Kwasniok ist ein heißer Kandidat auf Schalke.
Stevens: Ich glaube, dass Kees auf seine Art gut zu Schalke passt. Aber man muss ihm auch Zeit und die nötigen Mittel geben, damit er erfolgreich arbeiten kann. Und diese Mittel hat er mit der aktuellen Mannschaft nicht. Das geht einfach nicht. Es fehlt an Qualität, um den Aufstieg anzupeilen. Ich würde mir wünschen, dass Kees bleiben darf. Aber wir kennen die Geschichten auf Schalke: Wenn es unruhig wird, hast du als Trainer kaum eine Chance.
SPORT1: Ist der neue Sportvorstand Frank Baumann der Richtige?
Stevens: Ich hoffe, dass Frank die Leinen wieder straff ziehen kann – so wie es nötig ist. Erfahrung hat er genug. Ich hoffe wirklich, dass er Schalke wieder auf Kurs bringt. Bei Werder Bremen hat er gute Arbeit geleistet. So wie es aktuell bei Schalke läuft, kann es jedenfalls nicht weitergehen.
„Warum holt man Clemens nicht zurück?“
SPORT1: Schalke und der HSV kämpfen derzeit um Stabilität. In Hamburg geht nun wieder die Angst vorm Frühjahrs-Blues um. Wie sehen Sie das?
Stevens: Da muss man weniger Angst haben als auf Schalke. Der HSV hat den besseren Kader, da ist eine ganz andere Qualität vorhanden. Bei Schalke wurden Spieler geholt, bei denen ich Zweifel habe, ob sie wirklich zum Verein passen. In Hamburg sehe ich Spieler, bei denen ich denke: Das kann etwas werden. Aber: Der HSV sollte trotzdem vorsichtig sein.
SPORT1: Was würden Sie Ihren beiden Ex-Klubs raten, um langfristig erfolgreich zu sein?
Stevens: Ich denke, es muss wieder mehr Ruhe ins ganze Geschehen kommen. Und man muss Leute finden, die bereit sind, wieder Geld in den Verein zu stecken. Ich frage mich immer wieder: Warum holt man Clemens (der langjährige Aufsichtsratsvorsitzende Clemens Tönnies, Anm. d. Red.) nicht zurück? Er würde dem Verein helfen.
SPORT1: Das sehen einige auf Schalke aber ganz anders.
Stevens: Clemens war und ist immer noch durch und durch Schalker. Es gibt leider viele, die seine Arbeit nicht anerkannt haben. So wie ich ihn damals erlebt habe, war er nicht oft bei der Mannschaft. Er hat das Team in Ruhe gelassen. Es gab andere Leute, die sich hier und da eingemischt haben. Clemens hat zwar wenig Ahnung vom Fußball, aber er hat genug Geld – und das braucht man auf Schalke weiterhin.
Magath? „Er wäre eine gute Wahl“
SPORT1: In Hamburg könnte ein anderer großer Name wieder einsteigen: Felix Magath will HSV-Präsident werden. Wäre er der Richtige?
Stevens: Felix bringt nicht nur umfassende Erfahrung mit, sondern kennt den HSV wie kaum ein anderer. Er hatte eine erfolgreiche Zeit als Spieler beim Verein und war später auch als Trainer und Manager tätig. Ich denke, er wäre eine gute Wahl für das Amt des Präsidenten – jemand, der den HSV mit Herzblut und Sachverstand führen könnte.
SPORT1: Wem drücken Sie am Samstag eigentlich mehr die Daumen?
Stevens: Ich drücke Schalke schon mehr die Daumen. Ich war dort dreimal Trainer, und der Verein liegt mir einfach mehr am Herzen. Außerdem saß ich am Ende im Aufsichtsrat bei den Königsblauen – das ist schon mehr als beim HSV, bei allem Respekt für die Hamburger. Auch dort hatte ich eine tolle Zeit, das ist so eine schöne Stadt. Da kannst du dich verlieben. Die Zeit beim HSV möchte ich nicht missen. Aber mein Herz schlägt mehr für Schalke.
„Das war der schlimmste Moment meiner Trainerlaufbahn“
SPORT1: Was macht Schalke für Sie bis heute besonders?
Stevens: Es sind die Fans. Da war eine ganz besondere Liebe zwischen ihnen und mir. Ich erinnere mich aber auch noch gut daran, wie ich damals beim HSV verabschiedet wurde – das war hart. Ich musste damals gehen, weil meine Frau so krank war. Das hat natürlich auch etwas mit mir gemacht. Beide Klubs sind mir wichtig, aber Schalke hat einen noch festeren Platz in meinem Herzen.
SPORT1: War das 2008 der schlimmste Moment Ihrer Trainerkarriere, als Sie den HSV verlassen mussten?
Stevens: Ja, das war der schlimmste Moment meiner Trainerlaufbahn. Noch schlimmer als mein Rücktritt 2016 in Hoffenheim wegen meiner Herzprobleme. Meine Frau hat damals um ihr Leben gekämpft. Und ich war beim Fußball – musste aber jedes Wochenende heimfahren. Das ging einfach nicht. Ich bin damals viele Kilometer von Hamburg nach Rotterdam gefahren – es war eine sehr schwere Zeit. Das hat natürlich auch etwas mit mir gemacht.
Polzin kann sich „unsterblich machen“
SPORT1: Wie bewerten Sie die bisherige Arbeit von HSV-Trainer Polzin? Und steigt der HSV auf?
Stevens: Mit einem Aufstieg kann sich Polzin unsterblich machen. Ich kenne ihn nicht persönlich, aber er muss bei sich selbst bleiben. Er wird sicher noch Fehler machen – das ist bei jedem Trainer so. Wichtig ist, dass er daraus lernt. Ich habe früher auch manches aus der Emotion heraus gesagt, was ich am nächsten Morgen im Büro von Rudi bereut habe. Ich kann jetzt nicht sagen, dass ich ein Riesen-Fan von Polzin bin – dafür kenne ich ihn zu wenig. Wir neigen alle dazu, zu schnell über jemanden zu urteilen. Nur weil ich anders bin, heißt das nicht, dass er es nicht hinkriegt. Ich hoffe, dass er es mit dem HSV schafft und man gemeinsam aufsteigt – denn der Verein hat es verdient. Einfach wird es aber nicht, wie man gegen Braunschweig gesehen hat. Noch ist der HSV nicht durch.
SPORT1: Der Comedian Chris Tall, ein eingefleischter HSV-Fan, hat zuletzt bei SPORT1 gesagt, dass der Verein aufsteigt und danach Ambitionen haben sollte, in Europa mitzuspielen. Wie sehen Sie das?
Stevens: Das sehe ich komplett anders. Da sollte man kleinere Brötchen backen – und dann schauen, wie man mit diesen kleinen Brötchen umgeht. Als ich damals beim HSV anfing, stand der Verein unten. Wir haben Schritt für Schritt alles aufgebaut. Und kleinere Brötchen schmecken auch gut (lacht). Der HSV sollte nicht gleich wieder an Europa denken. Das gilt übrigens auch für Schalke, wenn sie mal wieder aufsteigen sollten. Man muss erst mal eine Basis schaffen. Aber wenn die Spieler erfolgreich sind, halte ich sie natürlich nicht zurück.
SPORT1: Springen Sie vor Freude nackt in Ihren Pool, wenn der HSV in dieser Saison aufsteigt und Schalke im nächsten Jahr?
Stevens: (lacht laut) Nein, aus dem Alter bin ich raus. Ich würde mich aber riesig freuen, wenn beide Klubs wieder in der Ersten Liga spielen. Da gehören sie einfach hin.